Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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      Es ist die unmittelbare Ausdrucksfähigkeit des Leibes, welche das Grundschema der Erfahrung von Sinn für den Geist darstelle. Mag der Ausdruck nicht oder noch nicht fassbar oder beschreibbar sein, so geht es um die grundsätzliche Erfahrung der Gegenwart eines im Körperbild gegebenen Sinnes, die prinzipielle Erfahrung von Sinn, von Sinn in der thematischen Schau von Idee und Empfindung. Hier findet sich auch die „theoretische Garantie“6 des Verstehens überhaupt:

      Sie betrifft die Möglichkeitsgrundlage der Verleiblichung einer Intention und der sinngemäßen Korrespondenz im Auffassen von Seiten des anderen Menschen. Die Antwort lautet: jene gesuchte Garantie ist die mitvollziehbare Haltung, die wir zwar gegenständlich gebunden wahrnehmen, aber […] auf jeden Fall körpergegenständlichen Bindung freimachen und dadurch in Bewegung umsetzen können.7

      Plessner findet diese in der mitvollziehbaren Haltung. Im Körperbild erscheine eine bestimmte Verfassung des Geistes, welche an diesem abgelesen werden könne, und zwar in der Weise, dass es, freigemacht von der Erstarrung des Bildes, innerlich wiederum in Bewegung umgesetzt würde:

      In Bewegung umgesetzt, bestimmten sie den seelischen Habitus, Gefühlslage, Affektivität, Willensrichtung, Gedankenbildung und erhalten dadurch ihren seelischen Untergrund, ihre spezielle Motiviertheit, ihren bestimmten Sinn.“8

      Nun ist dieser seelische Untergrund nicht der zu verstehende Gegenstand selbst, dieser muss in Form von Sprache als präziser Sinn – metagrammatisch, grammatisch sowie zeichenhaft – weitergegeben werden. Doch der seelische Untergrund bildet allemal die letzte Basis des bis in die Einzelheiten hinein zu verstehenden Gehalts, an dem sich die präzisierende Arbeit der Sprache abzuarbeiten hat, um zu ihrer Präzision zu gelangen. Im Deutschen spiegelt sich dieser Vorgang auch in der Redewendung des „Nachvollziehens“ als Synonym für das Verstehen. Mit dem Ausdruck dies kann ich nicht nachvollziehen äußert man sein Unverständnis. Die Idee der Nachvollziehbarkeit für die Erkennbarkeit zeigt auf einen inneren Bewegungsablauf als Verständnisgrund für das zu Begreifende und für die Verschränkung von Sprache und Bewegung im Vorgang des Verstehens hin. Körperlich gegründet, wird der Verstehensvorgang unmittelbar plastisch und deutlich. Abstraktion bezeichnet dann eine Art des Verständnisses, das sich von jener Art des Verstehens als Nachvollziehbarkeit, der vollständigen innerlichen Kenntnisnahme und Bekanntschaft mit dem Gedanken entfernt hat.

      Der Modus des Hörens als Verbindung von Geist und Leib

      Die Modalität der Zustandssinne bildet demnach die Grundlage für die Vergegenwärtigung des eigenen leiblichen Seins, und sie ist zugleich die Garantie für die Möglichkeit der mitvollziehbaren Haltung, welche ihrerseits die Möglichkeitsbedingung für das Verstehen anderer ist. Hierin besteht die zentrale Stellung der Zustandssinne im Hinblick auf das Verstehen gegenüber jedem, dessen Kundgabe zum Verständnis aufrufe, sei es eine Person, ein Tier oder selbst eine Landschaft. Geben die Zustandssinne dem Bewusstsein ein sich selbst kund, so bilden sie deshalb die Grundlage für die Erkenntnis einer Kundgabe bzw. das Verständnis Anderer.

      Plessner betont, dass jene Garantie mitvollziehbarer Haltung nur in einem einzigen Fall fassbar werde, nämlich „im verstehenden Hören“1. Die Natur des akustischen Materials, welches in seiner Voluminosität und Dauer bzw. Vergänglichkeit seine letzte Verortung im Stimmraum des Körpers besitzt, bildet die Basis für die Akkordanz zur Haltung und somit zum unmittelbaren Verständnis der Musik.

      Also ist der Modus des Hörens diejenige Verbindung von Geist und Leib, in welcher Ausdruck als Haltung realisiert werden kann. Oder abstrakter gesagt: im Modus des Gehörs ist jede Sinngebung dem Körperleib möglicherweise gegenwärtig. […] Er ist mithin diejenige Art des Verständnisses von Geist (Einheit der Sinngebung) und Körperleib, in welcher der Geist dem Leibe sich kundgibt, […]“2

      Nicht der Körper als Gegenwart, sondern als Mittel ist die dritte Art des Verhältnisses von Körper und Geist. Sie mündet: „in zielgemäß gerichteten Bewegungen der Körper, in Handlungen.“3

      Der optische Modus und sein wesentliches Element der Sehstrahl, Urbild der Linie auf etwas hin, schließen ihr nicht wie der akustische Modus den Zustand eines phänomenalen Stoffes auf, sondern ergreife in ihr das Ziel des Handelns. In der Geometrie sieht Plessner die reinste Form seiner Funktion materialisiert. Mit ihrer Hilfe erschließt sich der Mensch den Raum und lernt diesen zu beherrschen. Mittels dieser Fähigkeit unterwerfe er sich die Welt, halte sie im Griff, könne sie berechnend ergreifen. Mittels der Funktion des optischen Modus wende sich der Mensch zu einem Gegenstand des Äußeren als Ziel oder Zweck, sogar jenes Äußeren, welches noch in der Zukunft liege. Durch Berechnung lerne er, es zu bestimmen und zu kontrollieren. Der Körperleib und die Kundgabe seines Zustandes spielten hier eine untergeordnete Rolle. Muss der Mensch dafür Sorge tragen, dass jener in seinem Tun weiterhin funktioniere, also zum Beispiel gesund bleiben, so bleibe er jedoch selbst vom berechnenden Zugriff auf die Welt selbst weitgehend ausgeschlossen, oder nur ein Bestandteil, den es zu bedenken gelte, soll der berechnete Zweck erreicht werden. Daher stamme auch die Abstraktion und Universalität der Wissenschaft. Distanz als dessen Art der Abstraktion bezeichne den Charakter des optischen Modus.

      Trotzdem ist die Ästhesiologie genötigt, den optischen Modus geradezu als die Weise der Aktualisierung ferner Mannigfaltigkeit zu fassen […] Der strahlige Bau dieser Modalität läßt jede Mannigfaltigkeit dem Bewusstsein gegenständlich erscheinen.4

      Allein selbst jene Gegenständlichkeit bleibe auch noch körperlich erlebbar und lasse auch heute noch die Spuren ihrer einst im Körperleib selbst verankerten Maße erkennen, und zwar in alten Bezeichnungen wie Elle oder Fuß. Eine lebendige Beziehung zwischen Maß und zu messendem Gegenstand – im Gegensatz eines von allem Gegenstand abstrahiertem Messsystem –, zeigen bis heute die schottischen Bauern, welche die Größe der Pferde in hands messen. An diesen und anderen Beispielen kann man noch immer die ursprüngliche Beziehung quantitativer Systeme zum Körperleib ausmachen.

      Wendet sich der Mensch im Modus des Optischen zum gegenständlichen Anderen, so erlebt er sich im Modus des Zuständlichen als ein Selbst und erlebt sich im Modus des Akustischen zu seinem Gegenüber als dessen Gegenüber oder sich selbst als sein eigenes Gegenüber. Der Modus des Akustischen führt die Mitte zwischen dem Unmittelbaren und dem Fernen aus. Er ist der Modus der qualifizierten Distanz per se, des Mittleren und birgt somit auch die Bedingung der Möglichkeit der Vermittelbarkeit. Deshalb auch ist er das bevorzugte – wenn auch nicht einzige – Material der Sprache, welche ob ihrer Kundgabefunktion des Eigenen wie Fremden, des Inneren wie Fernen eine Modalität benötigt, die sich verschiedensten Umständen anpassen lässt. Zwischen der Distanz des optischen Modus, der unmittelbaren Nähe der Zustandssinne und der mittelbaren – über die Bewegung mittelbaren – Gegebenheit des akustischen Modus vermittelt die alles präzisierende Sprache, die Verlautbarung schaffende Rede.

      Die Gegenständlichkeit der Sinne

      Die Frage nach der Gegenständlichkeit der Sinne war eine der Ausgangsfragen für das gesamte Unternehmen der Ästhesiologie des Geistes. Im letzten Kapitel nimmt Plessner das Problem wieder auf und führt es seiner Lösung entgegen. Seine Kritik an den zeitgenössischen Objekt- und Objekterkenntnistheorien richtet sich vor allem gegen die Vorstellung, dass die beiden Pole des Subjekts auf der einen und des Objekts auf der anderen Seite durch vermittelnde Schritte zu überbrücken seien. Vielmehr müsse der sinngebende Teil, der Geist „ein für allemal“1 von den physischen Vorgängen abgelöst werden, denn an diese könne sich kein Bewusstseinsvorgang anschließen, ohne dass sich eine metabasis eis allo genos einstellte. Plessners Lösungsvorschlag sieht eine Verschränkung von Subjekt und Objekt vor, und zwar im Sinne der Gegensinnigkeit, des „gegensinnig Aufeinanderbezogenseins von subjektiver Zuwendung im Sinnesfeld des Auges, Ohres, der Haut usw. und objektivem

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