Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991. Urs Bircher
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Dieser Frage lag eine Einschätzung zugrunde, die damals unter Schweizer Intellektuellen weit verbreitet war. Sie lautete: Das wahre Deutschland ist das der Dichter und Denker: Als eine Art Störung hat sich der Nationalsozialismus der brüllenden Massen, eine geistlose, proletische Bewegung, vorübergehend darin breit gemacht. Säuberlich getrennt handelte Frisch denn auch seine Reisebeobachtungen ab, die er in vier Folgen in der NZZ ausbreitete.100
In Stuttgart begeistert sich der künftige Architekt für den Bahnhof: »das Schönste und Höchste, was unsere Zeit schafft«. Paul Bonatz hatte ihn zwischen 1911 und 1926 als kühne Kombination von modernster Stahlkonstruktion und urtümlichem Quaderbau aus Muschelkalkblöcken errichtet. Der Bau erregte internationales Aufsehen. In seinem Turm »hauste«, so weiß der Journalist zu berichten, während der Revolution im zweiten Reich die Stadtregierung.101 Drei blanke Dolche in der Parteibuchhandlung offenbaren dem Chronisten die eine, das Gespräch mit einem Verlagsleiter die andere Seite Deutschlands: Hier erfuhr er, daß die »Blut- und Schollen«-Literatur mit dem »Mistgeruch« in Deutschland »kaum mehr gekauft« würde, auch in der Schweiz »stoße man auf ein zähes Mißtrauen, fast auf einen Boykott«. Zwar fände die nsdap-Literatur schon großen Absatz, doch das seien Pflicht-, nicht Neigungskäufe.
Es wäre falsch, dem jungen Frisch besondere Realitätsblindheit vorzuhalten. Beinahe alle deutschen Intellektuellen hielten noch Mitte der dreißiger Jahre die Naziliteratur für zu dumm, um ernsthaft Schaden anrichten zu können. Auch in Berlin war es ein Buchhändler, der über Deutschlands Geisteszustand Beruhigendes zu berichten wußte. Das »stille Buch« sei wieder gefragt, man suche wieder »die Gedanken eines umfassenderen, höheren und ewigeren Geistes«.102 (Der Komparativ ›ewiger‹ ist wohl eine unbeabsichtigte Ironie.) Als leuchtendes Beispiel für dieses »stille« Buch pries Frisch Hans Carossas Kriegstagebuch aus dem Ersten Weltkrieg, das Rumänische Tagebuch: »Da ist diese menschliche Größe, die sich in einer flammenden und blutigen Welt, wo alles aus den Fugen fällt, zum Glauben an den Sinn durchringt; da ist diese weite Kraft, daß einer neben dem Einschlag der Geschosse noch die blühende Blume sieht; da ist die erlösende Geduld, die nicht ins Fuchteln und ins Verzweifeln stürzt, sondern das gottgesetzte Schicksal still und männlich-demütig erfüllt; da ist ein dichterischer Kristall, wie er nur werden konnte unter dem ungeheuren Druck eines Weltschicksals.«103 Gottgesetztes Schicksal und männlich-demütige Erfüllung, Geschoß und Blume, Weltenschicksal und dichterischer Kristall – Frisch geriet hier sprachlich in gefährliches Fahrwasser.
Aufschlußreich für sein Verständnis des Nationalsozialismus ist der Bericht, den er von der Berliner Ausstellung »Wunder des Lebens«, die »unleugbar eine Prachtleistung ist«, erstattete.104 Entzückt vom »glücklichen Mittelweg … zwischen allzu populärer Vereinfachung und allzu ausschweifender Gründlichkeit«,105 mit welcher hier ein »Hauptpfeiler nationalsozialistischer Ideen«, »nämlich die Naturwissenschaft«, veranschaulicht wird, bemerkte er nicht, wie sehr er mit diesem Entzücken den Nazis bereits auf den Leim gekrochen war. Indem er die ideologische Verzerrung von Naturwissenschaft, wie sie den Nazis eignete, umstandslos für Naturwissenschaft an sich hielt. Nur einen Punkt gab es, wo diese Verzerrung auch Frisch über die Hutschnur ging; immerhin liebte er zu dieser Zeit eine Jüdin. »Empörend ist dieser Selbstruhm, der seine eigene Rasse erhöht, indem er alles andere in den Schmutz stößt. Was die Ausstellung über die Juden bringt … läßt es uns äußerst schwer werden, über diesem dritten Reich das ewige Deutschland nicht zu vergessen.«106 Doch als sei diese Formulierung schon des Scharfen zuviel, nahm er sie im Nebensatz wieder ein Stück zurück. Er gestand den Nazis zwar ein »notwendiges Zurückdämmen« der Juden zu, bat sie aber auch, »die Rassenfrage nicht länger auf die Spitze« zu treiben.107
Man darf solche peinlichen Äußerungen nicht überbewerten. Frischs Ablehnung des Nazismus ist unbestritten. Doch sie war schmal begründet. Zum einen im Geschmack: Der bürgerliche Individualist und Traditionalist scheute die laute Massenbewegung der Gleichgeschalteten. Denn der »Weg zur wahren Gemeinschaft« verlaufe nicht über den Massenmenschen, sondern »über das erfüllte und selbstreife Individuum«.108 Zum anderen moralisch: Die Rassendiskriminierung ging ihm – über das »notwendige Zurückdämmen« hinaus – zu weit. Zum dritten verachtete er die politische Vereinnahmung der Kunst durch die Nazipolitik. Sie widersprach diametral seinem eigenen, unpolitischen Verständnis von Kunst. Und schließlich imprägnierte er sich mit einer schweizerischen Nationalideologie, der sogenannten »Geistigen Landesverteidigung«, gegen die Anfechtungen von außen. Diese Ideologie – im nächsten Kapitel wird davon ausführlich die Rede sein – war ein recht eigenartiges geistig-politisches Konglomerat, welches nicht nur die unterschiedlichsten Richtungen im Lande auf eine ideologische Linie brachte, sondern zugleich einen Riegel gegen die Versuchungen von jenseits der Grenzen schob, indem es zahlreiche Gedanken der dortigen Staatsideologie in abgewandelter Form integrierte. Frisch wurde ein glühender Vertreter dieses nationalschweizerischen Denkgebäudes.
Hier wird in »leichtfertiger Deutschfeindlichkeit gemacht«
Ein früher Text, der diese Gesinnung bereits in manchen Zügen zum Ausdruck bringt, ist der Brief, den er am 26. August 1934 an Käte Rubensohn schrieb: »Bald beginnt unser Schauspielhaus, das wieder ganz gute Kräfte besitzt, während der Spielplan einiges zu wünschen übrig läßt; besonders was die Uraufführungen anbelangt, scheint mir eine große Gefahr darin zu liegen, wenn sich ein hiesiges Theater, indem es unsere schweizerische Weltoffenheit übertreibt oder einseitig mißbraucht, zum Ableger verbotener Autoren macht, zum Emigrantentheater. Du wirst mich verstehen: die Beweggründe sind zu geschäftlich, man will die Gelegenheit benützen, ehemalige Berliner Berühmtheiten, die sich ohne den Umsturz zeitlebens einen Teufel um unser Schweizerländchen gekümmert hätten, bei uns aufzutrumpfen, ja, gewisse Stars sind nun billig und sogar für Zürich erschwinglich geworden, und es ist nicht der große Gedanke an Weltliteratur im Goethischen Sinne und die ernste Auffassung, daß diesen Verbotenen, wo sie wirklich etwas bedeuten, geholfen werden muß und daß es die Pflicht der Neutralen ist, dies zu unternehmen, nein, diese Geschäftsmanöver sind so ohne alle Gesinnung, und das Unglückliche daran ist es, daß sie trotzdem auf die Gesinnung wirken, d.h. daß hier in jener leichtfertigen Deutschfeindlichkeit gemacht wird, bloß weil es rentabel ist. Vielleicht sehe ich nun etwas zu dunkel, aber es scheint mir bekämpfenswert, wenn sich die Schweizer als Steigbügel hergeben, und gleich sündhaft, ob sich gewisse Kreise als hitlerische Provinz dünken möchten oder ob andere Leute, indem sie sich gegen das Dritte Reich propagieren lassen, sich zu einer Provinz des weimarischen Deutschland machen lassen. Wir sind Schweizer und müssen es heute leidenschaftlicher sein als je; unsere geistige Freiheit, die wir hochhalten werden zwischen drei Diktaturen, erfordert die völlige Unbefangenheit, scheint mir, und dürfte nicht auf diese Art mißbraucht werden. Das ist es: wir haben weder für noch gegen Deutschland zu sein, und daß gerade dies der durchschnittliche Deutsche in seinem Wahn, daß Deutschland die Welt bedeute, niemals begreift, bringt uns den irrtümlichen Vorwurf einer Deutschfeindlichkeit. Wäre eine wahrhaftige Deutschfeindlichkeit in uns, so wären wir gerade dadurch nicht mehr frei und von Deutschland nicht mehr unabhängig, wie wir es um jeden Preis sein müssen und sein wollen.«
Die Kritik an der Geschäftstüchtigkeit des damaligen Schauspieldirektors Ferdinand Rieser ist nicht aus der Luft gegriffen. Rieser war ein autoritärer Patriarch, geschäftstüchtig bis zur Gerissenheit, gefürchtet von seinen Angestellten wie von seinen Geschäftspartnern. Aber das war nur die eine Seite. Die andere war beachtlich. Nicht nur hatte er seit 1926 die Pfauenbühne mit Erfolg als Privattheater ohne städtische Subvention betrieben, sondern sie auch zu einer Bühne mit hohem künstlerischem und politischem Niveau aufgebaut. Gegen massive Widerstände aus Stadt- und Bundesregierung, von den Berufsverbänden und den Schriftstellervereinigungen engagierte er, und nicht erst sein berühmter Nachfolger Oskar Wälterlin, das legendäre Emigrantenensemble nach Zürich und rettete damit zahlreichen Spitzenkräften vermutlich auch das Leben.109
Interessant ist der Zusammenhang, in