Sie über sich. Paul Metzger

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      Im Zivilrecht des antiken Roms bezeichnet der Begriff „auctoritas“ die Gewährleistung, die z.B. ein Verkäufer für seine Ware übernimmt.1 Eine Person übernimmt damit Verantwortung, entweder für eine andere Person, indem sie für deren Verlässlichkeit bürgt, oder für eine Sache, deren Qualität sie garantiert, oder für eine Aussage, deren Wahrheit sie bezeugt.2 Autorität ist in diesem Sinn erstens immer an die Person gebunden, die sie garantiert, und zweitens abgeleitet von einer anderen Qualifikation der garantierenden Person. Die Autorität wird dabei durch eine besondere „Eigenschaft“ der Person erworben, die unterschiedlich bestimmt sein kann: materieller Reichtum, Amtsvollmacht, Fachwissen, soziale Stellung. Autorität ist demnach in diesem Sinn eine „Ansehensmacht“, eine „indirekte Macht“3, die nicht direkt ausgeübt werden muss. Diese Form der Autorität bleibt konkret auf die sie aufweisende, nicht aber bereits notwendig auch ausübende Person bezogen, was zugleich bedeutet, „daß auctoritas den Grund für ihren Gehorsamsanspruch in sich trägt, daß die Bestimmungsgründe des durch auctoritas induzierten Handelns nicht erörtert zu werden brauchen.“4 In diesem Sinn ist die Anrufung von „Autoritäten“ ein Beweisverfahren für die Richtigkeit einer Aussage5 und funktioniert reibungslos nur „als eingespielte, etwaige Rückfragen neutralisierende Autorität.“6

      Als Vorgriff auf die eigentliche Untersuchung kann vermutet werden, dass der christliche Vorstellungshorizont an dieses Verständnis der Autorität anknüpft. Es dürfte klar sein, dass Gott (bzw. Jesus Christus) die eigentliche Autorität darstellt (so z.B. deutlich in Apk 1,1–3). Im Blick auf das Neue Testament wird diese Autorität in Jesus Christus inkarniert. Die erste und eigentliche Autorität des christlichen Glaubens hängt damit an der Person Christi. Sie kann als „charismatische“ Autorität bezeichnet werden, was der Autoritätsbestimmung Max Webers folgt. Dieser bestimmt den dritten Typ einer legitimen Herrschaft als den „charismatischen Charakter“. Er beruht „auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen.“7 Dieser Typ von Autorität steht also am Anfang der christlichen Überlieferungskette. Als charismatische Person garantiert Christus selbst seine Botschaft.8 Da Christus aber innerweltlich nach Tod und trotz Auferstehung nicht verrechenbar ist, sieht sich der christliche Glaube gezwungen, Instanzen zu benennen, in denen diese Autorität greifbar ist. Ihre Aufgabe besteht primär in der Gewährleistung, dass die Botschaft Christi auch ohne ihn garantiert werden kann. Wichtigste Bezugspunkte sind dabei die Texte, die von Christus erzählen und darin und dadurch seine Botschaft tradieren und deshalb letztlich im Begriff stehen, zu einem Kanon formiert zu werden, und die regula fidei, „die als principalis auctoritas bezeichnet werden kann“.9 Welche Autorität die Texte präzise für sich formulieren, ist die grundlegende Frage dieser Untersuchung.

      Die inhaltliche Identität der christlichen Botschaft wird von Jesus, dem eigentlichen Inhaber der charismatischen Autorität, an die Apostel weitergegeben und durch diese wiederum der ganzen Kirche. Tertullian, der wesentlich zur Aufnahme des „auctoritas“-Begriffs in die kirchliche Sprache beigetragen hat, vermerkt dazu: „Wir haben die Apostel des Herrn zu Gewährsmännern [auctores], welche nicht einmal selbst nach ihrem Gutdünken etwas auswählten, um es einzuführen, sondern welche die von Christus empfangene Lehre den Nationen getreulich überlieferten.“ (praescr. 6,5)

      Die „auctoritas“ Jesu kann also vermittelt werden. Als „auctores“ fungieren dabei die Apostel, die die Gewähr dafür übernehmen sollen, den Inhalt der Botschaft Christi wahrheitsgemäß weiterzugeben. „Traditio und auctoritas rücken damit zusammen.“10 Damit ist in den frühen Auseinandersetzungen um den christlichen Glauben ein Kriterium eingeführt, das sich in der weiteren Kirchengeschichte dauerhaft behaupten sollte: das Prinzip der apostolischen Sukzession.

      Tertullian baut auf dieser Beweisführung das Vertrauen in den rechten Glauben seiner Kirche: „Gebt also die Ursprünge eurer Kirchen an, entrollt eine Reihenfolge eurer Bischöfe, die sich von Anfang an durch Abfolge so fortsetzt, daß der erste Bischof einen aus den Aposteln oder den apostolischen Männern, jedoch einen solchen, der bei den Aposteln ausharrte, zum Gewährsmann und Vorgänger hat. Denn das ist die Weise, wie die apostolischen Kirchen ihren Ursprung nachweisen.“ (praescr. 31,1)

      Das Problem der personellen Sukzession im apostolischen Amt stellt demnach eine Sicherung von Autorität dar. Es ist der Idee nach der Versuch, die Gewährleistung so weit wie möglich auszuziehen. Doch ist dies bereits zu Tertullians Zeiten historisch nicht nachweisbar und folglich für die Gegenwart in seiner Beweiskraft erst recht unannehmbar. Die apostolische Sukzession wird – je länger sie behauptet wird – zum Glaubenssatz und verliert ihre eigentliche Funktion. Jedes weitere Glied der Kette macht diese historisch gesehen schwächer.11

      Der ursprüngliche Sinn der Bewahrung christlicher Identität durch die apostolische Sukzession ist im Laufe der Überlieferung allerdings in den Sog des Begriffs „auctoritas“ geraten, der eine Ausweitung seiner Bedeutung erfahren hat.

      2.2. Autorität als Macht

      Der zweite semantische Gehalt des Begriffs „auctoritas“ stellt eine Ausweitung des zivilrechtlichen Begriffsspektrums dar. In für die spätere Entwicklung, insbesondere für den gegenwärtigen ökumenischen Dialog ungünstiger Weise nähert sich der Begriff im weiteren Verlauf seiner Verwendung dem Vorstellungshorizont der „potestas“ an: Wer Autorität hat, also „Ansehensmacht“, darf auch faktisch Macht ausüben.1

      Ein sprechender Beleg für die Entwicklung des „auctoritas“-Begriffs ist das Selbstzeugnis des Kaisers Augustus in seinen „Res Gestae“. Nachdem er nach seinem Dafürhalten die „Flammen des Bürgerkrieges gelöscht“ und Rom wieder auf den richtigen, also seinen Weg gebracht hat, kommt er zu dem Ergebnis: „Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu collegae fuerunt.“ („Seit dieser Zeit überragte ich alle übrigen an Autorität, an Amtsgewalt aber besaß ich nicht mehr als die anderen, die auch ich im Amt zu Kollegen hatte.“; Res Gestae 34)

      Zu erkennen ist daran, dass hier der Begriff „potestas“ in das Bedeutungsspektrum von „auctoritas“ eingeht und somit die reine „Ansehensmacht“ ausgeweitet wird. Der Begriff „auctoritas“ wurde dadurch „mehr und mehr zur Bezeichnung der allumfassenden Regierungsbefugnis des Kaisers und zum Rechtsgrund, auf dem seine Regierungsakte, Verfügungen und Entscheidungen auf allen Gebieten beruhten.“2 Jetzt kann derjenige, der über „auctoritas“ verfügt, diese auch direkt ausüben und anderen zur Verfügung stellen. So können Untergebene, Beamte, Diener, Boten in der Autorität des Kaisers auftreten und diese mittelbar ausüben. „Auctoritas“ ist deshalb kaum noch von „potestas“ zu unterscheiden. Deshalb ist es verständlich, dass die Aufgabe der Apostel als „auctores“ nun ebenfalls eine weitere „Eigenschaft“ bekommt. Weil sie diese wichtige Aufgabe haben, kommt ihnen auch Autorität im Sinne von Macht zu. Sie können die Botschaft übermitteln, weil sie das Vermögen und die Macht dazu haben. Dies hat unmittelbare Konsequenzen für das Verständnis der apostolischen Sukzession.

      Sobald der Bischof als Nachfolger der Apostel verstanden wird, deren Autorität er geerbt hat, ist er in der Lage und der Pflicht, sich nicht nur als Verkünder, sondern auch als Bewahrer des Evangeliums zu sehen. Der Bischof kann und muss deshalb nicht nur „die Authentizität der Tradition, den Wahrheitsanspruch der Botschaft garantieren“,3 er kann daraus auch seinen eigenen Anspruch auf Führung der Kirche ableiten. Der Bischof tritt damit an die Stelle kaiserlicher Beamter, die ebenfalls eine abgeleitete Form der Autorität innehaben.

      Der immens wichtige Unterschied zu ihnen besteht aber darin, dass kein Kaiser über dem Bischof steht, sondern der allenfalls im Geist präsente Christus. „Somit zeigt die Bedeutungsgeschichte in der lateinischen Patristik durchaus eine deutliche Analogie zur Begriffsentwicklung in der kaiserzeitlichen Amtssprache des (nichtchristlichen) Staates.“4

      Dieser

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