Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg
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NM: Ich bin auf den Kommentar eines Staats-Philosophen der DDR gestossen, Rugard Otto Gropp, der Ernst Bloch im Namen des Marxismus «antimarxistische Welt-Erlösungslehre» vorwirft. Wodurch wurde dieser Vorwurf ausgelöst?
Karola Bloch: Das war doch diese berühmte Geschichte, dass Bloch in der DDR angegriffen wurde, nachdem die Ungarn den Aufstand hatten und die Polen – Lukács hatte uns im Sommer '56 besucht –, und wir haben uns damals glänzend mit ihm verstanden, und wir waren uns alle darüber einig, dass ein demokratischer Sozialismus kommen musste. Und der Lukács und seine Frau sagten uns: Ihr müsst gegen Ulbricht vorgehen, und mein Mann unterstützt alle in der DDR, die später im Gefängnis gelandet sind, in diesem Bestreben, eine andere DDR zu haben. Das hatte so einen abgekürzten Namen: menschlicher Sozialismus, also nicht diese bürokratischen Zustände. Und nun, solange es keinen Aufstand in Ungarn gab und in Polen, da konnte man das sogar noch sagen, weil der 17. Juni ist den DDR-Leuten sehr in die Knochen gefahren, es musste sich ein wenig die Atmosphäre ändern, nachdem sie erlebt haben, dass die Arbeiterklasse in der DDR gegen die Regierung eingestellt war.
Das war ja ganz wuchtig, ich hab' das alles erlebt, war gerade in Berlin und hab' alles mit eigenen Augen gesehen. Ich war in der SED und war an sich eine sehr treue Genossin, aber das hab' ich miterlebt, und das war schon etwas sehr Entsetzliches, gerade Arbeiter zu sehen, wie sie ihre schlesischen Lieder sangen und «Deutschland, Deutschland über alles» und wie sie verlangten, dass die Regierung abtritt usw. Und dann hat die Regierung etwas liberalisiert, man konnte schon etwas mehr sagen. Bloch hat das ausgenutzt und hat mitgearbeitet an einer Zeitschrift, die hiess «Der Sonntag». Da waren junge Leute, die alle so begeistert waren von diesem andern Sozialismus. Man konnte damals Stalin kritisieren, nachdem Chruschtschow die Verbrechen Stalins aufgedeckt hat.
Nachdem nun aber die sowjetischen Panzer den Aufstand in Ungarn niedergemetzelt haben, war das ein Signal für die alten Stalinisten in der DDR, alle die Leute zu bekämpfen, welche für den neuen Sozialismus sich eingesetzt hatten. Als Bloch im Jahre 1955 den Nationalpreis der DDR bekommen hat und zu seinem siebzigsten Geburtstag, da gratulierte alles, was in der DDR gut und teuer war, da haben Ulbricht und Pieck und Grotewohl rote Saffianmappen mit Gratulationen geschickt, und derselbe Gropp, der später gegen ihn war, hat damals als Herausgeber der Festschrift gezeichnet – nachdem schon 1954 der erste Band von «Prinzip Hoffnung» erschienen war, schwärmten alle Zeitschriften in der DDR von Bloch, und er wurde auf ein ganz hohes Podest gestellt als der Philosoph.
NM: Quasi als Staats-Philosoph akzeptiert?
Karola Bloch: Obwohl es schon gegen ihn Kämpfe gab um 1952, als eine Strömung gegen Hegel war. Da hatte er sein Hegel-Buch veröffentlicht. Also ganz glatt wurde er nie akzeptiert in der DDR, aber immerhin, das wurde dann überspielt durch so verschiedene Faktoren, nach dem Tode von Stalin. Nachdem jedoch aufgedeckt wurde, dass Wolfgang Harich, der mit Bloch zusammen die «Zeitschrift für Philosophie» herausgab, auch zu einer oppositionellen Gruppe gehörte – in dieser Zeitschrift konnte Bloch damals, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, schreiben –, als nun entdeckt wurde, dass Harich nach Hamburg zum «Spiegel» ging und er die Sache dort ganz gross aufziehen wollte und Harich darauf verhaftet wurde, da wollte man auch den Bloch und mich verhaften, denn er galt als der Drahtzieher. Aber dann hat man davon abgesehen, das war nicht opportun, Bloch war auch nicht mehr jung und zu bekannt und so weiter. Die Leute, die dann gegen ihn schrieben, waren durchaus nicht unanständige Leute, verstehen Sie, und die kamen nun zu uns und sagten: Entschuldigen Sie oder entschuldige – mit manchen waren wir per du –, entschuldige, dass nun bald ein Aufsatz erscheinen wird in der «Zeitschrift für Geschichte», wo vor kurzem noch dithyrambisch über Bloch geschrieben wurde, entschuldige, dass nun ein Rückzieher gemacht wird und ich schreiben muss: Mea culpa, ich habe mich geirrt, Bloch ist nicht das, was wir dachten, er ist ein Metaphysiker oder Mystiker, dessen Philosophie mit Marxismus nichts zu tun hat. Also das schüttete nur so, auch in Zeitungen.
NM: Das ist schlagartig gekommen, einfach als politischer Reflex, und hat nichts zu tun mit einer seriösen Kritik, die schon früher aufgrund des Marxismus an Bloch eingesetzt hatte?
Karola Bloch: Das war nur ein Echo, ein Gegenzug, der diese demokratischen Strömungen kontern sollte. Im Januar 1957 wurde Bloch seines Amtes enthoben, er ist zwangsemeritiert worden, wie man das nennt, und durfte den Boden der Universität nicht mehr betreten. Er hatte natürlich unter der Jugend unerhörten Zuspruch. Seine Vorlesungen waren gefüllt, und die Jugend verehrte ihn sehr. Nun konnte er nicht mehr öffentlich auftreten, und im März oder April 1957 war diese Konferenz: Ernst Bloch, Revision des Marxismus. Und daran beteiligten sich jene Leute, die früher ihn so hoch aufs Schild gehoben hatten. Der Gropp hat das angeführt, das war so ein ganz Sturer. Der Pinkus wird das Buch sicher haben: Ernst Bloch, Revision des Marxismus.
NM: Haben Sie nicht in der DDR einen Teil Ihrer Utopie verwirklicht gesehen?
Karola Bloch: Das könnte man vielleicht sagen, in den ersten Jahren nach dem Krieg, das war sehr hoffnungsvoll. Was dort unzulänglich war, haben wir zuerst als Kinderkrankheiten betrachtet, wir waren vorerst eigentlich sehr glücklich dort. Es war ein reiner Zufall, dass wir hier gelandet sind. Im Jahre '56, als der Harich verhaftet wurde, sagten uns Freunde: Ihr steht auch auf der Liste, Ihr kommt auch dran. Auch SED-Mitglieder haben uns damals zur Abreise geraten. Aber da wollten wir nicht, denn so viele junge Leute hängen eben an Bloch, sagten wir uns. Und wenn er da weggefahren wäre, hätte er das wie einen Verrat empfunden. Er sollte lieber dortbleiben als Mahnender für einen besseren Sozialismus.
NM: Ein ähnliches Dilemma wie für Brecht, der dann gestorben ist, bevor er in Ihre Lage kam.
Karola Bloch: Ganz recht. Wir waren ganz einig mit dem Brecht. Und deswegen ist Bloch geblieben. Aber dann waren wir hier in der Bundesrepublik im Jahre '61 im Urlaub, wir wollten natürlich zurückkehren, wir haben ja ein Haus gehabt und Bücher und alles mögliche, und wir wollten zurück nach Leipzig. Aber in der Bundesrepublik hat uns eben die Mauer erwischt. Und da kam plötzlich das Dilemma, dass wir nie mehr hätten raus können und dass vor allem der Bloch mit dem Suhrkamp-Verlag keine Verbindung mehr gehabt hätte, keine Manuskripte mehr hätte rausschicken können. Und in der DDR hat man ja nichts mehr von ihm gedruckt, nicht mehr eine Zeile. Und das war dann der Grund, dass wir uns entschlossen haben, nicht zurückzukehren. Also wir sind nicht in diesem Sinne Flüchtlinge, dass wir die DDR verlassen haben.
Ernst Bloch: Als wir damals drüben ausreisten, wurde nicht ein Ton, nicht eine Silbe von der Mauer gesprochen.
Karola Bloch: Wir wussten doch von nichts. Wir hatten zwei kleine Köfferchen für die Sommerreise mit. Wir haben alles verloren. Nur die Manuskripte, die hat ein Mann gerettet. Er ging in das Haus und brachte die Manuskripte raus.
NM: Wurden denn Ihre Bücher in der DDR nicht von einer andern Schicht gelesen, hatten Sie nicht eine andere gesellschaftliche Funktion als hier jetzt in der Bundesrepublik? Man hört immer, in der DDR würden die Philosophen viel mehr in Ehren gehalten als in der Bundesrepublik.
Ernst Bloch: Hier haben sie eine gesellschaftliche Funktion, drüben nicht. Es gibt nur eine Schicht, die die Bücher gelesen hat.
Karola Bloch: Hier ist die Schicht grösser.
NM: Kann man nicht sagen, dass in der DDR Bücher wie Ihre mehr von Angestellten und Arbeitern gelesen werden als hier?
Ernst Bloch: Das kann man nicht sagen. Da liegt eine Decke von Heuchelei darüber und von Vorsicht. Einer, der mit der Regierung zusammenstösst und einen hohen Posten hat an der Universität, dem werden das Kleinbürgertum und die Angestellten, die selbst kleinbürgerlich sind, nicht ihr Herz eröffnen.
Karola Bloch: Ausserdem, Sie dürfen nicht vergessen, die Zeitspanne war sehr kurz. Das erste Buch, das