Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Reportagen 1+2 - Niklaus Meienberg страница 37
Ernst Bloch: Ich habe Betten gemacht, die Küche gemacht, die Lebensmittel eingekauft.
Karola Bloch: Ich verdiente 100 Dollar die Woche, die Wohnung war 45 Dollar im Monat. Wir haben noch ein demokratisches, antifaschistisches Amerika erlebt, bevor der McCarthyismus begann. Während des Krieges war Frau Roosevelt im Komitee für sowjet-amerikanische Freundschaft, dem ich auch angehörte. Und die Sowjetunion, welche den Alliierten die Kastanien aus dem Feuer holte, war schon sehr populär. Und die ganze Einreise von linken Leuten, wie dem Kantorowicz zum Beispiel, ein Jugendfreund von mir, da hat die Frau Roosevelt geholfen; obwohl er Kommunist war, hat er die Einreiseerlaubnis bekommen. Schliesslich sind wir beide amerikanische Staatsbürger geworden. Dann sind wir in die DDR gekommen und mussten unsere schönen amerikanischen Pässe abgeben. Der Brecht war schlauer, der hat sich die österreichische Staatsbürgerschaft organisiert und hat sie behalten.
NM: Im Westen bestand die Gefahr, dass Ihre Bücher vor allem den Theologen und Spiritualisten, ich denke da an Friedrich Heer, in die Hände gefallen sind und nicht so sehr den Revolutionären als Instrument gedient haben.
Ernst Bloch: Es gab ja einmal einen Theologen namens Thomas Münzer. Der Heer* ist ein braver, gänzlich harmloser Mann, man wurde sich völlig vergreifen, wenn Sie den als eine tückische, finsternishafte Gestalt betrachten. Er ist ein ehrlicher, braver Kerl. Politisch sehr anständig. Also deren gibt's einige. Es gibt auch andere, deren Zustimmung beruht auf einem Missverständnis, wenigstens zum Teil. Aber jedenfalls, ein Heer schreibt nicht die üblichen Phrasen hin: «Empor zu den lichten Höhen des Sozialismus», das ist von Anfang bis Ende verlogen. Ein Heer oder ein Mitgänger von Heer würde nie so etwas schreiben. Abgesehen von der völligen Kulturlosigkeit, ist es die völlige Verlogenheit, die so spricht. «Empor zu den lichten Höhen des Sozialismus.» Im übrigen gibt es einen Satz von Jesus Christus, der heisst: Eher kommt ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich. Ein ganz schöner Satz, nicht.
Karola Bloch: Sie können umgekehrt sagen: Der Bloch hat verschiedene Theologen politisiert. Die Kritik der Theologen an Bloch, an seinem «Prinzip Hoffnung», hiess zwar ungefähr: Hoffnung kann man nicht haben ohne Gott. Aber schliesslich kann der Bloch nichts dafür, dass die Theologen ihn so vereinnahmt haben. Ich würde so sagen: Wie ein impotenter Mann, der sich so Spritzen verabreichen muss, um wieder potent zu werden, so haben manche Theologen den Bloch benutzt, weil sie doch eigentlich auf ziemlich absteigendem Ast sind. Viele Theologen schrieben über ihn, die theologische Sekundärliteratur ist ja grösser als die andere. Der Bloch gab ihnen so eine Spritze. Manche von ihnen sind aber auch von Bloch inspiriert in einer richtigen Richtung. Zum Beispiel dieser katholische Theologe Johann Baptist Metz in Münster ist von ihm politisiert worden. Der war eine Zeitlang ziemlich links, und dann hat er wohl kalte Füsse bekommen und ist ein bisschen abgerückt, aber nichtsdestoweniger, am 30. Juni machen hier gerade der Metz aus Münster, der Moltmann und der Küng ein Symposium, das Ernst Bloch gewidmet ist, also sozusagen: Ernst Bloch und die Religion.
Ernst Bloch: Ohne Gott.
Karola Bloch: Die Theologen werden dann Gott einführen, wahrscheinlich. Besonders das Buch «Atheismus und Christentum» hat viele Leser unter den Theologen zum Widerspruch gereizt. Das ist eben das Interessante, dass so viele Leute von der Theologie her zum Sozialismus kommen, zum Beispiel der Rudi Dutschke war ein Theologe, auch die Anarchistin Gudrun Ensslin, sie haben vom Urchristentum oder vom Revolutionär Jesus her Impulse bekommen. Das ist nicht negativ zu werten, kann man nicht sagen.
Da Sie aus Frankreich kommen, eine Frage in ganz anderem Zusammenhang: Wie erklären Sie sich eigentlich, dass in Frankreich, wo das Proletariat doch mehr Klassenbewusstsein hat als in Deutschland, dass dort die Revolte 1968 so kläglich zusammengebrochen ist, statt dass die Arbeiter mit den Studenten zusammen etwas erreicht hätten?
NM: Ich vermute, wegen der politischen Führungslosigkeit, weil die KP keine revolutionäre Führung bot.
Ernst Bloch: Und durch die Sowjetunion und ihre Direktiven an die französische Kommunistische Partei.
NM: Und die Sowjetunion hatte natürlich kein Interesse an einem Umsturz in Frankreich.
Karola Bloch: Warum eigentlich? Warum hat die Sowjetunion kein Interesse daran, dass in einem grossen westlichen Land die Revolution gemacht wird, wo doch Karl Marx schon sagte, dass sie von dort kommen werde?
Ernst Bloch: Wegen der Konkurrenz. Ein kleineres, aber gefährlicheres China.
Karola Bloch: Das ist ja nun eben die grösste Enttäuschung am Sozialismus, der China-Sowjetunion-Konflikt, und b), dass hier ein Sozialist sagen muss: Die Sowjetunion hat kein Interesse, dass in Frankreich die Revolution gemacht wird. Im Grunde genommen eine ungeheuerliche Sache.
NM: Das ist etwas, woran Sie damals noch glauben konnten, wenn man Ihre politischen Aufsätze aus den dreissiger Jahren liest: Die Sowjetunion als revolutionäre Macht, und das Proletariat in den westlichen Ländern als revolutionäres Subjekt. Daran kann man wohl auch nicht mehr so ganz glauben, bei dem gegenwärtigen Zustand der Arbeiterschaft. Hat man damals nicht auch schon ein wenig Zweifel gehabt an der Sowjetunion?
Ernst Bloch: Von der Mauer ab sicher. Vorher gab's Zweifel, aber keine kanonischen und keine mit Dynamit. Es war immerhin die Sowjetunion, das Vaterland aller Werktätigen. Und die Zweifel gingen nicht aufs Grundsätzliche. Aber in ganz kleinen Dosen kamen immer wieder die Spritzen der Entfremdung. Es gab die Paralellen mit Frankreich, und es gab die Nazis. Die Nazis sind in der genau gleichen Reihenfolge in Paris eingezogen, wie sie in Deutschland auszogen, wurde überhaupt nicht geschossen unterwegs, 1940. Die Frage war: Wollt ihr, dass das auch in Russland vor sich geht und dass fünf oder sechs Spekulanten, Litwinow und Bucharin zum Beispiel, in ein Einverständnis mit den Nazis kommen, so dass wir ein zweites Frankreich haben? Oder meint ihr, dass das kühle Denker sind, hochgelehrte Männer, wissenschaftlich hieb- und stichfeste Männer, die eben eine andere theoretische Perspektive haben als ihr, die ihr für die Stalinsche Politik seid? Nun haben sie eben diese Politik durchführen wollen, sie haben ein grosses Spiel gewagt und haben das Spiel verloren. Sie sollen nicht zum Tod verurteilt werden, aber jedenfalls dafür einstehen, dass sie das Spiel verloren haben. Im übrigen, wo kommen die gegenteiligen Beurteilungen her, sagte man sich. Aus der bürgerlichen Presse.
NM: Wenn man heute sieht, wie die Ideologie der Kleinbürger immer weiter um sich greift, obwohl die Kleinbürger objektiv deklassiert werden, dann fragt man sich, wo eigentlich der Hebel zur Veränderung angesetzt werden könnte.
Ernst Bloch: Man soll das nicht fragen. Man soll den Inhalt seines Zweifels betrachten und abwarten und keinen Tee trinken. Und sich theoretisch weiter auf der Höhe halten. Es ist doch schon oft genug vorgekommen, dass es anders herauskam, als man dachte, und immer wieder gibt's doch Unterbrechungen.
Karola Bloch: Den Faktor der neuen Möglichkeiten muss man auch mit einbeziehen. Wer hätte gedacht, noch vor zwei Jahren, dass ausgerechnet in Portugal etwas Neues geschieht? Ich staune, woher nehmen die Leute überhaupt dieses politische Bewusstsein. Leute, die jahrzehntelang nichts lesen konnten, nichts wussten – wenn man betrachtet, mit welchem Enthusiasmus sie sich einsetzen, ist doch ganz erstaunlich. Auch Griechenland, wer hätte gedacht, dass Griechenland plötzlich eine andere Richtung einschlüge? Und so muss man sagen, dass vielleicht unerwarteterweise sich etwas ereignet, auch in einem der grossen Industrieländer, meinetwegen vielleicht in England, wo die wirtschaftliche Situation so katastrophal ist, könnt' ich mir vorstellen, dass vielleicht plötzlich