Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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drei anthropologischen Grundgesetzen lässt Plessner die Stufen ausklingen. Im ersten formuliert er die „ontische Notwendigkeit“1 des Phänomens der Kultur, die der Mensch als exzentrisch organisiertes Lebewesen erschaffe, indem er sein Leben führt. Denn „der Mensch lebt nur, indem er ein Leben führt“2.

      Mensch sein ist die »Abhebung« des Lebendigseins vom Sein und der Vollzug dieser Abhebung, kraft dessen die Schicht der Lebendigkeit als quasi selbstständige Sphäre erscheint, die bei Pflanze und Tier unselbstständiges Moment des Seins, seine Eigenschaft bleibt […]3

      Deshalb bedürfe der Mensch eines Komplements. Immer auf der Suche nach Ausgleich, nach dem, was die Natur ihm versage, erschaffe er sich und müsse sich erschaffen. Die exzentrische Lebensform und die Bedürftigkeit bildeten einen einzigen Tatbestand und darin liege das Movens „für alle spezifisch menschliche, d.h. auf Irreales gerichtete und mit künstlichen Mitteln arbeitende Tätigkeit, der letzte Grund für das Werkzeug und dasjenige, dem es dient: die Kultur.“4

      Plessner macht die ontologische Struktur der Exzentrizität verantwortlich für die typisch menschlichen Tätigkeiten und verweist die Kulturentstehungstheorien seiner Zeitgenossen zurück. Für das kulturelle Tun des Menschen sei weder Trieb noch Wille oder Verdrängung, sondern allein die aus der exzentrischen Lebensform entspringende Notwendigkeit zum Vorwärtsstreben, zur Selbsterschaffung und Selbstdomestizierung der Ursprungsgrund. Es gebe auch kein verloren gegangenes Paradies oder ein ursprünglich irgendwie harmonischer Zustand, den der Mensch zurückzugewinnen versuche, seien die Ursachen zur Entstehung von Kultur. Der Mensch, dem sich eine Welt auftue, wenn er in die Leere seines Herzens blicke, suche notwendig den Ausgleich und sich selbst in der Schaffung des Irrealen, der Schaffung der Formen des kunstvollen Handelns5. Der Mensch folge qua Mensch dem „Gesetz der natürlichen Künstlichkeit“.6

      Vermittelte Unmittelbarkeit oder die Immanenzsituation des Subjekts

      Wenn die Erscheinungen nicht Masken des Erscheinenden sind, sondern sich wie Gesichter zeigen und zugleich verhüllen, eine „verdeckte Offenbarung“1 sind, dann sehe sich das Bewusstsein genötigt, das offensichtlich Reale des intendierenden Bewusstseins mit Hilfe der „Evidenz des reflektierenden Bewusstseins“2 zu korrigieren. Es entdecke seine Natur als Immanenz. Allein in dieser einzig dem Menschen zugänglichen Abhebung des Seins komme die Welt zur Erscheinung und werde Realität.

      Die Stärke des neuen Realitätsbeweises beruht darauf, dass er die Immanenzsituation des Subjekts als die unerläßliche Bedingung für seinen Kontakt mit der Wirklichkeit begreift.3

      Dann ist Wissen Ekstase4: das sich selbstvergessene Hinaustreten des Auges, eine indirekt-direkte Beziehung zum Sein. Alles Lebendige besitzt dann die Grundstruktur der „vermittelten Unmittelbarkeit“5. Nur beim Menschen mit seiner exzentrischen Lebensform werde diese Struktur selbst noch einmal reflexiv und gebe ihm so eine Welt in die Hand. Reiche diese hinaus in die Welt, versuche sie die Welt zu gestalten, in Tat, Sage oder Mimus6, so suche sie nach ihrem Ausdruck. Ob seiner ontischen Grundstruktur sei der Mensch ein Mensch, insoweit er ein Leben führe, und er suche ein Leben zu führen, indem er nach dem gelingenden Ausdruck strebe. Darum bedürfe er notwendig der Schöpfungen, seiner Erfindungen.

      In der Bewegung zwischen dem schöpferischen Menschen und den Dingen vermittelt unmittelbar sein Körperleib. Mit dieser Beschreibung erfährt die traditionell negative Bewertung des Körpers als ein zwischen Sein und Bewusstsein Vermittelnder ihre Umwertung. Die Immanenz des Bewusstseins – eine Art der Körpervergessenheit – wird zur Bedingung der Erscheinung der Welt und damit zur Grundlage des wissentlich handelnden Menschen, welcher seine Absichten zu realisieren suche, indem er wiederum reflektierend und korrigierend in sein eigenes Denken und Handeln eingreife und eingreifen könne: „Der schöpferische Griff ist eine Ausdrucksleistung.“7

      Plessner lässt es hier offen, worauf er die innere Notwendigkeit des Ausdrucksbedürfnisses gründen möchte. Er verweist auf die allgemeinen Erfahrungen des Ausdrucksbedürfnisses eines jeden Menschen, aber er führt auch noch weitere, existentielle Mächte wie beunruhigende Gefühle, Phantasien, Gedanken etc. an, die zum Ausdruck drängen würden. Ihm geht es in diesem Kapitel um den Zusammenhang der exzentrischen Positionsform und der „Ausdrücklichkeit als Lebensmodus des Menschen.“8

      In der Sprache wird das Ausdrücklichkeitsverhältnis des Menschen ausdrücklich

      Da die exzentrische Positionsform die Mitweltlichkeit des Menschen bedinge, ist dieser für Plessner ein „ζῷον πολιτικόν“1 und damit werde auch eine Form der Ausdrücklichkeit in der Kommunikation untereinander notwendig. Doch noch wesentlicher scheint ihm der Zusammenhang zwischen exzentrischer Lebensform und Expressivität auf die Notwendigkeit der Lebensführung und Lebensgestaltung des Menschen hinzuweisen. Mit der Tatsache, dass der Mensch in seiner Mitte stehe – abständig zu sich – und sich damit auch wiederum auf sich selbst zurückbeugen könne und müsse, und dazu auch noch in dieser Vermittlung er selbst es sei, der dies vollziehe, werde er einer Welt gewahr: „Der Mensch lebt in einem Umfeld von Weltcharakter.“2

      In diesem Umfeld mit Weltcharakter schaffe er. Er reiche mit seinem Sprechen und Handeln in das Umfeld hinein. Seine Erfindungen könnten jedoch nur dann Bestand haben, wenn sie ihren Zweck unabhängig von ihm erfüllten: „Der Mensch kann nur erfinden, soweit er entdeckt.“3 Er entdecke, dass der Hammer seinen Zweck erfüllt, dass diese oder jene Form der gesellschaftlichen Organisation Erfolg habe etc. Er entdecke aber auch, dass seine Intentionen fehl gehen können, dass neue Versuche notwendig werden und hinterlasse so die Spur seiner Geschichte.

      Der Prozess, in dem er wesenhaft lebt, ist ein Kontinuum diskontinuierlich sich absetzender, auskristallisierender Ereignisse. […] In der Expressivität liegt der eigentliche Motor für die spezifisch historische Dynamik menschlichen Lebens.4

      Sprache sei ein Bestandteil der allgemeinen Expressivität des Menschen, aber ein wesentlicher, und nicht zu Unrecht werde sie als eines seiner herausragenden Merkmale genannt. In ihr selbst bilde sich die Struktur der Beziehung der Immanenz mit der Wirklichkeit ab.

      Sie [die Sprache] macht das Ausdrucksverhältnis des Menschen, in dem er mit der Welt lebt, zum Gegenstand von Ausdrücken.5

      Insofern sei sie eine besondere, eine zweite oder potenzierte Form innerhalb der verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten. Sprache werde wahrhaft zum Zeugen der in ihrer Mitte stehenden exzentrischen Lebensform. Denn in ihr bzw. in den Bedeutungen werde die oben gezeichnete Struktur selbst sichtbar. Sprache bestätige die exzentrische Perspektive des Menschen, seine ort- und zeitlose Position.

      In der seltsamen Natur der Aussagebedeutungen ist die Grundstruktur vermittelter Unmittelbarkeit von allem Stofflichen gereinigt und erscheint in ihrem eigenen Element sublimiert.6

      Im dritten und letzten anthropologischen Grundgesetz, dem „Gesetz des utopischen Standortes“7, lotet Plessner das Widerspiel von Transzendenz und Nichtigkeit aus. Er schlägt dabei Religion auf die Seite der Transzendenz und die Kultur zum Geist. Dann konstatiert er beiden eine absolute Feindschaft8. Er begründet dies mit der Tatsache, dass der Geist sich notwendig „gegen die Einheit der Welt zu richten“9 habe. Denn mit der exzentrischen Lebensform reiße eine Kluft auf zwischen Heimat und Geborgenheit, einer Vorstellung von Mitwelt, in der das Individuum als Individuum aufgehe, und der Form eines Individuums, welches um seine Zufälligkeit, um seine Ersetzbarkeit, „sein Stehen im Nirgendwo“10, seinem utopischen Standort wisse. Dieses so geartete Individuum müsse sich gegen den Weltengrund richten, dem schwankenden gelockerten Sein Raum geben und die Kontingenz austragen. Es kann und muss den Gedanken des Atheismus denken.

      Bewußtsein der Individualität des eigenen Seins und der Welt und Bewußtsein der Kontingenz

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