Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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Schöpfungsgeschichte, und wie könnte diese aussehen? Alsberg stellt fest, dass kein naturwissenschaftlicher Forscher bis dato dem „genealogischen und dem biologischen Prinzip beim Menschen gerecht zu werden“5 vermochte und unterscheidet dabei die zooistischen von den anthropistischen Theorien. Also jene Ansichten, welche den Menschen allein aus dem zoon heraus entstehen lassen wollen von denjenigen, welche einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier postulieren. Fehlen jene darin, dass sie keine Antwort auf die Existenz eines spezifisch- oder prinzipiell-Menschlichen6 finden, stellt sich diesen die Frage ernstlich überhaupt nicht, und sie müssen, streng genommen, jeder genealogischen Ableitung entbehren. Damit jedoch löst sich die Frage nicht auf. Eine weitere Schwierigkeit der Lösung des Menschheitsrätsels erkennt Alsberg in dem Sachverhalt, dass die Tierpsychologie „mit Ausnahme des Begriffsvermögens alle anderen geistigen Formelemente auch beim Tiere nachgewiesen“7 habe, wodurch die Grenzlinie zwischen Mensch und Tier noch feiner zu bestimmen sei. Er schließt sich jedoch auch nicht H. Spencers Lösung an, die ein „überorganisches Gesellschaftsprinzip“8 für die Entwicklung des Menschen verantwortlich machen möchte. Denn dieses Prinzip führt eine neue Entität in die Debatte ein und bedarf weiterer Erklärungen hinsichtlich des Verhältnisses von Gruppe und Individuum.

      Das Prinzip der Körperausschaltung

      Alsbergs Dilemma stellt sich also folgendermaßen dar: Wie kann eine stringente Entwicklung des Menschen gedacht werden, die ihn mit all seinen Fähigkeiten als primus erklärlich werden lässt, ohne dass der naturwissenschaftliche Gattungsbegriff nach Linné gesprengt wird, und der Mensch ein Lebewesen unter anderen Lebewesen, als inter pares, bleibt? In seiner eigenen Frageversion schreibt er: „Was ist es mit dem Menschen, der aus dem Tiere hervorgegangen ist und offensichtlich doch kein Tier ist?“1, bei Erhalt einer gemeinsamen Substanz von Mensch und Tier die differentia specifica erklärlich werden zu lassen. Er löst diese Frage, indem er den Ursprung der Verschiedenheit in den Ursprung einer gemeinsamen Gattung zurückverlegt und Tier wie Mensch unterschiedlichen Entwicklungsprinzipien unterwirft. Er konstatiert, dass die menschliche Entwicklung „unter einem besonderen, einheitlichen Prinzip, welches in den beiden korrespondierenden Symptomen des körperlichen Rückganges und des technisch-geistigen Wachstums seinen greifbaren Ausdruck findet.“2 Er bestimmt dann weiterhin, dass die tierische Entwicklung auf den Körper, „die menschliche Entwicklung auf das künstliche Werkzeug gestellt“3 sei.

      Das Entwicklungsprinzip des Tieres ist das Prinzip der Körperanpassung (Körperfortbildung), das Entwicklungsprinzip des Menschen ist das Prinzip der Körperausschaltung vermittelst künstlicher Werkzeuge.4

      Die Antwort des Tieres auf Anpassungszwänge der Umwelt ist die organische Anpassung, die Antwort des Menschen auf das Andrängen der Umwelt ist die Entwicklung entsprechender Werkzeuge bei grundsätzlicher Beibehaltung seiner physischen Verfassung. Somit ist die Entwicklung des Menschen keine Steigerung der tierischen, sondern ein echtes „Novum“5 und der Mensch vom Tiere als wesensverschieden6 bestimmt.

      Alsberg versteht unter Organ „jedes anatomisch und funktionell zusammengehörige Teilgebilde des Körpers“7 und unter Werkzeug „ein jedes außerkörperliche (künstliche) Mittel, mit welchem eine Ausschaltung des Körpers bewirkt wird.“8 Diese Unterscheidung ermöglicht es ihm zwischen „Überorganischem“ und „Außerorganischem“9 zu unterscheiden und auch den Tieren Tradition im Sinne überorganischer Weitergabe von Verhalten zu konzedieren, ohne dass der Triebmotor des Entwicklungsprinzip des Menschen, die Körperausschaltung per Werkzeug, dabei in Anschlag gebracht werden muss.

      In Anwendung seines Werkzeugbegriffs führt Alsberg stringent auch Sprache und Begriff, sowie weiterhin Moral und Ästhetik seinem Menschheitsprinzip der Körperausschaltung zu. Im Wort erkennt er das lautliche oder sprachliche Werkzeug10, dessen Stoff geistiger Natur ist und schließt:

      Wie das stoffliche Werkzeug, so ist auch das Wort ein absolut selbständiges Gebilde, es führt ein Leben für sich und ist in seinem Dasein allein an den Gegenstand gebunden, als dessen Symbol es auftritt.11

      Er präzisiert die Sprache als ein „außerkörperliches (künstliches) Werkzeug, mit welchem der Mensch die Ausschaltung seiner Sinnesorgane bewerkstelligt und damit das Prinzip der Körperausschaltung befolgt.“12

      Als gegenstandsgebundenes Werkzeug, welches außerkörperliche Wahrnehmung vertritt, sei es ebenfalls ein Novum und keine Steigerung von Bisherigem13.

      An dieser Stelle konstatiert er jedoch einen „Drang nach Vervollkommnung“14, den er der Technik wie der Sprache zuspricht. Allein die Einführung eines Telos, um Entwicklungen bei Technik und Sprache zu begründen, scheint mir eine überflüssige Zutat, finden wir doch schon beim täglichen Umgang und der Anwendung beider Arten genügend Motive, um diese entsprechend den Notwendigkeiten des Augenblicks weiter zu entwickeln. Hier reicht das Spektrum von zwingender Notwendigkeit bis zum Zufall. Ein wie auch immer geartetes inhärentes Telos dabei scheint mir deshalb entbehrlich.

      Ästhetik als eine Erscheinungsform des Prinzips der Körperausschaltung

      Unter Anwendung der Reihe: „comparatio – abstractio – reflexio“1 erklärt Alsberg den Vorgang der Abstraktion mit der „Konzentrierung der Aufmerksamkeit auf das gemeinsame Merkmal“2 und erreicht somit die Höhe des Begriffs, den er sogleich im Unterschied zum Wort, welches für ihn „Gegenstandssymbol“3 ist, als „Beziehungssymbol“4 bestimmt. Im Rückgriff auf Schopenhauer erklärt er die Tätigkeit des Verstandes als die Umwandlung der „Sinnesempfindungen in Wahrnehmungen und Vorstellungen“5, während die Vernunft „das Vermögen der Begriffe“6 darstellt. Mit Hilfe des Begriffs eröffneten sich dem Menschen ganz neue Perspektiven:

      Er sieht nicht nur das Heute, sondern auch das Gestern und Morgen; nicht nur das Nahe, sondern auch das Ferne; nicht nur das Einzelne, sondern auch das Ganze in unserem Vorstellungsbereich und schafft auf diese Weise, einen neuen, in die Tiefe und Breite dringenden Lebenszusammenhang.7

      Dann bestimmt er die „Besonnenheit“8 als das Werkzeug des Kulturmenschen, die „Wahrheitsidee“9 als dasjenige der Wissenschaft und die Idee „des Guten“10 als das Werkzeug des Prinzips der Körperausschaltung. Das ästhetische Erlebnis ist für Alsberg subjektiver Art, welches die tätige Anwendung des Entwicklungsprinzips des Menschen, die Köperausschaltung, auf den Akt der Wahrnehmung des Schönen anwendet und somit die tierische Komponente der „begehrlichen Körperlichkeit“11 suspendiert. Auf diese Weise entsteht ein der Natur entzogener Raum, in welchem das Schöne erscheinen kann.

      Wenn wir aber in der ästhetischen Betrachtung alle praktischen Lebenszusammenhänge durchschneiden, so heißt das nichts anderes als den Akt der „Körperausschaltung“ vollziehen. Das „Schöne“, das ästhetische Erlebnis, tritt „an Stelle“ der begehrlichen Körperlichkeit. So erweist sich auch die Ästhetik als eine Erscheinungsform des Prinzips der Körperausschaltung.12

      Die Körperausschaltung wird als ein Akt der Vernunft deklariert, da sie in „jedes Mal gleicher Art, durch eine gleiche Selbstobjektivierung vermittels abstrakter Ideen herbeigeführt“13 wird.

      Das Reich des Schönen und die Selbstwerdung des Menschen

      Das Tier, schreibt Alsberg, ermangelt der Ästhetik, weil es „im Zuge seines Entwicklungsprinzips, welches dauernde und intensive Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse und Geschehnisse der Umgebung gebietet“1, die oben genannten Lebenszusammenhänge nicht durchschneiden und sich nicht auf diese Art selbst verobjektivieren kann. Wir erkennen in dieser Beschreibung eine die gesamte Durchführung des Werkzeuggedankens sowie des Prinzips der Körperausschaltung zugrunde liegende Bedingung der dringenden Auseinandersetzung der Lebewesen mit ihrer Umwelt, welche ständig und ununterbrochen

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