Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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die Lockerung der Fesseln des Seins

      Unter Leben versteht Plessner jenes Sein, welches seine Grenze hat und so ein Innen schafft, dessen spezifische, unräumliche Distanz zu seinem Außen die Zugehörigkeit zu dieser Welt des Stoßes und des Zuges lockert. Daher kann es zur Welt des Außen einen Ort, eine Position einnehmen. Lockerung des Seins meint die Verbindung mit diesem und keine Transzendenz. Nicht über das Sein hinaus, sondern in Beziehung zu diesem, innerhalb des Seins und vermittelt mit diesem ist das lebendige Sein. Allein, es ist ein Standpunkt gewonnen, eine Stellung gelungen, welche gegenüber dem Sein in gegensinniger Vermittlung seine Grenzen habend mit diesem in Verbindung tritt und treten kann. Das lebendige Ding lockert die Fesseln des Seins, doch löst sie nicht.

      Der physische Leib des Organismus impliziert (und ist schon Niederschlag dieser Implikation) eine gegensinnige zur ursprünglichen Lebensrichtung gerichtete Tendenz, die doch in der Grundgesetzlichkeit des Lebens ihren Ursprung hat. Organisation überwächst das organisierende Leben, das nur in ihr physisch wird. In seiner Selbstvermittlung zur Einheit »begibt« sich der lebendige Körper seiner unmittelbaren Zentralität, er ist sie nur »noch« mit Hilfe seiner Organe. Er begibt sich seiner absoluten Selbstmacht, weil er ohne Organe nicht mehr zu leben vermag. Er verliert seine Selbstständigkeit, weil die Organe, wie sie ihn zur Einheit seiner selbst vermitteln, ihm diese Einheit nur durch Kontakt mit dem, was er nicht ist: mit dem Feld seiner Position ermöglichen. Als Ganzer ist der Organismus daher nur die Hälfte seines Lebens.1

      Im Physischwerden des Lebens gibt sich seine Organisiertheit und damit begebe sich das physisch geworden Leben seiner Zentralität. Es werde Teil eines größeren Ganzen und ist nunmehr nur die Hälfte seines Lebens. Als solcher sei der Organismus in einen Kreislauf von Prozessen eingebunden. Eigenes und Fremdes würden durch ihn hindurch vermittelt und, solange Assimilation und Dissimilation auf dem Gebiet von „Stoff- Energie- und Formwechsel“2 sich die Waage halten, existiere das lebendige Ding weiter. Als die Hälfte seines Lebens sei ihm sein „Positionsfeld“3 durch seine Organisation gesetzt. Er ist aber auch zugleich in einer Position zu diesem: „Der Organismus ist in Beziehung zum Positionsfeld exzentrischer Mittelpunkt.“4

      Exzentrischer Mittelpunkt zu sein, bedeute zum einen wie alle anderen Körper den Einwirkungen des Positionsfeldes ausgeliefert zum anderen jedoch gegensinnig zum Positionsfeld in seinen Grenzen immanent geborgen in sich selbst zu sein. Doch erscheint hier die Frage nach dem Verhältnis der Anpassung. Eine grundsätzliche Angepasstheit wäre dabei Voraussetzung für die Existenzmöglichkeit des Organismus, aber seine Entwicklung im Vollzug des Austausches, der gegensinnigen wie der gleichsinnigen, berge immer die Gefahr des Scheiterns, und deshalb „bleibt der Organismus bei aller Geborgenheit gefährdet. […] Deshalb heißt Leben in Gefahr Sein, heißt Existenz Wagnis.“5

      Dem Wagnis des Nichtseins stelle sich das Individuum, nicht das lebendige Sein. Dem Individuum seien jedoch Grenzen gesetzt, sowohl morphologisch wie chronologisch. Als existierendes Individuum sei es Resultat der Selektion, Voraussetzung seines „realen Stattfindens in körperlicher Wirklichkeit“6. Der Weg, sich der Nichtumkehrbarkeit der Entwicklung entgegenzustellen, heiße Fortpflanzung. Mit ihr werde die Kette der Individuen erneuert und der Sphäre des Nichtseins getrotzt. Im gegensinnigen Miteinander unterwerfe sich das Leben nicht dem Nichtsein, sondern jenes „Widerspiel“7 aufeinander bezogenen Seins stelle ein Ganzes dar, und das lebendige Ding behaupte sich darin. Seine „Autonomie verwandelt sich nicht in Heteronomie, sondern bleibt kraft Heteronomie erhalten.“8

      Leben trete immer in vielfältigen Formen auf, aber sobald der Weg zum Mehrzeller eingeschlagen sei, scheine ein Konflikt aufzutauchen, der durch die Form gelöst werden müsste: „Wählt das Leben einmal den Weg der Mehrzelligkeit, so wählt es den Konflikt zwischen Organisation und Körperlichkeit und muss ihn daher in der Form ausgleichen.“9

      Plessner stellt nun die Pflanze als jenes lebendige Ding vor, welches sich in offener Form organisiert. Diese Form bestehe in ihrer unmittelbaren Eingliederung in die Umgebung und bedinge damit entsprechend die Unselbstständigkeit dieser Lebensform. Die unmittelbare Eingliederung der Pflanze in ihre Umgebung ermögliche ihr den „Kreislauf des Gesamtstoffwechsels“10, und sie vermag es, aus anorganischen Stoffen „unter dem Einfluss des Sonnenlichts“11 komplexe organische Stoffe zu synthetisieren. Alles weitere Leben sei auf die Existenz von Leben in der offenen Form angewiesen. Tiere wie Menschen bauten ihre Stoffwechsel auf ihm auf. Auch der Ortswechsel, welcher den Pflanzen vorenthalten bleibe, scheine eine Folge dieses parasitären Sachverhaltes zu sein. Sie sei dem Lebewesen der geschlossenen Form vorbehalten.

      Geschlossen ist diejenige Form, welche den Organismus in allen seinen Lebensäußerungen mittelbar seiner Umgebung eingliedert und ihn zum selbständigen Abschnitt des ihm entsprechenden Lebenskreises macht.“12

      Mit der Bestimmung der geschlossenen Form erreicht die Ontologie des Lebendigen jenes Stadium, welches die Abständigkeit des Lebendigen von der Welt des Stoßes und Zuges endgültig bestätigt. Als Organismus mit seinen Grenzflächen ist der innere Antagonismus sein Organisationsprinzip. Damit bestimme er sich als die „Einheitsform der gesamten Mannigfaltigkeit“13, und es werde die Bildung eines Zentrums notwendig, in dem alle Organe zusammengefasst werden könnten. Der Körper werde so zur „Zwischenschicht zwischen dem Lebendigen und dem Medium“14. Doch mit der Tatsache, dass der Körper im Zentrum verkörpert sei, verdoppele sich dieser, er werde zum „Leib“15. Damit hebe sich das Zentrum, die „raumhafte Mitte, der Kern oder das Selbst“16 aus dem Körper heraus.

      Ausdrücklichkeit, Eigenbewegung und Dinglichkeit

      Sobald jedoch durch die Bildung eines Zentrums ein realer Unterschied am Körper selbst aufgetreten ist, ändert sich auch positional das Ganze und die Grundlage für alle diejenigen Erscheinungen, die an die Existenz des Bewusstseins geknüpft sind, ist geschaffen.1

      Zwar besitze ein solches Lebewesen „Wirklichkeit“2, doch bleibe diese doppeldeutig, denn es habe Distanz zu seinem Körper und sei sein Körper, ohne dass diese Verdopplung Eindeutigkeit berge. Ein solches Lebewesen „ist selbst – in ihm“3. In der topologischen Metaphorik Plessners wird das Zentrum nun zum im Körper liegenden ortlosen Hier, einem nicht relativierbaren und wesenhaften Ort, und dieses Selbst nun vermittelt zwischen dem den Körper Habenden und dem Körper Seienden und verwandelt sich somit in ein Selbst besonderer Art, es verwandelt sich in „ein rückbezügliches Selbst oder ein Sich.“4 Das Tier merke wohl sich und sei seinem Umfeld ein Gegenüber, doch es sei sich nicht als ein Ganzes dieser beiden Tatbestände gegenwärtig. Es handele aus seiner Mitte heraus, besitze Spontaneität, ein echtes Beginnen, doch es sei sich nicht selbst als ein Beginnendes, Körper Habendes und mit dem Umfeld als ein gegenüber Seiendes gegenwärtig, sich nicht mehr selbst gegeben. Diesen Sachverhalt bezeichnet Plessner als „Frontalität“5.

      Grenze, Organisiertheit, geschlossene Form, Zentrum oder Selbst und Frontalität treiben eine Bewegung voran, die Plessner mit dem Adjektiv ausdrücklich belegt, und er meint damit eine Dynamik des In-Freiheit-setzens, dem aus der Komplexität eines Ganzen sich entwickelnden Neuen:

      In dieser Distanz des Kerns seiner Positionalität, in dieser Abgehobenheit seiner raumzeithaften Mitte erkannte die Untersuchung Zug um Zug den Grund für seine Bewußtheit. Kern, Mitte, die positional überhaupt den Wert des Selbst (etwa in der Wendung: die Blume selbst als Trägerin ihrer Eigenschaften), des Subjekts des Habens besitzt, erhält durch die Distanz (in der geschlossenen Organisationsform) nicht etwa einen neuen Wert und Sinn, sondern er wird sozusagen nur in Freiheit gesetzt, er wird, was er an sich ist, ausdrücklich: Blickpunkt für eine Sicht, Subjektspunkt einer Bewußtheit.6

      Ausdrücklich werden heißt dann charakteristisch werden, heißt jene Form zu gewinnen, die in einer Tendenz angelegt sei, diese ausführen, zu steigern, herauszutreiben und damit zu interpretieren. Es handelt sich um eine Dynamik, die durch das Ontisch-Werden

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