Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Transzendierende Immanenz - Manfred Bös страница 9

Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

Скачать книгу

und List“30. Auf der psychischen Seite bedeute dies die „plötzliche aufspringende Einsicht in einen zusammenhängenden Sach- und Wertverhalt innerhalb der Umwelt“31. Mit dem Hinweis auf die Köhlerschen Studien zu Schimpansen diskutiert Scheler, ob diese Art der Intelligenz zumindest einigen wenigen Tieren zugeschrieben werden kann und kommt zu dem Schluss, dass Köhler mit „vollem Recht […] seinen Versuchstieren einfachste Intelligenzhandlungen“32 zuspreche:

      […] auch nicht feste, typisch wiederkehrende Gestaltstrukturen der Umwelt lösen das intelligente Verhalten aus – vielmehr sind es vom Triebziel determinierte, gleichsam ausgewählte Sachbeziehung der wahrgenommenen einzelnen Umweltteile zueinander, welche das Aufspringen der neuen Vorstellung zu Folge haben: Beziehungen wie gleich, ähnlich, analog zu x, Mittelfunktion zur Erreichung von etwas, Ursache von etwas.33

      Der vom Ziel gepackte Trieb verlängere sich sozusagen in die Umwelt des Tieres hinein und verwandele darin befindliche Dinge in Quasi-Gegenstände zu seiner Erreichung: „Die Triebdynamik des Tieres selbst ist es, die sich hier zu versachlichen und in die Umgebungsbestandteile hinein zu erweitern beginnt.“34 Wir beginnen hier – nach Scheler – „das Kausal- oder Wirkphänomen“ in seinen Ursprüngen zu „belauschen“35. Allerdings handele es sich hier nicht um irgendeine reflexive Tätigkeit, sondern um „eine Art anschaulicher Umstellung der Umweltgegebenheiten selbst. […] Aber es ist doch echte Intelligenz, Erfindung, und nicht nur Instinkt und Gewohnheit.“36

      Der Mensch ist weltoffen

      Bis zu dieser Stelle der Beschreibung des Lebendigen reichen die von Scheler so genannten seelischen oder psychischen Stufen: „Gefühlsdrang, Instinkt, assoziatives Gedächtnis, Intelligenz und Wahl“1 und es stellt sich ihm nun die Frage, ob zwischen Mensch und Tier nur ein gradueller oder ein wesentlicher Unterschied bestehe. Eine Gruppe sehe sich gezwungen einen „überquantitativen Unterschied“2 zu machen und den Tieren Intelligenz grundsätzlich abzusprechen, die andere verlängere das oben Beschriebene, was zur Theorie des «homo faber»3 führe. Beiden Seiten versagt Scheler seine Zustimmung und meint:

      Das Wesen des Menschen und das, was man seine «Sonderstellung» nennen kann, steht hoch über dem, was man Intelligenz und Wahlfähigkeit nennt, […] Das neue Prinzip steht außerhalb alles dessen, was wir «Leben» im weitesten Sinne nennen können. Das, was den Menschen allein zum «Menschen» macht, ist nicht eine neue Stufe des Lebens – erst recht nicht nur eine Stufe der einen Manifestationsform dieses Lebens, der «Psyche» –, sondern es ist ein allem und jedem Leben überhaupt, auch dem Leben im Menschen entgegengesetztes Prinzip: eine echte neue Wesenstatsache, die als solche überhaupt nicht auf die «natürliche Lebensevolution» zurückgeführt werden kann, sondern, wenn auf etwas, nur auf den obersten einen Grund der Dinge selbst zurückfällt: auf denselben Grund, dessen eine große Manifestation das «Leben» ist.4

      Die Griechen nannten diese eine echte neue Wesenstatsache, welche allein auf den obersten einen Grund der Dinge selbst zurückfällt, «Vernunft»5 und statteten sie im nous poietikos6 mit eigener Handlungsenergie aus. Scheler erweitert diese Vorstellung des «Ideendenkens»7 um „eine bestimmte Art der «Anschauung», die von Urphänomenen oder Wesensgehalten, ferner eine bestimmte Klasse volitiver und emotionaler Akte wie Güte, Liebe, Reue, Ehrfurcht, geistige Verwunderung, Seligkeit und Verzweiflung, die freie Entscheidung mit umfasst“8, und nennt sie «Geist»9. Dessen Sitz sei die «Person»10, welche nicht zu den psychischen Lebenszentren gehöre. Er charakterisiert Geist vor allem durch dessen „existentielle Entbundenheit vom Organischen, seine Freiheit, Ablösbarkeit […] von dem Bann, von dem Druck, von der Abhängigkeit vom Organischen, vom «Leben» und allem, was zum Leben gehört – also auch von seiner eigenen triebhaften «Intelligenz».“11

      In der Folge besitzt also ein geistiges Wesen wie der Mensch eine singuläre, diesen von allen anderen Lebewesen unterscheidende Freiheit. Er sei „umweltfrei und, wie wir es nennen wollen, «weltoffen»: Ein solches Wesen hat «Welt».“12

      Das mit Geist begabte Lebewesen Mensch gehe nicht wie das Tier ekstatisch in seiner Umwelt auf, sondern könne das „Sosein dieser Gegenstände prinzipiell selbst“13 erfassen, weitestgehend ungestört von den Triebsystemen. Deshalb bedeutete die Begabung mit Geist vor allem das Erfassen der Welt als eine sachliche: „Geist ist daher Sachlichkeit, Bestimmbarkeit durch das Sosein von Sachen selbst. Geist «hat» daher nur ein zu vollendeter Sachlichkeit fähiges Lebewesen“14. Vollendete Sachlichkeit heißt hier, im Besitze vollständiger Gegenstandskategorien zu sein, welche es dem Menschen erlauben, einen Gegenstand auch unter veränderten Bedingungen, selbst als veränderten Gegenstand noch identifizieren zu können. Die Welt löst sich dem Menschen nicht in triebbestimmte Beziehungen auf, sondern ihre Gegenstände bleiben isoliert und bestimmbar. Der geistbegabte Mensch kann sozusagen durch sich hindurch, unter Hintanstellung seiner selbst auf die Welt hin blicken. Was er sieht, weise zugleich über sich hinaus in eine Offenheit, welche den Bann der tierischen Umwelt hinter sich gelassen habe. Im Blick des Menschen eröffne sich nun zugleich das, was hier und jetzt nicht zu sehen ist, das Nichtanwesende, die Negation des positiven Teiles der erfahrbaren Welt:

      Der Mensch ist das X, das sich in unbegrenztem Maße «weltoffen» verhalten kann. Menschwerdung ist Erhebung zur Weltoffenheit kraft des Geistes.15

      Der Geist ist das Organ, vermittels welchem der Mensch mit dem Weltengrund direkt und vor allen anderen Lebewesen verbunden sei. Es sei der Geist, der ihm echte Einsicht in den Aufbau der Welt gewährt, da der Geist durch das Handeln des Menschen, seines non non fiat, der Welt als Drang entsagt und so dem Geist die Energie verleihe, den Weltengrund zu erkunden. Im Menschen träfen sich Geist und Leben.

      Der Mensch ist nach Scheler kein vom andrängenden Leben auf einer ihm sich als Widerstand offenbarenden Welt hin fortgetriebenes Wesen, sondern (anders als bei Alsberg in der Durchführung seiner intelligiblen Instrumentenmacherkunst sich weiterentwickelndes Tier) eines, welches die Einheit dieses und ein dem Leben entgegen gesetzten Prinzips, des asketischen Prinzips des Geistes, der mit Einsicht in den Wesensgrund der Welt jenen Drang so zu regieren wisse, dass er in actio der natura naturans des sich entwickelnden Göttlichen mittue16 und der Welt auch ihr innerstes Leben ablausche, darstelle. Das Schelersche Lebewesen Mensch ist ein anthropos metaphysikos, ein Wesen also, welches im Unterschied zu allem übrigen Leben als einziges qua seines Geisthabens Einsicht in die Wesenszusammenhänge besitzt. Kein werkzeugintelligentes Tier also, sondern mit Selbstbewusstsein ausgestattet erscheint der Mensch. Dieses Selbstbewusstsein ist das Resultat einer „zweiten Dimension und Stufe des Reflexaktes“17 und zugleich der Vollzug des ungegenständlich Geistigen, welcher allein im Akte der Sammlung erreicht werden kann.

      Sammlung, Selbstbewusstsein und Gegenstandsfähigkeit des ursprünglichen Triebwiderstandes bilden eine einzige unzerreißbare Struktur, die als solche erst dem Menschen eigen ist.“18

      Mit der Fähigkeit zur Gegenständlichkeit sowohl seinem Körper wie der Welt gegenüber, kann der Mensch die für seine Beziehung zum Weltengrund entscheidende Frage stellen: Warum ist Etwas und nicht viel mehr Nichts? In dieser Frage ließen sich alle Fragen nach den jeweilig einzelnen Wesen zusammenfassen. Es ist die Frage nach dem to ón dem höchsten allgemeinen Seinsbegriff sowie nach dessen umfassender allübergreifender Ordnung19. Nichts anderes bedeutet die Schelersche Wesensschau als die Einsicht in diese Ordnung via Reduktion der Vielfalt der Welt auf Exempla dieser und deren Ansicht als Ideen.

      Der Künstler und der Metaphysiker

      Zwingend muss Scheler die Existenz eines „übersingulären Geistes“1 annehmen, wenn er „eine in dieser Welt sich realisierende Ideenordnung unabhängig vom menschlichen Bewusstsein annehmen und dem Urseienden selbst als eines

Скачать книгу