Sie über sich. Paul Metzger

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Punkten auf die biblischen Texte zurückgreift, um von dort Orientierung zu gewinnen. Dass dieser Rückgriff im Rahmen des Christentums legitim ist und dass er stattfindet, wird kaum diskutiert, wie er aber erfolgt, dafür umso heftiger.

      Vereinfacht beschrieben stehen sich dabei auf der einen Seite diejenigen gegenüber, die Schriftzitate ohne hermeneutische Überlegung in die Diskussionen der Gegenwart einbringen und diese im Status einer unfehlbaren Autorität zum Argument erklären. Die Bibel ist für sie meist undifferenziert „Heilige Schrift“ oder „Wort Gottes“, das unmittelbar in der Gegenwart Anwendung finden kann und Gehorsam im Glauben verlangen darf. Biblische Zitate werden – durchaus nicht immer spannungsfrei – hier aneinandergereiht, miteinander kombiniert und als unmittelbar einsichtiges und schlagendes Argument aufgebaut.

      Dagegen stehen auf der anderen Seite diejenigen, die diese Unmittelbarkeit den Schriftzitaten nicht zuerkennen können, sondern oft komplexer argumentierend versuchen, der Bibel ihren „eigentlichen“, „wirklichen“ Sinn abzulauschen. Mittels historischer Kritik und hermeneutischer Anstrengung soll das in die Gegenwart eingebracht werden, was der Text eingedenk seiner kontextuellen Bedingtheit eigentlich sagen wollte.

      Beide Positionen werden in der Praxis der Diskussion kaum in ihrer Reinheit bewahrt bleiben können, der unterschiedliche Zugang ist aber bemerkenswert. In der Betrachtung der unterschiedlichen Umgangsweisen mit biblischen Texten in aktuellen Diskussionen wird allerdings oft vergessen, dass der Konsens, nach dem die Bibel überhaupt etwas in diesen gegenwärtigen Diskussionen zu sagen hat, fundamental ist. Deshalb ist zunächst zu fragen: Woher kommt eigentlich die Rede von der Autorität der Schrift? Warum ist sie gerade im evangelischen Raum so wichtig und deshalb so heftig umstritten?

      2. Die Autorität der Schrift in historischer Perspektive – Schlaglichter

      Was ist die Bibel?

      „Die literarischen Denkmäler einer vorderasiatischen Stammesreligion des Altertums und die einer Kulturreligion der hellenistischen Epoche, das ist die Bibel. Also ein menschliches Dokument wie ein anderes, das auf eine besondere Beachtung und Betrachtung einen apriorischen dogmatischen Anspruch nicht machen kann.“1 So antwortet Karl Barth, der „Kirchenvater“ des 20. Jahrhunderts.2

      Was ist die Heilige Schrift?

      „Jede heilige Schrift ist nur ein Mausoleum der Religion, ein Denkmal, daß ein großer Geist da war, der nicht mehr da ist; denn wenn er noch lebte und wirkte, wie würde er einen so großen Wert auf den toten Buchstaben legen, der nur ein schwacher Abdruck von ihm sein kann?“3 So antwortet Friedrich D.E. Schleiermacher, der „Kirchenvater“ des 19. Jahrhunderts.

      Obwohl Barth und Schleiermacher gewöhnlich als theologische Antipoden gesehen werden, scheinen sie bezüglich der Bibel bzw. der Heiligen Schrift die gleiche Auffassung zu teilen. Auf den ersten Blick scheint die Bibel für beide im Hinblick auf die christliche Theoriebildung keine Autorität darzustellen.4

      2.1. Das Initialereignis

      Ganz anders klingt dies bei Martin Luther:1 „Ich will […], dass allein die Schrift regiert [solam scripturam regnare] und diese nicht nach meinem eigenen Geist oder dem [Geist] irgendwelcher Menschen ausgelegt, sondern durch sich selbst und ihren eigenen Geist verstanden wird.“2 Luther fordert, „mit der Schrift als Richter ein Urteil [zu] fällen.“3 Dies gelingt, weil sie „durch sich selbst ganz gewiss ist, ganz leicht zugänglich, ganz verständlich, ihr eigener Ausleger [sui ipsius interpres], alles von allen prüfend, richtend und erleuchtend.“4 Die Bibel wird durch diese Bestimmung ihrer selbst für Luther zum „ersten Prinzip“,5 das über alle anderen Quellen der theologischen Erkenntnis richtet.6

      Die Konkordienformel formuliert dieses Programm dann grundsätzlich: „Wir glauben, lehren und bekennen, dass die einzige Regel und Richtschnur, nach der alle Lehren und Lehrer gleichermaßen eingeschätzt und beurteilt werden sollen, allein die prophetischen und apostolischen Schriften des Alten und Neuen Testaments sind.“7 Die Schrift wird zum Grundaxiom der Theologie.8

      Luther ersetzt damit in seiner kontroverstheologischen Situation das ordentliche Lehramt der Kirche, das letztgültig der Papst als Garant der Einheit inne hat, durch die Autorität der für ihn „Heiligen Schrift“.9 Ihre Autorität gründet für Luther auf ihrem Inhalt, der für ihn vor allem in der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade besteht. „Das Rechtfertigungsevangelium als Schriftmitte erlaubt es, sich zur Kritik abweichender theologischer Positionen auf die Schrift zu berufen.“10 Als inhaltliche Mitte bestimmt Luther somit das, „was Christum treibet“,11 kann somit – wenn nötig – Christus gegen die Schrift ins Feld führen.12

      Folgerichtig entwickelt in der Folge die altprotestantische Theologie Luthers „sola scriptura“ weiter,13 da sie erkennt, dass durch die Absetzung des personellen Lehramtes eine Leerstelle im Zirkel14 des theologischen Erkenntnisgewinns zurückgeblieben ist.15 Da Schrift und Tradition immer wieder in die jeweilige Gegenwart vermittelt werden müssen und da die Bedürfnisse einer Religionsgemeinschaft oft normative Entscheidungen in aktuellen Fragen erfordern, ist es unabdingbar, dass eine Autorität gefunden wird, die in der Lage ist, solche Bestimmungen vorzunehmen. Will man aber – geschuldet der aktuellen Konfliktsituation – menschliche Autorität die Auslegung betreffend zurückdrängen, muss man dem Text selbst Autorität verleihen.16 Diese Autorität kann er aber nur ausüben, wenn er – wie Luther deklariert – in sich selbst in allen potentiellen Fragen hinreichend deutlich ist.17

      Dies wird bei Luther postuliert und durch eine Reihe von Zusatzannahmen18 in der theoretischen und praktischen Durchführung gesichert, letztlich baut aber erst die altprotestantische Theologie den „sola scriptura“-Ruf Luthers „zum fundamentaltheologischen Grund- und Hauptartikel“19 aus: Der „Papst“ wird zu „Papier“, „sola scriptura“ wird zum „Schriftprinzip“.

      2.2. Die Lehre von der Schriftautorität

      Dieses ausgeführte Lehrstück über die Heilige Schrift verdient eine genauere Betrachtung, da die historische Kritik sich mit diesen Überlegungen auseinandersetzen musste.1

      Der erste Grundsatz dieses Prinzips lautet: „Was die heilige Schrift lehrt, das ist unfehlbar gewiß.“2 (David Hollaz) Die Schrift ist, das Erste, „das selber nicht mehr anderswoher bewiesen oder abgeleitet wird.“3 (Georg Calixt)

      Der zweite Grundsatz betrifft die Inspiration der Schrift: „Der heilige Geist ist zugleich der Urheber (autor) wie der Ausleger (explicator) der Schrift“ (Matthias Flacius Illyricus).4 Damit ist die Lehre von der Verbalinspiration in die altprotestantische Theologie aufgenommen, sie setzt sich „bei den orthodoxen Theologen des 17. Jahrhunderts nahezu flächendeckend durch.“5 Die „wirkende Ursache“ der Schrift ist Gott, die „weniger entscheidende wirkende Ursache der heiligen Schrift sind die heiligen Männer, welche durch Eingeben des heiligen Geistes die Hand ans Schreibrohr gelegt […] haben.“6 Diese Schreiber hingen „schlechthin von der Theopneustie oder göttlichen Eingebung [ab], durch die der heilige Geist ihnen das, was zu schreiben war, mitteilte und ihrem Geiste gleichsam in die Feder diktierte.“7 (Johann Musäus)

      Um die Inspiration der Schrift abzusichern und sie vernünftig begründen zu können, werden Kriterien der Inspiration angegeben, und damit die Bedeutung der Schrift als Grundaxiom abgesichert.8

      Äußere Kriterien nach David Hollaz sind:9

      „a) das Alter der Schrift;

      b) das besondere Licht der heiligen Schreibhilfen, ihr Streben nach Erkenntnis und Wahrheit;

      c)

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