Transzendierende Immanenz. Manfred Bös

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Transzendierende Immanenz - Manfred Bös Orbis Romanicus

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des Menschen bei Scheler an einer metaphysischen Konstruktion. Doch der Weg, die Erscheinung des Menschen aus der Immanenz der Welt denkbar werden zu lassen, ist in seinem kurzen Entwurf Die Stellung des Menschen im Kosmos unverkennbar vorgezeichnet.

      Jenes Sein, welches wir Geist nennen, vollzieht nach Scheler einen asketischen Akt der Entwirklichung oder anders ausgedrückt, einen Akt der Einverweltlichung. Er lockert und bereichert die Welt in ihrer Substanz als eine dynamische. Im Menschen – im Künstler nach seiner Art – verklammern sich Geist und Leben und arbeiten im Verein an der Welt.

      Das Haben von Vorstellungen bei Scheler, vom Gefühlsdrang gespeist und Resultante einer vorgängigen triebhaften Aufmerksamkeit wie zudem eines höchst innerlichen Zusammenhangs zwischen Tun und Leiden, wobei Tun das Erstere ist, bezeugt ein für den Menschen mittelbares, durch sich selbst geführtes Weltverhältnis.

      In der Eigenbewegung des tierischen Lebens verliert dieses das strenge Verhaftetsein der Pflanze an ihrem Ort – in ihrem Sein. Diese erweiterte Bewegungsform – nicht mehr nur Selbstausdehnung – und Lockerung des Seins verlangt nach einer Veränderung der inneren Struktur. Der Organismus antwortet darauf mit dem Auftreten des Instinktes. Scheler bestimmt ihn als eine teleokline, mehrgliedrige Zeitgestalt, als „Rhythmus“1. Er dient zur Lebenssicherung. Also schon bei den Wurzeln des Lebendigen selbst, erscheint der Rhythmus als gegliederte, teleokline Zeitgestalt, als Figur der geordneten und zielgerichteten bewegten Bewegung und als Anker des Lebenswesens im Sein.

      Die Lockerung des lebendigen Seins ist Bedingung und Möglichkeit von Kultur und das Haben von Realität zugleich.

      Helmuth Plessner: Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes1

      Der Mensch oder die ontologische Leerstelle auf der philosophischen Bühne

      Um das Denken Helmuth Plessners auch nur in seinen Grundzügen zu beschreiben, ist es unumgänglich, sich zurück zum Urheber der philosophischen Moderne zu begeben, zu René Descartes. Als dieser die Welt in res cogitans1 und res extensa unterteilte, musste das lebendige Wesen Mensch dadurch notwendig aus dem Blickfeld der Philosophie geraten. Denn zwischen Geist (esprit) und Materie zerfiel das Lebendige in entweder Psyche oder Ding, welche entweder den reinen Gesetzen des immateriellen Daseins, des Denkens, Wollens und Vorstellens, oder den Gesetzen von Stoß und Zug, den Gesetzen der Mechanik allein gehorchten. Zwischen beiden Substanzen entstand eine unüberbrückbare Kluft, eine ontologische Leerstelle, ein Chorismus, welcher keinen Übergang erlaubte. Die Lebewesen, wie auch der Mensch als Körperding, wurden zur unbelebten Materie gerechnet, welche allein mit dem Geist, dem Pneuma verkoppelt – dies gerann Descartes selber noch zur Substanz2 – bewegt werden konnte. Damit war das Lebewesen Mensch als Studienobjekt vom philosophischen Denken ausgeschlossen. Die Probe aufs Exempel liefert Kants Schrift zur Anthropologie, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht3, welche der allgemeinen Welterkenntnis diente, in seine philosophische Systematik jedoch keinen Eingang fand. Für Kant blieb die Anthropologie eine grundsätzlich empirische Wissenschaft und konnte deshalb kein Fundament für systematisches Philosophieren sein4. Auch das eine der möglichen Konsequenzen aus dem Descartschen Dualismus.

      All dies führte zur Abwesenheit des Menschen auf der philosophischen Bühne. Plessner macht nun den Versuch dies zu ändern. Er findet im Menschen selbst den Schlüssel zur Verklammerung der von Descartes so streng getrennten Welten und vereint ihn wieder mit dieser. Eine Aufgabe, vor der die Philosophie seit dem Dualismus Descartes den Mut verloren zu haben schien5. Es geht Plessner also um den Menschen „als Objekt und Subjekt seines Lebens“6 und nicht um den Menschen als ein aus res cogitans und res extensa Zusammengesetztes, sondern um jene „psychophysische indifferente oder neutrale Lebenseinheit“7, um den Menschen „»an und für sich«“8. Plessner entwirft eine Anthropologie des Lebendigen als regionale Ontologie des lebendigen Daseins und begründet somit im Weiteren die Bedingungen der Möglichkeit für die Beschreibung des Menschen als Menschen. Er erhält damit zugleich den Ausgangspunkt für eine systematische Philosophie, welche ihrerseits wiederum in einen erweiterten, das allein Menschliche überschreitenden Zusammenhang in einer Ontologie des Lebendigen überhaupt mündet. Auf diese Art gelangt man zu einer Naturphilosophie des Lebendigen sowie dem In-der-Welt-Sein des Lebewesens Mensch. Konstruiert man jedoch den Menschen aus seiner Welt und seinem Milieu heraus, was nichts weniger bedeutet, als die materialen Voraussetzungen – Stoff und Verhalten als Lebewesen – zu den alleinigen Bedingungen seines Seins zu machen, so stellt sich ganz von selbst die Frage nach den Gegenständen des Geistigen, ihrer Gegenwart, Erscheinung und Schöpfung. Es stellt sich die Frage nach dem Geist im Allgemeinen, und im Besonderen nach dessen Verhältnis zur Materie. Antwort auf diese Frage sucht Plessner in seinem Buch Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes von 1923 und später in seiner Die Anthropologie der Sinne von 1970 zu geben. Schon der Titel des 1923 verfassten Buches als Ästhesiologie des Geistes gibt die Richtung der von ihm vorgeschlagenen Lösung des Geist-Körper-Chorismus an. Er erklärt:

      Die Ästhesiologie des Geistes ist die Wissenschaft von den Arten der Versinnlichung der geistigen Gehalte und ihren Gründen. Sie zeigt, dass zu bestimmten Sinngebungen bestimmte sinnliche Materialien nötig und warum keine anderen möglich sind.9

      Die Ästhesiologie des Geistes und der Sinn der Sinne

      Plessner sucht die „Sinnengesetze der Sinnlichkeit“1 zu ergründen und, in diesen Gesetzen des Verschränktseins von Geist und Sinnen, den Weg kenntlich zu machen, der das Konjunktum res cogitans – res extensa überwinden soll.

      Immanuel Kant hatte – darin den Rationalismus des kausativen Schemas der „Affektion“ zwischen Subjekt und Objekt überwindend – in seiner kritischen Philosophie mit der Einführung des Schemas2 als Brücke zwischen einer Eigengesetzlichkeit der Sinnlichkeit gegenüber Verstand und Vernunft3 eine neue Beziehung zwischen intuitivem und kognitiven Geltungsbereich4 gestiftet und das „Geheimnis der gegenständlichen Beziehung des Bewusstseins“5 durch die Sinne auf eine neue Basis gestellt. Damit rückte die Anschauung ins Zentrum der erkenntnistheoretischen Betrachtung. Denn die Gesetze, nach denen sich ein Gegenstand dem Bewusstsein gegenüber formiert, mussten nun – als innere oder äußere – notwendig zum Sinn der Gegenständlichkeit selbst gehören, darstellbar in Raum und Zeit oder allein in der Zeit. Damit auch gewann die Vorfindbarkeit des Gegenstandes an Klarheit, beließ jedoch dessen materiale Herkunft im Dunkeln. Das Äußerste, was der kantische Schematismus zu leisten im Stande war, war die rein formale, begriffliche Verbindung des Denkens mit der gegenständlichen Welt, während qualitative Inhalte, wie sie die Sinne mitteilen, darüber keinen Eingang finden konnten. In Die Einheit der Sinne unternimmt Plessner nun den Versuch, diesem Missstand Abhilfe zu schaffen, und er erklärt den von der philosophischen Tradition bevorzugten Erkenntnisgegenstand – die Frage nach der Wahrheit – zum Spezialfall eines weitaus umfassenderen Erkenntnisinteresses, in dem die Mannigfaltigkeit der Sinne und ihrer geistigen Funktionen in die Aufgabe der Erkenntnis der Welt für das Lebewesen Mensch einbezogen werden.

      Jeden Typus des Verstehens gilt es zu beachten, nicht nur das begriffliche Erkennen. Denn die Beziehung des Geistes auf ein Objekt im Interesse der Wahrheit ist ein Spezialfall der Beziehung des Geistes auf Inhalte im Interesse des Sinnverständnisses überhaupt.6

      Ort dieses Erkenntnisgeschehens sei der Körperleib, welcher in seiner Sinnesorganisation wie seiner Geschichtlichkeit von der Geistdurchdrungenheit selbst Zeugnis ablege und als solcher in spezifischer Weise belebt erscheine. Die Organisationsweise der Sinne beim Lebewesen Mensch zeugt für Plessner von der „Verbindungsweise von Körper und Seele zum objektiven Sein der Dinge, wenn auch freilich nicht zu ihrem absoluten Sein, weil die Sinnesqualitäten die möglichen Modi der Materie sind.“7

      Die Sinne binden das Lebewesen Mensch in sein Milieu ein, und zwar als Mittler zwischen

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