Es ist kalt in Brandenburg. Niklaus Meienberg
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Es ist kalt in Brandenburg - Niklaus Meienberg страница 7
Eine grosse Nummer ist er trotz aller Dienstbeflissenheit nicht geworden, nur ein hochgestellter Ausführungsbeamter. Der Sohn des Hauswarts hat den raschen Aufstieg nicht verkraftet, die Intrigen im Reichspropagandaministerium wuchsen ihm über den Kopf. Es genügt nicht, sich immer anzupassen, man muss manchmal brutal auftreten können gegen die Konkurrenten und hart zuschlagen, nicht nur nach unten. Der schlauere, jüngere und schnellere Naumann hat ihn 1944 als Staatssekretär ersetzt. Und der treu ergebene Gutterer musste im letzten Moment sein Büro verlassen und in den wirklichen Krieg ziehen, den er bis jetzt nur propagandistisch geführt hatte.
Er lebt heute in Aachen.
***
Maurice wurde nicht unfreundlich empfangen von seinen Verwandten in Baden-Baden. Wie geht es dem Vater, was macht die Mutter, wir haben schon lange nichts mehr von Euch gehört! Und was macht die schöne Schweiz?
Wie es so ist, wenn Verwandte sich jahrelang nicht mehr gesehen haben. Auch wenn man sich nicht wirklich freut: man tut so, als ob. Man kann nicht gut anders, auch wenn der Gast unangemeldet kommt und jetzt einer mehr am Tisch sitzt. Aber der Grossneffe macht einen manierlichen Eindruck, sauber, bescheiden, und er suche, sagte er sofort, Arbeit in Deutschland, und zwar als technischer Zeichner, und wolle ihnen also nicht auf der Tasche liegen. Und hatte eine politische Einstellung, welche Anklang fand bei den Eltern des Ministerialdirektors, gab seiner Bewunderung für die Leistungen des Nationalsozialismus Ausdruck; in den schönsten Farben.
Familie Gutterer war beruhigt. Man hatte sich über die Verwandten in Neuchâtel schon allerhand Gedanken gemacht in der letzten Zeit, die Mutter von Maurice galt als deutschfeindlich und hatte den Kontakt abreissen lassen. Und überhaupt die Schweiz … Aber da war anscheinend eine junge Generation herangewachsen, welche sich durchaus auf der Höhe der Zeit bewegte. Es traf sich gut, dass an diesem 9. Oktober 1938 auch der Werkmeister Karl Gutterer, ein Neffe der Karoline, in Baden-Baden zu Besuch war, der konnte fliessend Französisch und hat Maurice den Familienanschluss erleichtert. Zwei Tage nach der Ankunft begann bereits die Arbeitssuche, die Stieftochter der Karoline, Paula Gutterer, fuhr mit Maurice nach Rastatt zum Arbeitsamt. Dort kannte sie einen Beamten,
der sofort fernmündlich bei der Firma Daimler-Benz nach einer Arbeitsmöglichkeit für den Angeschuldigten nachfragte, jedoch den Bescheid erhielt, dass die Firma Ausländer nicht einstellen dürfe. Darauf fuhren alle drei zu den Stierlen-Werken, wo der Beamte das Arbeitsamt zusammen mit dem Angeschuldigten bei der Werkleitung vorsprach und dann zu der sie erwartenden Paula Gutterer mit dem Bescheid zurückkehrte, dass wahrscheinlich eine Einstellung des Angeschuldigten erfolgen werde, jedoch noch endgültiger schriftlicher Bescheid abzuwarten sei. Hierauf fuhren Paula Gutterer und der Angeschuldigte nach Baden-Baden zurück. (Anklageschrift)
Der schriftliche Bescheid lautete negativ, Maurice musste weiterhin von seinem Kreditbrief Geld abheben und vertrieb sich die Zeit mit Spaziergängen. Er habe sich damals immer pünktlich, wie die Anklageschrift mit Befriedigung festhält, zu den Mahlzeiten bei Gutterers eingefunden. Seine Grosstante hatte ihrerseits pünktlich, aber ohne böse Absicht, den Sohn und Ministerialdirektor Leopold in Berlin dahingehend avisiert, dass da ein Verwandter aufgetaucht sei. Dieser, immer die Karriere vor Augen, orientierte pünktlich die Geheime Staatspolizei. Ein Fremder in Baden-Baden … dazu noch ein technischer Zeichner … in der Gegend, wo die Befestigungen des Westwalls gebaut wurden … und auf Arbeitssuche … Leopold Gutterer witterte Unrat. Wenn da etwas passierte, ein Verwandter von ihm als Spion, das war nicht günstig für das berufliche Fortkommen.
Die Polizei liess sich Zeit, sie funktionierte damals weniger rasant als heute, obwohl der Hinweis von einem hohen Beamten kam. Sie hat zuerst überhaupt nicht reagiert, Bavaud blieb noch ungestört bis zum 20. Oktober in Baden-Baden. Leopold Gutterer in Berlin war äusserst aufgewühlt und beschloss, seine Frau Auguste Viktoria, geborene Heil, nach Baden-Baden zu schicken, um die Eltern zu warnen. Es durfte auf keinen Fall vorkommen, dass Maurice sich bei der Arbeitssuche auf ihn, Gutterer, berufen würde.
Weil Gutterer ein höflicher Mensch war und Maurice nicht vor den Kopf gestossen werden sollte und auch keinen Verdacht schöpfen durfte, man war ja immerhin verwandt miteinander, reiste Auguste Viktoria nicht allein.
Um die Reise als einen unauffälligen Verwandtenbesuch erscheinen zu lassen, nahm die Ehefrau des Ministerialdirektors ihren sechsjährigen Sohn Dietrich nach Baden-Baden mit. Dort entledigte sie sich des ihr erteilten Auftrages, konnte aber selbst eine unmittelbare Unterhaltung mit dem Angeschuldigten nicht führen, da sie die französische Sprache nicht beherrscht. (Anklageschrift)
Die Ehefrau als Spionin im Einsatz gegen den mutmasslichen Spion … Der Sohn des Leopold und der Auguste Viktoria hat sich, vermutlich sah es die Mutti gar nicht gern, mit Maurice angefreundet. Dieser habe, so steht es in den Akten, das Kind oft zu seinen Spaziergängen in die Umgebung der Stadt Baden-Baden mitgenommen.
***
Der Sohn Dietrich lebt heute auch in Aachen, wie Leopold Gutterer, und bittet uns, den Vater nicht zu behelligen, dieser sei genug gestraft, es gehe ihm schlecht. Nach dem Krieg, aus dem der abgesetzte Staatssekretär heil zurückgekommen war, sei er als Landarbeiter untergetaucht und dann als Feuerwerker und Platzanweiser in einem Kino tätig geworden, nach einer kurzen Gefängnisstrafe, sein Abstieg sei endgültig, politisch sei er enthaltsam und in keiner Weise mehr eine Gefahr. Auch habe er jeden Kontakt mit den noch lebenden Kameraden von damals abgebrochen und lebe ganz isoliert, ein bitterer alter Mann, und solle man ihn doch bitte schonen. Er, Dietrich, trage schwer an dem Bewusstsein, dass sein Vater ein derart hohes Tier im Dritten Reich gewesen sei, und spreche nie mit ihm darüber, das sei ein Familientabu.
An die Spaziergänge mit Maurice kann sich der Sohn nicht mehr erinnern.
Ist der 78jährige Gutterer noch identisch mit dem Staatssekretär, welcher sich um die Beseitigung des Zigeunerwesens bemühte? Und die Jagd auf Emigranten organisierte? Wir sind unsicher. Sollen wir ihm auflauern mit der Kamera und warten, bis er aus dem Haus kommt? Am Telefon sagt er, er habe nichts zu sagen. Und Maurice habe er damals der Polizei angezeigt, um seine Mutter vor Verwicklungen zu schützen.
Villi meint, wir sollen ihm abpassen, der sei eine alte Nazisau, gwüssgott, seinen eigenen Vetter bei der Polizei angezeigt, und das Judenabzeichen den Berliner Juden verabfolgt, da müssten wir uns nicht genieren, den filmen wir, auch wenn er dagegen ist.
Wir wissen nicht recht.
Vielleicht haben wir zum Schluss nicht gefilmt, weil man sich ein bisschen vorkommt wie die Polizei, wenn man ständig vor einem Haus auf und ab geht, oder in den Büschen wartet.
Wie die Polizei, oder wie Attentäter.
Das Backstein-Reihenhaus am Rande von Aachen ist unauffällig und hat eine Gegensprechanlage. Wir haben sie nicht benutzt.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную