Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991. Urs Bircher

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Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 - Urs Bircher

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geführt. Worauf Korrodi sich in der NZZ das »taktlose Hervortreten politischer Emigranten in unserem Land« energisch verbat – er meinte damit allerdings nicht die krawallierenden Frontisten, sondern die Theaterleute vom Schauspielhaus! Vom Theater verlangte er Kunst, das hieß für ihn Gesinnungsneutralität. Frischs Brief bläst in dasselbe Horn. Aufschlußreich ist auch Frischs politische Argumentation: Ob Weimarer Republik, ob Nazideutschland, ob Faschist oder Antifaschist, beides gilt ihm gleich, nämlich gleich falsch. Das einzig Richtige ist, proschweizerisch und weder für noch gegen Deutschland zu sein, auch wenn dieses Deutschland zum Terrorregime verkommen ist. Der echte Schweizer ist gesinnungsneutral. Genau diese Gesinnungsneutralität in den Medien hatten die Nazis seit ihrem Machtantritt von der Schweizer Regierung immer wieder gefordert. Aber der Bundesrat lehnte jede diesbezügliche Zensur mit dem Hinweis ab, die politische Neutralität der Schweiz beinhalte nicht die Eliminierung der Meinungsfreiheit. Indem Frisch sich in dieser Situation zum Anwalt der Gesinnungsneutralität machte, spielte er unfreiwillig den Nazis in die Hände.110

      Alle restlichen Beiträge des Jahres 1935 sowie sämtliche Beiträge von 1936 hat Frisch aus den Gesammelten Werken verbannt. Der offizielle Grund: Ab der Mitte der dreißiger Jahre begann er nach einer anderen Lebensform zu suchen. Er empfand den freien Journalismus, diesen Kompromiß zwischen Bürger- und Künstler-Leben, zunehmend als Sackgasse. Der Zwang, auch dann »in die Öffentlichkeit« zu schreiben, wenn man gerade »nichts zu sagen hat«,111 habe ihn zu gedanklichen Wiederholungen, zu wortreichem Leerlauf, zu eitler Oberflächlichkeit verleitet. Soweit Frischs Selbsteinschätzung. In den rund dreißig Texten jener Zeit, die nicht in die Gesammelten Werke eingingen, finden sich in der Tat manche Gedanken, die er anderswo schon besser formuliert hatte. Aber nicht nur. Frisch schattete mit seinen Aussparungen auch die Tatsache ab, daß er seit 1935/36 ein überzeugter Vertreter der »Geistigen Landesverteidigung« war. Das nächste Kapitel wird sich damit eingehend befassen.

      Antwort aus der Stille

      Mitte der dreißiger Jahre stand Frisch erneut vor einer Wegscheide. Wollte er die journalistische Brotschreiberei aufgeben, so standen ihm prinzipiell zwei Wege offen: Entweder er setzte alles auf die Karte der Kunst und versuchte, sich als Berufsschriftsteller durchzusetzen. Oder er erwarb einen bürgerlichen Beruf zur Sicherung des Lebensunterhalts und betrieb die Schriftstellerei nebenbei.

      Bevor er diese Entscheidung traf, spielte er sie auch dieses Mal in einem großen Text, der »Erzählung aus den Bergen« mit dem Titel Antwort aus der Stille, literarisch durch.112 In Jürg Reinhart hatte er die Möglichkeit der Selbstverwirklichung als Künstler beschrieben und sie dann zu leben versucht. Im neuen Text erkundete er den Weg zur künftigen Existenz als Bürger. Der Protagonist Dr. Leuthold (den Leuten hold) ist die Gegenfigur zum reinen, harten Reinhart. Er ist dreißig, promovierter Lehrer (der typische Karriereberuf des Schweizer Intellektuellen aus kleinen Verhältnissen) und natürlich Leutnant der schweizerischen Milizarmee. Er ist verlobt und steht kurz vor der Hochzeit. Die Auspizien für eine gutbürgerliche Existenz stehen gut. Doch Leutholds Selbstempfinden widerspricht dieser Lebensperspektive. Er giert nach dem Besonderen, dem Höheren, dem Unkonventionellen. Vierzehn Tage vor der Hochzeit – sozusagen in Torschlußpanik – wagt er den letzten, verzweifelten Versuch, der scheinbar unentrinnbaren bürgerlichen Konvention zu entkommen. »Es ist sein letzter Versuch, wozu er aufgebrochen ist … Einmal muß man sein jugendliches Hoffen einlösen, wenn es nicht lächerlich werden soll, einlösen durch die männliche Tat …«113 Die männliche Tat um »Sein oder Nichtsein« besteht diesmal weder im Geschlechtsakt noch im Akt der Sterbehilfe, sondern in einer lebensgefährlichen Besteigung des noch unbezwungenen »Nordgrats«. Nordwand-Erstbesteigungen waren, dank neuer Klettertechniken, zwischen 1931 und 1938 in Mode: 1931 wurde erstmals die Nordwand des Matterhorns bezwungen, 1935 die Grandes Jorasses, 1938 schließlich die Eigernordwand, die lange als unpassierbar gegolten hatte. Frischs thematischer Hintergrund lag also ganz im Trend der Zeit.

      Wer die gesellschaftliche Dimension menschlicher Selbstverwirklichung im Auge hat, mag in einer Bergkraxelei kaum eine Schicksalstat erkennen. Doch genau diese gesellschaftliche Dimension blendete Frisch, wie schon im Jürg Reinhart, auch diesmal aus: Nicht durch Bewährung im sozialen Leben, sondern im Einzelkampf mit sich und der Natur besteht die Herausforderung des »Schicksals«; nur in der außersozialen Ausnahmesituation reift der Mann.114

      Der Plot ist auch diesmal einfach gebaut. Im Berggasthaus lernt Leuthold Irene kennen, eine junge Dänin. Ihr vertraut er seinen Plan an. Sie übernimmt an Leuthold eine ähnliche Funktion wie Inge an Reinhart. Sie lehrt ihn in langen Gesprächen, seine bürgerliche Existenz, aber auch seine Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen, mithin die Gespaltenheit seines Ichs, zu akzeptieren. Er träumt sich mit Irene in ein Land »ohne Alltag« und flieht auf den Flügeln der neuen Liebe in die Wunschgefilde eines außer-gewöhnlichen, eines erfüllten Lebens. Aber der Traum bricht vor der körperlichen Besiegelung jäh zusammen: Irene gesteht, mit einem kranken Mann verheiratet zu sein. Die bürgerliche Normalität hat den Ausreißer wieder eingeholt, die Flucht auf die romantische Insel ist gescheitert, die Konvention triumphiert. Also bleibt nur die Nordgratbesteigung, um der »Lächerlichkeit« und »Gewöhnlichkeit« zu entkommen.115 Leuthold überlebt das Bergabenteuer. Aber er kehrt nicht als Held, sondern als ein Geläuterter zurück, der angesichts des Todes erfahren hat, »daß es kein gewöhnliches Leben gibt, kein verächtliches Leben, das einfach wegzuwerfen wäre, und daß wohl alles genug ist, was wir wirklich erfüllen«.116 Die quälend empfundenen Zwänge eines normalen bürgerlichen Lebens verschwinden vollständig hinter der Dankbarkeit, überhaupt zu leben. Wenn es um »Sein oder Nichtsein« geht, wird die Frage nach dem »Wie-Sein« belanglos. Das große Problem der Integration in eine als lebenstötend empfundene Gesellschaft reduziert sich unter diesem Blickwinkel auf den persönlichen Reifeprozeß, auf die Bescheidung in den Alltag, auf die Annahme des ›Schicksals‹. Damit sind die normsprengenden Lebensansprüche aus Was bin ich? und aus Jürg Reinhart aufgegeben. Frisch selbst hat sich in einer literarischen Entlastungshandlung seinen Einstieg in die bürgerliche Gesellschaft freigeschrieben.

      Die Wege ins bürgerliche Leben: Schreibverbot und Architekturstudium

      Die Entscheidung gegen die Kunst und für die Bürgerlichkeit fiel 1936, als Frisch an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (eth) das Studium der Architektur aufnahm. Sie wurde mit einer Manuskriptverbrennung besiegelt. Im Herbst 1937 »wurde alles Geschriebene zusammengeschnürt, inbegriffen die Tagebücher, und alles dem Feuer übergeben. Ich mußte zweimal in den Wald hinaufgehen, so viele Bündel gab es, und es war, ich erinnere mich, ein regnerischer Tag, wo das Feuer immer wieder in der Nässe erstickte, ich brauchte eine ganze Schachtel Streichhölzer, bis ich mit dem Gefühl der Erleichterung, auch der Leere weitergehen konnte.« – »Das heimliche Gelübde, nicht mehr zu schreiben, wurde zwei Jahre lang nicht ernstlich verletzt.«117

      Die Gründe für diesen Entschluß waren vielfältig. Die ablehnenden Reaktionen Hermann Hesses, Werner Coninx' und anderer auf die »Bergerzählung« – die deutsche Tageskritik hatte sie überwiegend gelobt – bestärkten Frisch in der Furcht, als Schriftsteller nicht zu genügen. Später sprach er von einem eigentlichen »Zusammenbruch«,118 der ihn veranlaßt habe, die Schriftstellerei aufzugeben und, fünfundzwanzigjährig, ein Architekturstudium zu beginnen. Werner Coninx, der reiche Schulfreund, setzte ihm ein Stipendium aus: 16 000 Franken verteilt auf vier Jahre – eine ansehnliche Studentenbörse, die ungefähr dem späteren Anfangsgehalt des dipl. Arch. Max Frisch entsprach. Auch außerliterarische Ereignisse spielten wohl eine Rolle: 1936 wollte Frisch Käte Rubensohn heiraten. (Auf dem Zürcher Standesamt wurde ihm unaufgefordert ein Arierausweis ausgehändigt!) Käte lehnte den Heiratsantrag schließlich ab. Einmal, weil sie argwöhnte: »Du bist bereit, mich zu heiraten, nur weil ich Jüdin bin, nicht aus Liebe.« (Montauk) Zum andern habe sie ihn darauf hingewiesen, daß er »nichts erlernt hätte, was man einen Beruf nennen könnte«.119

      Soweit die Geschichte, wie Frisch sie überliefert hat. Sie enthält manche Selbststilisierung. Zum Beispiel: Frisch hatte sein Architekturstudium

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