Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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wie Plessner sagt, falsch sei, würde sich dennoch bestätigen, dass „wir die unmittelbare Ausdruckshaltung als typische Sinnbezogenheit des Leibes anerkennen“12 müssten. Wir stoßen hier wieder auf ein Leitmotiv des Plessnerschen Denkens, der unmittelbaren Gegenwart des Geistes im Körperleib13, der damit entgegen der cartesianischen Deutung der res extensa als Ort der sinnvollen Verschränkung zwischen Geist und Materie erkannt wird. Der sich in der Haltung des Körperleibs spiegelnde geistige Gehalt sei, wenn nicht gleich konkretisierbar oder präzise deutbar, ein Fall der prägnanten Anschauung, in der sich in Form der Gestalt (z.B. Körperhaltung) die Vereinigung materieller und kategorialer Gehalte zeige. Die Anschauung fülle sich mit diesen, mit Bestimmtheit zu identifizierenden, wenn auch nicht gleich zu deutenden Körperbildern an. Im Spiegel der Seele14, im Erlebnis15, könne sich die präzisierende Funktion der Sprache an der Deutung dieser Körperbilder interpretierend abarbeiten.

      Plessner hält mit Scheler alles Seelische für interindividuell, „geistige Akte dagegen sind rein individuell und könnten nur immer von einem Individuum erlebt werden.“16 Sprache könne die absolute Isoliertheit der Individuen bis zu einem gewissen Grade aufheben. Die über deren Zeichen vermittelten Inhalte jedoch müssten, um voll und ganz verstanden zu werden, von jedem einzelnen Individuum wiederum durchlebt werden. Wenn dieses Durchleben nicht stattfände, gestattete die Vermittlung durch Sprache, deren Bedeutungen „interindividuell präsent“17 seien, dem Individuum zwar ein Verstehen, nicht jedoch im vollen Sinne des Wortes.

      Unter diesem Aspekt gesehen leistet die Sprache durch die Funktion des Meinens eine universelle Interindividualisierung. Sie sucht Darstellbares und Nichtdarstellbares eindeutig fassbar zu machen und durch die Bedeutung von Worten und Sätzen über die Zone interindividuellen seelischen Seins noch hinausgreifend die gesamte Weltfülle in den interindividuellen Besitz zu bekommen.18

      Mit dieser universalisierenden Funktion der Sprache könnten prinzipiell alle Gegenstände und Sachverhalte in den Bereich präzisierbarer Darstellung aufgenommen werden. Der enorme Nutzen für die Menschheit wird sofort einsichtig: Die Individualitätsgrenzen werden überschritten und Inhalte für alle zugänglich, wodurch „die Überwindung der durch Natur und Wesen gesetzten Gemeinschaftsbindung zugunsten einer Befreiung und Erhebung aller in das spielende Leben der Gesellschaft“19 ermöglicht werde.

      Der Gegenstand der antreffenden Anschauung sei in seinen darstellbaren Gehalten der physischen Materie gegeben, derjenige, der innewerdenden Anschauung in den präzisierbaren Gehalten der psychischen Materie. Bliebe für die füllende Anschauung der prägnanten Gehalte die Frage nach ihrer eigentlichen Erscheinung. Sie sei eine Kombination aus „Empfindungsschau und Ideenschau“20. Plessner versucht diese Frage mit Hilfe des Gestaltbegriffes zu lösen, dem er die Aufgabe der Vermittlung eidetischer mit hyletischen Gehalten überträgt.

      […] daß der hyletische Gehalt der Empfindung und der eidetische Gehalt der Wesensschau zwar strukturlos sind, darum aber doch nicht völlig nackt und formlos sein können, da das Bewusstsein in ihnen selbst die Präzision findet, durch welche sie für die Anschauung qualitative Prägnanz und Unterscheidbarkeit besitzen. […] für alle Gehalte, komplexe und einfache, das Grundschema: sie sind notwendig aufgebaut aus einer Stoff- und einer Formkomponente. Jeder Gehalt hat Stoff und Form.21

      Eidetischer Gehalt und hyletischer Gehalt jedoch haben bei Plessner keine rein ideale oder stoffliche Komponente, sondern tragen Spuren des jeweilig anderen an und in sich:

      Hier ist die Stofflichkeit luzide, durchsichtig, lauter, dort ist sie undurchsichtig, aufdringlich, trübe.“22

      Auf jeden Fall aber besäßen komplexe Anschauungsgehalte Struktur, und „das heißt Gestalt“23. Neben den kategorialen Gehalten besteht bei Plessner die quidditas der Scholastik als unabhängige und besondere Einsicht des „eidetischen Tiefblicks“24 Vermittelnde. Zu ihr gehöre ein „bestimmtes kontemplatives Training und mehr als Zurückhaltung im Urteil über die Welt“25. Bei ihr sei eher das schauende Bewusstsein als die strenge Beobachtung am Werke, und Plessner beschreibt sie als eine Art „Witterung für die Wesenheit seines Milieus“26, die der Mensch grundsätzlich besitzen müsse.

      Es muß also eine letzte, alles nur vorkommende Was zu seiner Qualität bestimmende Gehaltfülle, das [87] Rote zum Rot, die Farbe zur Farbe, die Figur zur Figur, das Ding zum Ding, das Wesen selbst zum Wesen machende Formwelt geben, die alles trägt.“27

      Kategorialer Gehalt ist also demnach „Wesen hinsichtlich des Stoffes“28 . Der eidetische Tiefblick, jene Witterung für sein Milieu ist der eigentliche Zugang des Menschen zum Typischen, zur Abstraktion im Konkreten, zu dem, was Formwelt selbst ist. Auf dieser bestimmten Körperlichkeit des Abstrakten im Konkreten kann die Kunst aufbauen, denn die Gesetze der füllenden Anschauung und der prägnanten Gehalte basieren auf dem Eintrag geistiger Gehalte, also idealer Formen im Stoff. Sie stellt eine Mitte dar, welche die Kunst zwischen Sinn und Geist zu ergreifen vermag, sogar wenn sie diese zu fliehen beabsichtigt29.

      Die Wertschätzung des Körperleibes als logostransparenter Ort, an dem sich Körper und Geist mit ihren verschiedenen Anschauungsarten verschränkten, führt eine Skala der Typen der Hinwendung zu diesen ein.

      „Darstellbare Gehalte treffe ich an, präzisierbarer Gehalte werde ich inne, prägnante Gehalte erfüllen mich. […] und nur das Moment der blickstrahlenden Aufmerksamkeit bleibt in allem Typenwandel unberührt erhalten.“30

      Mit dieser Unterscheidung verliere die Wahrnehmung ihren aus Empfindungen kombinierten Charakter und wandele sich zu einer „autonomen Bewusstseinsart“31. Gleichzeitig werde sie von der Empfindung klar unterscheidbar. Denn die Gegenstände der Wahrnehmung würden in einem interindividuellen Raum angetroffen, während Empfindungen nicht interindividuell sind. Die blickstrahlende Aufmerksamkeit des Bewusstseins gewahre als innewerdende Anschauung alles Psychische, während die erfüllende Sinnenschau ein eidetisches und empfindungsstoffliches Gegenüber besitze. Überall gebe es dieses Gegenüber des aufmerksam hinschauenden Bewusstseins. Fehlte jedoch dieses Gegenüber, bliebe allein die Schau, könnte ein Gehalt frei sich entfaltend möglicherweise sein Wesen darbieten. Dafür jedoch bedürfe es normalerweise eines Trainings, mit dessen Hilfe das Bewusstsein „die störenden Seinschichten zu durchstoßen“32 vermag. Die so geartete Einsicht trüge dann den Charakter der Offenbarung, eines nicht erzwingbaren Erscheinens. Vom Bewusstsein angetroffene Gehalte liehen sich diesem nicht. Sie neigten ob Ihrer Identifizierbarkeit und ihres objektiven Charakters der Beobachtung zu. Prägnante Gehalte liehen sich dieser Art der Betrachtung in ausgezeichneter Weise und deuteten auf eine wesentlich andere Haltung eines Einsicht suchenden Bewusstseins. Sie neigten der Intuition zu.

      Vor aller Spezialisierung durch die Art des erschauten Gehalts ist Intuition ein offenes, hinnehmendes, zur Sache ohne viele Umstände, ohne die trübenden und abblassenden Zonen des Grübelns, Vergleichens, Abwägens sich aufschwingendes Verhalten. Die Sinne sind geöffnet, um widerstandslos die Fülle des Seins eindringen zu lassen. Der Mensch vertraut dem natürlichen Licht seiner Vernunft nicht weniger wie der Evidenz seines Gewissens und seines Empfindens. […] Rein werden in der Anschauung ist sein Ziel, Mittel dazu das Erkraften des durch alle Sinne, durch Instinkt, Gefühl und Gewissen hindurchtretenden geistigen Blickstrahles. […] Dagegen Beobachtung beherrscht von der Achtsamkeit. Der Beobachtende gibt Obacht auf das Objekt, er nimmt sich in acht, Grenzen, die ihm gezogen sind, nicht zu überschreiten.33

      Während die Beobachtung sich an vorgegebenen Kriterien orientierte, ließe die Intuition „nur die Evidenz sprechen“34. Wir treffen in diesen Modellen grundsätzlich unterschiedliche Arten des Verständnisses der Anwendung menschlicher Einsichtsmöglichkeiten an. Plessner ordnet diese Haltungen denn auch den historischen philosophischen Strömungen des Intuitionismus und des Kritizismus zu. Jedoch weder die „negative Einheit der Sinne im Intuitionismus“35 bergsonischer Prägung mit ihrer Wurzel im élan vital, noch der kantische Kritizismus mit seinem Schematismus

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