Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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Reibungen der gegensinnigen Grenzhaftigkeit. Darin jedoch erkennen wir genau die Absicht des Autors, der eine Philosophie des Lebens sucht, welche unter dem „Gesichtspunkt“7 der Grenzhaftigkeit die Phänomene des Lebendigen denkbar werden lässt. Zudem erlaubt die topologische Metaphorik Plessners die Eingliederung des Bewusstseins in das Phänomen des Lebendigen und überwindet so die von Descartes gesetzte Kluft zwischen res cogitans und res extensa.

      Man darf keinen Wechsel in der Methodik darin sehen, wenn hier, bei den lebendigen Körpern, die geschlossen geformt sind, das Sein ins Bewusstsein sozusagen umschlägt und aus einem Kern ein Aspektzentrum wird.8

      Innerhalb der Lebewesen mit geschlossener Form konstatiert Plessner eine Spaltung in jene, die dezentral oder die zentralistisch organisiert sind. Zwischen Merken, gehemmter Erregung und Wirken, enthemmter Erregung spanne sich die Sphäre des Bewusstseins, eine raumhaft innere Grenze, „der Hiatus, die Leere, die binnenhafte Kluft, durch die hindurch auf den Reiz die Reaktion erfolgt.“9

      Diese Sphäre gelte es nun, ausdrücklich zu machen. Die Natur scheine zwei Formen entwickelt zu haben, wie diese Kluft zu überbrücken sei. Zum einen vermittelst Einschaltung des Bewusstseins in die Lösung der Aufgabe des Lebens, zum anderen vermittelst der weitgehenden Ausschaltung von jenem. Bei weitgehender Ausschaltung des Bewusstseins erreiche die Natur einen höheren Grad an Sicherheit in den Reaktionen des Lebewesens. Einschaltung des Bewusstseins bedeute den Zwang zu zunehmender Breite der Anschauung und eine entsprechend anwachsende Unsicherheit und Rückstellung der Instinktreaktionen.

      Die Aufmerksamkeit wird von dem Objekt der Bewegung auf die Bewegung als Objekt herübergezogen. Zersplitterung ist unvermeidliche Folge: Die Unbefangenheit ist dahin, der sichere Ausgang der Handlung, welche die volle Hingabe ans Objekt erfordert, in Frage gestellt.10

      Im Zentralorgan repräsentiere sich mehr und mehr Umfeld, dieses rücke dementsprechend vom Tier ab und gewinne an Struktur, werde zu Merk- und Wirksphäre, zu „Signalfeld und Aktionsfeld in Einem“11. Optische, akustische und taktile Gehalte zeigten sich nicht mehr unkoordiniert, sondern entbergen im Umgang mit dem Gegenstand eine dauerhafte Dingstruktur, indem das Tier die Beziehung zwischen Merken und Wirken am Umfeld erlebe.

      Was als Struktur der Haltbarkeit am Dinggebilde auftritt, ist in Wahrheit sein Bezug zur Motorik des Lebewesens, welches das Ding wahrnimmt. In dieser besonderen Schematisiertheit auf die vitale Aktion besteht für ein Zusammen sinnlicher Gehalte seine Dinglichkeit. Lenkbarkeit der Bewegungen mit dem eigenen Körper (auf Grund der Empfindbarkeit der Bewegungen) und dingliche Struktur des Umfeldes entsprechen einander. Zentralistische Organisation eines lebendigen Körpers und Auftreten von Dingen in seinem Merkfeld sind notwendig koexistent.12

      Das geschlossen zentralistisch organisierte Lebewesen könne Dinge haben. Die Organisation des Zentralorgans bedinge die Modalität der Repräsentation, und ein zeitlich und räumlich organisiertes Lebewesen habe Raum und Zeit. Es gibt mithin kein stärkeres Argument für die räumliche Beständigkeit der Welt, für die räumliche Organisation des Gehirns als die Ausbildung der Gleichgewichts- und Raumsinnesorgane, welche den durch die Eigenbewegung des Lebewesens sich ständig verändernden Standpunkt in eine Konstante verwandelt. Das in sein Gleichgewicht gebrachte Innen eines Lebewesens zeigt seine relative Unabhängigkeit, seine relative Ferne zu seinem Umfeld, ohne dieses jedoch tatsächlich zu verlassen, sich ihm zu überheben. Das Lebewesen verbleibt mit diesem in Beziehung, doch es hat sich einen Spielraum, einen Abstand geschaffen, welcher ihm ein Sein und eine Existenz gegenüber dem unbelebten Sein gestattet. Deshalb haben zentralistisch organisierte Lebewesen eine Wahrnehmungswelt, die beim Menschen unter der „Ordnungsform der Dinglichkeit“13 stehe. Denn anders als beim Tier, dem der „Sinn fürs Negative“14 fehle, grundiere das Abwesende selbst die Anwesenheit der Gegenstände. Das Negative garantiere die Unabhängigkeit der Gegenstände als solche für unser Bewusstsein, denn es löse sie aus ihrem Zusammenhang heraus und auf dem Hintergrund der Leere könnten sie als Einzelne dem Bewusstsein erscheinen. Dem Tier hingegen erschienen die Gegenstände als Qualitäten in ihrem komplexen Zusammenhang mit anderen Eindrücken.

      Hierbei zeigt sich, dass jede Stufe des Bewusstseins ein Verhältnis zum Einzelnen und zum Allgemeinen hat, dass sie in primitiver Form nicht voneinander geschieden sind und erst auf der höchsten uns bekannten Stufe menschlichen Bewusstseins gegeneinander treten.15

      Einzelnes im komplexen Zusammenhang mit Anderem ohne eine erweiternde, ins Unerreichbare hinausweisende Öffnung des Wahrnehmungsfeldes kann vom Tier begriffen und aktiv – d.h. vom Trieb angestoßen – angegangen werden. Dieser komplexe Zusammenhang einer relativen Angreifbarkeit ans Einzelne gestatte dem Tier, es auch soweit anzugehen und zu behandeln. Doch bleibe ihm das Einzelne als Individuum verschlossen. Das Ganze der Wahrnehmungswelt des Tieres in seiner Position der Frontalität breche ihm nicht ins viele Einzelne der Dinge, auch nicht ins Typische auseinander16. Es bleibe als eine Einheit notwendig bestehen, da dieser Wahrnehmungswelt noch ihr Pendant, die vollständig rückbezüglich gewordene Wahrnehmung der Wahrnehmung des Lebewesens nicht gegeben sei, und somit ebenfalls auch kein Negativum, keine Leere, welche den Raum für die Individuierung der Dinge erst hervorbringe.

      Die Ortlosigkeit des Menschen

      Das Tier unterbreche sein vom Trieb bestimmtes Tun nicht. Es kann nicht innehalten, um den Kopf zu heben und in die Ferne zu schauen. Das Tier kann seinen Blick nicht in die Ferne richten. Es sieht die Ferne nicht, sieht nicht den Horizont und die Leere des vor ihm weit ausgebreiteten Raumes. Das Tier sehe Einzelnes für sich1, Typisches im Verbund mit seinem Trieb und damit bleibe ihm auch der Aufstieg in die Kategorie verwehrt.

      Das Tier lebe aus seiner Mitte heraus, in seine Mitte hinein, aber es erlebe sich nicht als Mitte. Der Gesamtkörper sei noch nicht vollkommen reflexiv geworden2. Wenn das positionale Moment – „das Hindurch der Vermittlung“3 – zur Grundlage der nächst höheren Stufe werde, gewinne das positionale Moment zu sich selbst Abstand.

      Sein Leben aus der Mitte kommt in Beziehung zu ihm, der rückbezügliche Charakter des zentral repräsentierten Körpers ist ihm selbst gegeben.4

      Die Rückbezüglichkeit der positionalen Mitte als erweiterter Ausdruck seiner ihm selbst eigenen Natur gewinnt der Beschreibung des lebendigen Seins eine neue Dimension: Das sich selbst rückbezüglich habende, geschlossen und zentralistisch organisierte Lebewesen habe sich selbst und „darin ist es Ich“5. Es sei nun vollständig aus sich selbst herausgestellt und nicht mehr objektivierbar, ein absoluter Subjektspol, die „Spaltung in Außenfeld, Innenfeld und Bewusstsein vollzogen.“6 Es sei keine weitere Steigerung der Ausdrücklichkeit der angelegten Strukturen mehr möglich. Das Äußerste ist nun erreicht: „[…] ortlos außer aller Bindung in Raum und Zeit, und so ist der Mensch.“7

      Im Vollzug der Mitte vermittele das Tier die Pole des Körperseins und Körperhabens im ständigen Hindurch. Ohne diese Zentrizität durchbrechen zu können, werde sie dem Menschen rückbezüglich erlebbar und verliere damit die Absolutheit des Vollzugs im Hier und Jetzt, gelange an einen Ort, der nirgendwo mehr ist, hinter sich selbst. Das „Stehen in sich“8 sei Fundament seines Stehens geworden. Diese letzte weitere Lockerung des lebendigen Seins dem Sein selbst gegenüber habe ihren Endpunkt erreicht, da es ab jetzt nur noch ein unendlich fortsetzbares Hinter-sich-Kommen9 geben könne. Das Leben des Menschen sei aus der Mitte und zugleich aus ihr heraus „exzentrisch. Exzentrizität ist die für den Menschen charakteristische Form seiner frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld.“10

      Lebendiger Körper zu sein und im Körper zu sein und außerhalb des Körpers zu sein beschreibe die exzentrische Positionalität des Menschen. Er sei damit Körper, Seele und exzentrischer Blick, der beides erfasse, er sei Individuum und Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmung und seiner Initiative.

      Ein Individuum, welches positional derart dreifach charakterisiert ist heißt Person.

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