Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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auf Nichts gestellt.11

      Der Mensch scheine das einzige Lebewesen zu sein, das seinen Blick auf jenes Nichts richten kann, und er erblicke darin eine Welt – jene Leere seines Herzens von der Scheler zu berichten wusste12. Dies ist der Endpunkt der kontinuierlichen Vermittlung zwischen res extensa und res cogitans, Plessners Antwort auf das von Descartes radikal geschiedene Sein. Unter dem Gesichtspunkt des ontologisch Werdens der Grenze treibt die Ontologie des Lebendigen bis zu ihrem absoluten Gegenüber, dem Leben und dem Tod, dem Nichts entgegen. Begreift man die Stufen des Organischen als eine ansteigende Ebene, so ist der Sinn für das Negative, das Nichts – dem Untergrund aller dinglichen Wahrnehmung der Welt –, zu verstehen als die Vorstellung eines sich beständig fortschiebenden und sich schließlich auflösenden Horizontes eines lebendigen Wesens mit aufrechtem Gang und erhobenem Haupt, eine in diesem Wesen angelegte und angemessene Art des Seins. Es handelt sich um kein Irren, keine Abartigkeit oder Krankheit einer wie auch immer vorgestellten gesunden Natur, welchen Lebens auch immer. Der Blick erhobenen Hauptes in die Ferne erreicht den Horizont, doch die Ferne reicht darüber hinaus. Der seinen Blick im Auge habende Mensch weiß darum. Die Ferne selbst ist ein Horizont ohne Weiteres, ohne Etwas. Vermittelt die Betrachtung des Horizonts als Grenze noch ein Dahinter, so verschwindet in der Ferne die Grenze selbst und zurück bleibt die Leere. Der Blick weitet sich, bis selbst die Ferne entschwindet und sich in ein Nichts auflöst, dann nämlich, wenn der Blick kein Etwas mehr ergreifen kann, aber der Blickstrahl immer weiter hinauszielt. Der horos selbst verblasst, und es eröffnet sich dem Menschen eine unendliche Weite, eine unendliche Ferne in ein Nichts. Der Übergang vom Sein zum Nichts im Blick ist kein Gegensatz, sondern ein Immer-Weiter-Sehen in die Leere hinein. Unbegreiflich für das Auge, das nach Halt am Gegenständlichen sucht – doch augenscheinlich wahr.

      In der Verfeinerung – nicht im Abtrag – des Stufengedankens Plessners besteht die Nagelprobe für seine Ontologie des Lebendigen, die auch und gerade mit Hilfe der Naturwissenschaft und nie gegen sie gelingen kann.

      Der Idee einer wohl dialektischen, jedoch unhegelianischen Vermittlung des Baues der Stufen des Organischen – also ohne Aufhebung in der Vermittlung13 – mit Rückbindung auf einem von der Erfahrung bestimmten Lebensbegriff14 und dem Übersteigen im Sinne eines Ausdrücklich-Werdens des Organismus gilt die ganze Aufmerksamkeit und fußt die Innovationskraft der Plessnerschen Gedanken.

      Die Doppelaspektivität der menschlichen Innenwelt: erlebnisbedingend wie erlebnisbedingt und die Möglichkeit von Kunst

      Ist mit der vollständigen Rückbezüglichkeit des Erlebens im Erleben die Struktur der exzentrischen Positionalität des Menschen erfüllt, verwandelt sich das von Dingen erfüllte Umfeld des Lebewesens Mensch in die von der Leere grundierte Außenwelt des Kulturwesens Mensch. In dieser sind Raum und Zeit Leerformen, „Manifestationen des Nichts“1.

      Der Exzentrizität der Struktur des Lebewesens entspricht die Exzentrizität der Lage oder der unaufhaltsame Doppelaspekt seiner Existenz als Körper und Leib, als Ding unter Dingen an beliebigen Stellen des Einen Raum-Zeitkontinuums und als um eine absolute Mitte konzentrisch geschlossenes System in einem Raum und einer Zeit von absoluten Richtungen.2

      Es handelt sich beim Doppelaspekt um die Beschreibung einer einzigen Welt. Es ist keine Zweiweltenlehre, sondern ein Erleben aufgrund eines inneren Prozesses der Dissimilation und Assimilation in der Einheit des Organismus, welcher notwendig zur Aspektivität der Welt führt. Ohne diese innere Zerfallenheit oder Zwang zur Organisation des Organismus jedoch wäre überhaupt keine Welt, kein Bewusstsein und schon gar kein Selbstbewusstsein. Im Unterschied zu Descartes, welcher der Welt als Körper alle Wahrheit, der Welt als Leib aber einzig den Schein zusprach, wird bei Plessner die Welt als Körper-Leib zur Bedingung der Möglichkeit für die Erscheinung von Welt überhaupt. Wiederum undialektisch heben die Aspekte sich nicht in ein höheres Ganzes auf, sondern bleiben als solche bestehen. Materiell handelt es sich hierbei auch um keine voneinander trennbare Zonen. Die Untersuchungen zur Ontologie des Lebendigen zeigen die Bedingungen der Möglichkeit für das Lebewesen Mensch auf, damit Welt objektiv erscheinen kann.

      Für den Menschen gelte die Aspektivität der exzentrischen Positionalität, womit sein Erleben mit seiner Existenz nicht mehr identisch bleiben könne3. Daraus gebe es für ihn kein Entrinnen. Der Mensch sei nun einmal hinter sich gekommen und könne nicht wieder zurück4. Neben der Außenwelt und seinen Mitmenschen erlebe er sein Selbstsein. Der Mensch besitze eine Innenwelt. Die Gesetze der Innenwelt unterschieden sich von denen der Außenwelt insofern, als sie „zugleich erlebnisbedingend und erlebnisbedingt“5 seien. Der Seinstypus der Innenwelt sei plastisch. Er reiche von reiner Gegenständlichkeit bis reiner Zuständlichkeit, dem Hingenommen-Sein, Verzückt-Sein von einem Gegenstand. In der Außenwelt gelte letztlich Sein oder Nichtsein als etwas vom Betrachter Unabhängiges. Als plastischer Seinstypus, dessen Grund im graduell unterschiedlichen Erleben liege, gelte für diesen eine Skala des Seins6. Eindruck, Erlebnis und Erinnerung seien Intensiva, keine Extensiva und an Akte gebunden. Der Intensitätsgrad der Akte sei entscheidend für die Natur ihrer Existenz in der Innenwelt. Sie könnten wie von alleine dahinströmen oder müssten mit großer Willensanstrengung hervorgerufen werden.

      Kunst zielt letztlich auf die Innenwelt vermittelst des Erlebens von Kunst. Da die Natur der Innenwelt eine plastische ist und empfänglich für intensive Formen, kann sie ihr Werk verrichten.

      Die Sphäre des Geistes und die Realität

      Die Exzentrizität, auf welcher Außenwelt (Natur) und Innenwelt (Seele) beruhen, bestimmt, dass die individuelle Person an sich selbst individuelles und »allgemeines« Ich unterscheiden muss.“1

      Jene spezifische Lockerung des Seins, das Innenstehen im Kern des Zentrums des Körpers also die positionale Exzentrizität, mache die Unterscheidung zwischen dem individuellen ich und den Anderen notwendig. In der Struktur der Exzentrizität selbst finde man die Begründung für die Gegenwart der anderen Iche. Erfasst der Mensch sich in der Form der eigenen Position, so wisse er deshalb um den anderen Menschen. Deshalb wisse er um seine „Mitwelt“2. Ihr Kennzeichen sei die Lebendigkeit in ihrer höchsten Form3.

      In dieser Verschränkung sei der Perspektivenwechsel selbst angelegt. Aus der Sicht des Einzelnen gebe es den Anderen, da es ihn selbst gibt. Er selbst sei einer davon, „ein Glied dieser Mitwelt“4. Doch zugleich sei der Einzelne derjenige, der er ist, da er ein Glied der Mitwelt ist. Die Mitwelt trägt ihn.

      Die Mitwelt trägt die Person, indem sie zugleich von ihr getragen und gebildet wird. Zwischen mir und mir, mir und ihm liegt die Sphäre dieser Welt des Geistes.5

      Als natürliche Person sei der Mensch Zentrum einer „sinnbildhaften Sphäre“6, er stelle diese aber auch gleich wieder in Frage. In Selbststellung erschaffe und erlebe die Person ihre Innenwelt, und als geistige sei sie die „Wir-Form des eigenen Ichs“7. Mit der Eigentümlichkeit der exzentrischen Positionalität bestehe die Sphäre des Geistes in Form der Mitwelt, an der das einzelne Ich Anteil habe, nämlich durch seine Teilnahme an ihr.

      Und nur so ist der Mensch Geist, hat er Geist. Er hat ihn nicht in derselben Weise, wie er einen Körper und eine Seele hat. Diese hat er, weil er sie ist und lebt. Geist dagegen ist die Sphäre, kraft deren wir als Personen leben, in der wir stehen, gerade weil unsere Positionsform sie erhält.8

      Geist als Sphäre der wahrhaften Gleichgültigkeit von Einzahl und Mehrzahl ist real in der Mitwelt9. Die Subjekt-Objekt-Dichotomie sei nicht auf den Geist anwendbar und nur eine „niedere“10 Form der Sphäre des Geistes. In der Sphäre des Geistes allein blicke der Mensch ins Angesicht des Menschen – eine ausdrückliche Absage an irgendwelche Ähnlichkeiten mit den Sozialformen der Tiere. In der Sphäre des Geistes erkenne sich der Mensch als Mensch11.

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