Die Unbeirrbare. Barbara Kopp

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Die Unbeirrbare - Barbara Kopp

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sie im Feuerwehrhaus unter den Ministranten einen gleichaltrigen Knaben aus der Nachbarschaft: «Ich verachtete ihn, denn er war ein Schlingel, hatte selten eine geputzte Nase und war ziemlich dumm. Ich war überzeugt, dass ich mich am Altar sehr viel besser ausgenommen hätte.»19 Gewillt, einen würdigeren Anblick als der Nachbarsjunge abzugeben, bestürmt sie den Priester, ebenfalls ministrieren zu dürfen. Doch auch in einem Feuerwehrhaus ist in den Zwanzigerjahren ein Mädchen im Ministrantenrock und mit Weihrauchfass am heiligsten Ort unvorstellbar. Gertrud gibt nicht nach, setzt dem Priester zu, bis er ihr erlaubt, als Abfindung gewissermaßen, nach der Messe die Geldspenden einzusammeln. Ein Mädchen mit der Opferbüchse sei damals, so Gertrud Heinzelmann, bereits ein Tabubruch gewesen.

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      Um nach dem Zürichhorn zu gelangen, mussten wir etwa 3–4 Spalten überqueren. Bei der 1. gab ich nicht besonders Acht, fiel und riss mir stark die Hand auf. Die letzte Spalte war die gefährlichste. Fortwährend gluckste das Wasser hervor und es begann in ihrer Nähe ordentlich zu krosen und krachen. Auf dem Rückweg benutzten wir aber ein Brett, um wieder heimwärts zu gelangen.»

       Gertrud Heinzelmann an Paul Zimmermann

      Mutter Bertha (2. v. li.), Gertrud (2. v. re.) und Elisabeth auf dem zugefrorenen Zürichsee 1929.

      In Wallisellen kennen die Heinzelmanns die anderen katholischen Familien, und Tochter Gertrud weiß genau, welche sie für liberal und welche sie für konservativ zu halten hat. Wohl verkehrt man mit der einen oder anderen, selbstverständlich mit den fortschrittlichen und «besser Frisierten», doch auch in der protestantischen Umklammerung sucht die Familie keine katholische Nähe. Im Dorf gäbe es beispielsweise den «Katholischen Frauen- und Mütterverein» zur Unterstützung in Erziehungs- und Familienfragen oder die «Töchterkongregation» zur Anleitung der Heranwachsenden zu einem christlich-sittlichen Lebenswandel. Gertrud macht eine Zeit lang bei «Iduna» mit, dem konfessionell und politisch neutralen Mädchenverband innerhalb der Antialkoholbewegung, und Bertha weiß auch ohne kirchliche Anleitung, wie sie ihre pubertierenden Töchter zu erziehen hat. Sie, das ehemalige Bürofräulein, besucht 1928 mit ihren Töchtern in Bern die SAFFA, die erste «Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit», zu deren Eröffnung mit einer riesigen Schnecke gegen das vorenthaltene Frauenstimmrecht protestiert wurde. Vehement wehrt sie sich jedoch dagegen, dass Gertrud und Elisabeth, die gerne modische Bubikopf-Frisuren hätten, ihre langen Zöpfe abschneiden und zügelt ihre Sinnlichkeit. Als Onkel Frank aus London schreibt, sein Sohn habe tanzen gelernt und den ersten Ball erlebt, begehrt Gertrud auf, sie müsse hundertjährig werden, bis ihr dies auch erlaubt würde. Berthas Kommentar: «S’stimmt schon!! ha ha ha ha. Mer händ au nid alles gha & sind gliech gross worde! Ich lasse sie lieber Ski fahren als tanzen, da chund nu früeli gnue!»20 Den Töchtern gibt sie unmissverständlich zu verstehen, dass nur Dienstmädchen uneheliche Kinder haben, im Heinzelmannschen Haushalt solches jedoch nicht vorkomme, demnach gebe es einzig Enthaltsamkeit. Als Gertruds reformierte Mitschülerinnen im letzten Schuljahr den Konfirmationsunterricht besuchen, lädt der Pfarrer für den Aufklärungsunterricht Rosa Gutknecht ein. Sie ist die erste Pfarrerin von Zürich, arbeiten darf sie am Großmünster jedoch lediglich als Pfarrhelferin. Im weißen Stehkragen sei sie dagestanden, erinnert sich Gertruds Schulkollegin Hedy Bierter-Würgler, und habe ihnen das Übliche mit etwa diesen Worten geraten: «Wenn Sie unbedingt einen Freund haben müssen, stehen Sie mit ihm nachts immer unter eine Strassenlampe, damit die Passanten sehen können, was passiert.»

      Gertrud und Elisabeth haben Berthas Lektion wohl verstanden und verkünden den Mitschülerinnen im Brustton unerschütterlicher Überzeugung, sie seien aus anderem Holz und keineswegs heiratslustig. «Mir sind nöd ghüratig», sagen die Schwestern und machen Gertruds Schul- und Studienkolleginnen derart Eindruck, dass keine diesen Satz vergisst. Doch Bertha scheint ihren Töchtern nicht ganz zu trauen und sorgt dafür, dass jede den erforderlichen Schliff erhält. Die Jüngere wird für mehrere Wochen nach Zürich an den Zeltweg in die Koch- und Haushaltungsschule der Elisabeth Fülscher geschickt, der Älteren wird dieser Schliff nur insofern erlassen, als sie ihn privat erhält. Bertha nimmt Gertruds Kochausbildung systematisch an die Hand, durch jeden Kochgang wird die Tochter «duretrüllet», angefangen beim Suppenkochen, weiter zum Braten, Garen, Schmoren bis zum Backen und Servieren.

      Jahre später, Gertrud und Elisabeth sind inzwischen 21 und 19 geworden, betrachtet Bertha befriedigt den Erfolg ihrer Erziehungsmaßnahmen und meldet nach Brasilien: «Die Maitli sind fleissig & lieb, wir können mit den Kindern sehr zufrieden sein! Schon manches Maitli von Trutlis Klasse ist verheiratet & gewöhnl. war ein Muss dabei.»21

      Ab Frühling 1931 besucht Gertrud Heinzelmann die «Höhere Töchterschule», das Mädchengymnasium von Zürich. In den Schulbänken sitzen Töchter von hohen Beamten, von Warenhaus- und Fabrikdirektoren, man wohnt in Zürichs besseren Quartieren, verkehrt gesellschaftlich unter seinesgleichen, bevorzugt beim Einkaufen protestantische Läden, und aus Prinzip stellt der eine oder andere Familienvater im Kader seines Betriebes keine Katholiken an. Doch zu Hause lassen sich die Töchter von katholischen Dienstmädchen bedienen, die man wegen mangelnder Manieren und fehlender Bildung und wegen ihrer andersartigen Bräuche belächelt. Nur wenige in der Klasse kommen aus bescheideneren Verhältnissen. Zum Erstaunen der Mitschülerinnen gibt sich Gertrud Heinzelmann als Katholikin zu erkennen, vom «Dröhtli» gefestigt und im stolzen Bewusstsein, einen freisinnig-liberalen Stammbaum zu haben, kurz, eine Herkunft vorweisen zu können, die nichts mit derjenigen von katholischen Dienstmädchen aus armen Landgegenden gemein hat. Im Übrigen ist sie zurückhaltend und gibt wenig Persönliches preis. Und wieder lernt sie für gute Schulnoten und ist stets sattelfest im Abfragewissen. Ihr aussergewöhnliches Gedächtnis beeindruckt, doch für diejenigen Mitschülerinnen, die sich auch für anderes als einzig für Lernstoff interessieren, ist sie keine Kameradin, der man nachgeeifert hätte. Hanny Zimmermann, die sich in der Klasse am besten bei Schlagern auskennt und später Zahnärztin werden wird, charakterisiert Gertrud Heinzelmann so: «Sie konnte sehr fröhlich und lustig sein, sie konnte bei Blödsinn mitmachen, sie war nicht stur, gar nicht. Aber ich hätte sie nie als Rivalin empfunden, wenn es darum gegangen wäre, in einer Tanzstunde mitzumachen. Da hat sie a priori nicht dazugehört.» Und Gerda Zeltner-Neukomm, die sich in der «Neuen Zürcher Zeitung», als Literaturkritikerin und Frankreichkennerin einen Namen machen wird, sagt: «Sie fiel mir damals auf, weil sie überhaupt nicht eitel war. Sie wollte nicht gefallen und hatte eine ganz besondere Sicherheit. Aus ihren Antworten habe ich immer gespürt, dass sie im Gegensatz vielleicht zu allen anderen von sich selbst absehen konnte.»

      Als das Abitur näher rückt, und sich Gertrud Heinzelmann für eine Studienrichtung entscheiden muss, nimmt sie auf die finanzielle Situation ihres Vaters Rücksicht und fällt einen Vernunftentscheid:

      «Ich habe lange zwischen Jus & Medizin geschwankt, aber das med. Studium geht minimal 13 Semester (Jus 6–8), ist sehr viel teurer als Jus & stellt sehr grosse Anforderungen an die Gesundheit, & nachher sind die Aussichten doch kaum günstiger als für Juristen.»22

      Hans Heinzelmanns beruflicher Wechsel hatte sich nicht als ein glücklicher erwiesen. Exporteinbrüche und als neues Phänomen der zunehmend schnellere Wechsel der Kleidermode setzen nicht nur der Strohindustrie, sondern auch dem Faden- und Garnhandel zu. Die goldenen Jahre, in denen zur Damengarderobe Seidenstoffe, Stickereien und Borten gehörten und «Zwicky Nähseide und Nähgarn» in europäischen Metropolen eigene Agenturen und Fabrikationsfilialen eröffnen konnte, sind längst Vergangenheit. Zudem konkurrenziert der Kunstseidenfaden, billiger und zäher als Nähseide, die Fäden aus der Walliseller Zwirnerei. Die Verkaufsresultate, die Hans Heinzelmann auf seinen Reisen erzielt, sind ständigen Schwankungen unterworfen, trotz allem sind sie in seinen ersten Jahren noch zufrieden stellend. Aus Ägypten meldet er im Februar 1924: «Hiermit wieder ein Lebenszeichen. Geschäftlich geht es gut, ebenfalls gesundheitlich.» — Im Juni aus dem niederländischen Nobelbad Scheveningen: «Geschäfte gut, Wetter schlecht, Gesundheit dürfte besser sein, Klimawechsel hat mir zugesetzt.»

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