Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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Dasein gebe es ihn, und er drücke „eine gewisse Physiognomik ihrer Innenzustände, der Zuständlichkeiten des Gefühlsdrangs als des Innenseins ihres Lebens, wie matt, kraftvoll, üppig, arm“2, aus.

      Der Ausdruck scheint derart grundlegend für das gesamte Leben zu sein, dass es dem Menschen noch heute außerordentlich schwer fällt, die Ausdrucksqualitäten dessen, was er betrachtet, bewusst außen vorzulassen. Der nüchterne wissenschaftliche Blick auf die Naturphänomene ist eine Errungenschaft der Neuzeit, und das Erwachen des menschlichen Bewusstseins kennt in allen Kulturen die Projektion der Innenzustände des Lebewesens Mensch in seine Außenwelt, welche sich durch ihn begeistert und sich mit mythischen Wesen erfüllt zeigt.

      Auch die Empfindung wächst bei Scheler aus der Bewegung. Sie ist erlittene Bewegung, und er definiert ihre allgemeinste Idee als „Begriff einer spezifischen Rückmeldung eines augenblicklichen Organ- und Bewegungszustandes des Lebewesens an ein Zentrum und eine Modifizierbarkeit der je im nächsten Zeitmoment folgenden Bewegung kraft dieser Rückmeldung.“3

      Der Reflexbogen, den Scheler hier beschreibt, äußert sich in der auf die Empfindung folgende Bewegung, wobei in diesem höchst innigen Zusammenhang noch nicht entschieden ist, in wieweit die Bewegung eine geführte oder irgendeine allgemeine, unbestimmte Bewegung ist. Sicher bleibt jedoch, dass sie eine Folge der erlittenen Bewegung, also Empfindung, ist und sich als ein Tun des Lebewesens äußert. Dieses Tun wird alsdann wiederum empfunden. So schließt und öffnet sich zugleich ein Kreis der anlandenden Empfindung; einerlei, ob durch das Tun des Lebewesens selbst provoziert oder willkürlich erlitten. In seiner Konsequenz jedoch eröffnet sich dem Lebewesen ein Raum, ein Dazwischen, ein freier Raum, zwischen sich und Welt, eine kleinste Fraktur, welche es von der Welt scheidet und dieser gegenüberstellt. Empfindung ist in diesem Sinne eine Zustandsempfindung der Selbstbewegung. So verschieden Empfindung und Bewegung scheinen, erwachsen sie gleichursprünglich mit dem Leben.

      Alle Kunst jedoch entsteht aus geführter Bewegung, aus tätigem Empfinden, einer sozusagen zweiten oder dritten Potenz der Empfindungsmöglichkeiten. Die Voraussetzung dafür finden wir mit Scheler bereits auf der untersten Stufe des Lebens, dem Gefühlsdrang. Selbst die einfachsten Empfindungen, seien nämlich „nie bloße Folge des Reizes, sondern immer auch Funktion einer triebhaften Aufmerksamkeit.“4

      Sie seien Ausdruck des Gefühlsdrangs, welcher über die Vermittlung seines Drängens auf Widerstand treffe. Dieses Widerstandserlebnis bestimmt Scheler als den Ursprung der Erfahrung von Wirklichkeit:

      Der Gefühlsdrang ist auch im Menschen das Subjekt jenes primären Widerstandserlebnisses, das die Wurzel alles Habens von «Realität», von «Wirklichkeit» ist, insbesondere auch der Einheit und des allen vorstellenden Funktionen vorangängigen Eindrucks der Wirklichkeit.5

      Produktiver Antrieb für die Möglichkeit von Vorstellungen im Innenleben des Lebewesens sei die „triebhafte Aufmerksamkeit“6. Sie sei gleichsam verantwortlich für die Schaffung der Anlage der vorstellenden Funktionen aus dem auf diese Weise aus der Widerständigkeit der Welt geschöpften Eindruck.

      Die Realität ist in ihrer subjektiven Gegebenheit eine Erfahrung des ungeistigen, triebhaften Prinzips in uns: eine Erfahrung des einheitlichen, wie immer sich spezialisierenden Lebensdranges in uns. Und Realität ist als etwas Objektives und unserem Erfahren Transzendentes notwendig Gesetzheit durch das ursprünglich geistblinde dynamische Prinzip des Dranges – des anderen uns noch erkennbaren Prinzips des Urgrundes selbst.7

      Was sich im Mikrokosmos Mensch abspielt, findet seine Parallele im Makrokosmos und vervollständigt so die metaphysische Konzeption des Schelerschen Welt- und Menschenbildes. Der schöpferische Drang als metaphysisches Prinzip und als Prinzip des Lebendigen erschaffe Realität. Dem Geist, dem zweiten Attribut des Urgrundes, fällt dann die Rolle zu, dem darunter sich befindenden Chaos seine ordnenden und zur Vergöttlichung der Welt führenden Werte anzubieten. Für die Erkenntnis bedeutet dies, dass Realsein kein Gegenstandssein ist, in welchem sich gleich ein wie auch immer geartetes Sosein der Dinge ausdrückt, sondern zuerst ein „vielmehr Widerstandsein gegen die urquellende Spontaneität, die in Wollen, Aufmerken jeder Art ein und dasselbe ist.“8

      Desgleichen heißt dies, dass dieses Widerstandserlebnis eine Erfahrung des aktiven Selbst ist und mit den peripheren Sinneserlebnissen nicht verwechselt werden darf, denn „nicht Empfindungen widerstehen, sondern die Dinge selbst.“9 Die Betonung der Aktivität eines Selbst bei der Erfahrung der Realität überhaupt, lässt es als plausibel erscheinen, dass das Lebewesen Mensch, die Realität zuerst als Leibsein begreift, da für es gilt:

      Das Realsein in der Sphäre «Leibsein» und in der Struktur des Urphänomens «Lebendigsein» ist dem Realsein in der Sphäre «Totsein» (= Mangel an Lebendigsein) so vorgegeben, dass primär und ceteris paribus alles in der Sphäre «Außenwelt» überhaupt Gegebene als leibhaft und lebendig gegeben ist – und dies solange als nicht spezifische ent-täuschende positive Erfahrungsinhalte einiges außenweltliche Sosein als nicht-leibhaft und -lebendig, sondern als körperhaft und tot (= ohne ein Für-sich-Sein und Innensein Seiendes) zu besonderem Aufweis bringen.10

      Wenn dem Lebewesen Mensch die Welt zuerst all das ist, was es als lebendiges Wesen selbst ist, so entziffert sich ihm die Welt über das Rissig-Werden dieser vorerst natürlichen Haltung. Eine wesentliche Unterscheidung dabei ist die Erkenntnis eines Anderen des Lebens, des Unbelebten, des Toten oder nur Gegenständlichen. Dieser Vorgang illustriert, was man die Tendenz des Wahrnehmens nennen könnte:

      Wahrnehmung – das ist ursprünglich nur der Begriff einer Richtung: der Richtung einer mehr negativ-kritischen als einer positiven Tätigkeit; nämlich Kritik und der Negation der ‚Tradition‘ kraft vergegenständlichender Erinnerung, der Kritik und Negation ferner der Fikta der Trieb- und Wunschphantasie auf Grund von Erfolg und Misserfolg des praktischen Verhaltens gegenüber den ‚zunächst‘ mit Wahrnehmungscharakter und Ding- und Bildcharakter gegebenen «fiktiven» Gegenständen. Ein Ende und ein Ziel also ist die Wahrnehmung – wahrlich nirgends der Anfang seelisch-geistiger Entwicklung.11

      Instinkt und Rhythmus, die schöpferische Dissoziation, Intelligenz und Wahl

      Der dissoziierende Vorgang bei der Entfaltung des Geschehens Wahrnehmung findet sich analog in der Abfolge der seelischen Wesensformen des Lebendigen wieder. War der „Gefühlsdrang“ noch weitgehend einheitlich und undifferenziert – das pflanzliche Leben ist fest mit dem Boden verwurzelt, ernährt sich aus dessen chemischer Analyse und differenziert grob wie zum Beispiel zwischen Licht und Dunkel –, so kennzeichnet Scheler die nächste Stufe des Lebendigen durch den Instinkt und bestimmt ihn als eine art-dienliche Zeitfigur1. Eine Erweiterung der Fähigkeiten des Lebendigen, derer die Pflanze in ihrer Verwurzeltheit nicht bedarf, da die Seinsveränderung des lebendigen Wesens im Hinblick auf den Ort durch Selbstbewegung ein Privileg der tierischen Lebensform ist.

      In diesem Sinne nennen wir „instinktiv“ ein Verhalten, das folgende Merkmale besitzt: Es muss erstens sinnmäßig sein, d.h. so sein, dass es für das Ganze des Lebensträgers selbst, seine Ernährung sowie Fortpflanzung, oder das Ganze anderer Lebensträger […] teleoklin ist. Und es muss zweitens nach einem festen, unveränderlichen Rhythmus ablaufen.2

      Das Wort „sinngemäß“ im Zusammenhang mit dem Instinktiven verwundert, ist aber der Idee eines teleoklinen Ablaufs geschuldet, dem Zweck der Überlebenssicherung des Individuums durch von der Spezies aufgebaute und bereit gestellte komplexe Verhaltensweisen. An dieser Stelle erscheint zum ersten Mal die Bewegung als Ortsveränderung in den Formen von einem Zu-hin und Von-weg, von Angriff und Flucht, Attraktion und Repulsion. Der gewachsene Aktionskreis des tierischen Lebewesens spiegele sich in seiner Struktur als komplexerer Aufbau wider. Er bedinge ebensolche komplexere Abläufe

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