Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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Person, und zwar zunächst ihrer Fundamentalbeziehung zur Umwelt.“8

      Die Versinnlichung des Geistes und die Vergeistigung der Sinne

      Plessner sucht nun die Bedingungen der Möglichkeit dieses Erkenntnisgeschehens aufzudecken und zu explizieren. Die Einheit der Sinne ist der erste Band seiner erkenntnistheoretischen Schriften1, mit der er die innere Verschränkung von Körper und Geist (res extensa und res cogitans) am psychophysischen Wesen Mensch aufzeigen möchte und diesen damit wieder ins Zentrum der philosophischen Betrachtung rücken will. Er holt das „philosophische Verständnis der Naturgestaltung, wie sie die sinnliche Organisation des Körperleibes darstellt“2, wieder ins philosophische Denken zurück. Methodisch wie in seiner Fragestellung orientiert er sich an Kant, indem er, wie dieser, dessen indirekte Fragestellung anwendet und sich auf der Suche nach Antworten auf das Erkenntnisproblem an die entsprechenden Wissenschaften wendet, dieses Mal jedoch nicht an die Naturwissenschaften, sondern an die Geisteswissenschaften:

      Sollte, paradox genug, eine augenscheinlich naturphilosophische Angelegenheit vielleicht durch Orientierung an der Geisteswissenschaft, ja an kulturellen Ausdrucksformen des Geistes selbst entschieden werden müssen? 3

      Mit dieser Ausrichtung der erkenntnistheoretischen Fragestellung gewinnt Plessner die Fallhöhe für die rechte Justierung seiner Ausgangsfrage nach dem Rätsel des Gegenständlichen im Bewusstsein sowie hinsichtlich ihrer möglichen Zustände und Zuständlichkeiten: der Anschauung und der Auffassung. Damit auch der Körperleib als letzter Gegenstand auf dem Weg zur Einheit Mensch in die von ihm entworfenen Schemata Eintritt finden kann, wird Plessner später die Bewusstseinstafeln4 mit entsprechenden Haltungen des Körperleibes in Beziehung setzen. Denn letztlich ist es das Ganze des Körperleibes, welches die Gegenwart des Geistes und somit des Sinnes allgemein in der Welt abbildet.

      Ursprüngliche Gegenwart des Geistes ist nur an Leibern in ihrer Haltung ablesbar […] Die unmittelbare Ausdrucksfähigkeit des Leibes, welcher eine gleich unmittelbare und ursprüngliche Auffassungsgabe des Geistes für den Ausdruckssinn seiner Gestik, Mimik, Physiognomik notwendig entspricht, hat Geltung für jeden Inhalt, mag er seelischer Natur sein, woran wir zunächst denken, oder selbst auch geistigen, gedanklichen, sinnhaften Wesens.5

      Mit der Einarbeitung des Körpers in die von Plessner erweiterte erkenntnistheoretische Fragestellung verlängert er in der Ästhesiologie des Geistes die kantische Analyse in die Materie bzw. in das Sinnenmaterial in Form der Sinnesmodalitäten hinein und gewinnt dem Geist so das Angesicht der Welt zurück. Erst wenn der Mensch auf diese Weise wieder logostransparent geworden ist, wenn die rätselhafte Funktion seines Sinnenapparates und dessen Ergebnisse – die Gegenständlichkeit der Welt – aufgeklärt wurden und in ihrer Einheit als vom Geist durchherrscht bestätigt werden konnten, erst dann können auch wiederum die geisteswissenschaftlichen Disziplinen auf ihr Vernunftfundament geprüft und darauf aufgebaut werden. Der Gang zur kantischen indirekten Fragestellung über die entsprechenden Wissenschaften gewinnt auf dem Weg zu ihnen deren eigenes Fundament zurück. Diese Hermeneutik der Sinne sollte an ihrem Ziel die Fundamente für die wissenschaftliche Fundierung der Geisteswissenschaften liefern können; soweit die Erwartung, soweit auch der methodische Fortgang der Untersuchung Plessners in Die Einheit der Sinne. Allerdings begegnen sich bei einer solchen Fragestellung Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. Denn beide Bereiche menschlicher geistiger Tätigkeit sind Antworten auf Herausforderungen des Milieus an ihn. Zugleich jedoch sind sie für Plessner auch Garanten für den Realitätsgehalt seiner Fragerichtung. Denn sie zeugen vom Tun des Menschen über die Zeit und Generationen hinweg und sind keine Ausgeburten eines einsamen und beschränkten singulären Geistes. Die physische Organisation des Körpers, genauer der Sinnesorgane des menschlichen Leibes, und die geistes- oder kulturphilosophische Seite der Problemstellung bedürfen nun der Verbindung, was den oben genannten Bewusstseinszuständen korrespondierte. Das anschauende Bewusstsein muss also gemeinsam mit dem deutenden Bewusstsein zugrunde gelegt werden, um „der Wirklichkeit der Sinne die Einheit des Sinnes“6 vermitteln zu können. Die methodische Konsequenz der kantischen indirekten Fragestellung führt Plessner zwingend auf seine eigene Methode hin: eine hermeneutische Phänomenologie auf der Basis der kantischen Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis. An den Gegenständen der Kultur, der Werke des Menschen werden wir der Gegenständlichkeit der Welt und deren objektiven Natur inne. Denn die Werke zeugten vom Funktionieren unserer Sinne und deren Modi, welche die Erscheinungsweisen der Materie seien. Die normative Wissenschaft der Sinne, Plessners „Normwissenschaftliche Untersuchung des menschlichen Geistes“7, im Unterschied zu einer „seinswissenschaftlichen Methode der Tatsachenfeststellung […] als eine Kritik der Sinne im Gegensatz zur Physik, zur Physiologie und Psychologie“8, kennzeichnet die Differenz wie auch eine denkbare Komplementarität der Vorgehensweisen. Plessners kritische Studien der Sinne wenden sich also in keiner Weise gegen naturwissenschaftliche Vorgangsweisen.

      So rücken die Begriffe Anschauung9 und Verstehen (bzw. Auffassung) ins Zentrum der theoretischen Aufmerksamkeit:

      Anschauung ist, ohne an Dasein (wie anschauliche Phantasmen, Phantome beweisen) des Angeschauten gebunden zu sein, das Vergegenwärtigen eines distinkten Inhalts in präsentativer Form. Sie bezeichnet ein Bewusstsein, das in klar umschriebener Weise ein qualitativ in sich Bestimmtes gegeben vorfindet und als Gegebenheit hinnimmt. Das Gegebene steht für nichts, sondern ist bloß da und bringt sich dar in größerer oder geringerer Klarheit und Deutlichkeit. Was sich darbringt hängt ab von der Haltung der Person, die aus der Fülle des Seins die entsprechenden Gehalte gewinnt, weil zu ihnen in entsprechende Einstellung kommt.10

      Anschauungen sind demnach Vergegenwärtigungen eines distinktiven Inhalts in präsentativer Form. Diese müssten notwendiger Weise jemandem gegeben sein. Sie könnten entweder objektiv, also unabhängig vom Subjekt eines Bewusstseins, interindividuell, von einem Individuum loslösbar sein, ohne jedoch gleich eine überindividuelle, z.B. soziale Größe zu bilden, oder subjektiv, d.h. von einem Bewusstsein abhängig sein. Sie könnten jedoch auch intersubjektiv gegeben sein – ohne gleich objektiv zu sein–, was bedeutete, dass sie bis zu einem gewissen Grade in einen Raum zwischen Subjekten eintreten könnten, für die an diesem Raum teilhabenden Subjekte gegenwärtig wären.

      Daneben hält sich Plessner für die verschiedenen Arten der Anschauung an das traditionelle Menschbild des Trimorphismus aus Geist, Seele und Leib, wobei der Leib auch in der Verbindung mit dem Wort Körper auftritt und zum Körperleib wird. Der Begriff Körperleib vereint eine materielle Seite, den Körper, mit einer psychischen Komponente, der Vorstellung eines Bewusstseins, sozusagen im Futteral eines Körpers zu stecken, sowie den entsprechenden Empfindungen dafür. Für Plessner ist diese Vorstellung eine der Gründe für die platonische Idee des Körpers als Grab der Seele, sie gibt jedoch für ihn auch eines der Motive für seine Bestimmung der menschlichen Subjektivität als exzentrischer Positionalität ab. Den drei Erscheinungsweisen der Einheit Mensch ordnet Plessner nun nicht sofort seine drei Anschauungsarten zu, sondern behält erst einmal nur die abstrakte Dreiteilung bei, welches als Dreier-Schema Anwendung findet: die antreffende Anschauung, welche sich in physischer Materie zeige und darstellbar sei, die innewerdende Anschauung, welche sich in psychischer Materie zeige, nicht darstellbar, sondern nur präzisierbar sei, und schließlich die der füllenden Anschauung, welche sich in der Gestalt aus der Vereinigung von Materie (Hyle) und Form (Eidos) zusammensetze, eine Empfindungs- und Ideenschau, die sich in prägnanten Gehalten zeige.

      Anschauungen können darstellbar, präzisierbar, prägnant sein. Darstellbarkeit und Präzisierbarkeit gelten nur von solchen Gehalten, die physisch-intersubjektiv an den Raum erfüllenden Körpern oder Leibern oder psychisch-interindividuell erscheinen. Darstellbar ist jede direkt abbildbare ausgebreitete Gestalt, einerlei ob sie wirklich oder imaginiert ist, einem Raum angehört oder nur anzugehören scheint. Indirekt durch Bewegung etwa, Reaktionen irgendwelcher Art (Laute, Zeichen usw.) eindeutig festlegbare und insofern mitteilbare Gehalte, die sich zwar nicht abbilden lassen, ohne aber darum an Bestimmtheit in der Gegenwart und interindividueller

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