Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart. Группа авторов

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Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart - Группа авторов Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik

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Lehrbuch tritt der Schüler in die Fußstapfen des lernenden Prinzen und erfährt eine Ansehenserhöhung, die ihm der Autor in der Identifikation mit Télémaque bzw. mit der Annäherung an den von Fénelon unterrichteten Duc de Bourgogne verspricht. Die suggestive Wirkung der Illustration wird durch die Rückenansicht der zentralen Figur erzeugt; sie ist seit Giotto ein bewährtes Gestaltungsprinzip der europäischen Kunstgeschichte und lädt den Betrachter ein zu einer Gleichsetzung mit dem lernenden Prinzen - eine geniale Marketingaktion, die man durchaus bei der Frage nach dem durchschlagenden und langanhaltenden Erfolg dieses Lehrbuches mit heranziehen kann.

      Mentor, der Prinzenerzieher und Sprachmeister, versinnbildlicht mit der Übergabe des Lehrbuchs eine moderne Bildung, die sich von den lateinischen Inschriften der Allegorien abhebt. Gegenüber der Hauptinschrift „Grammaire Royale“ im Mittelpunkt der Abbildung ist die lateinische Sprache an den Rand gerückt. Das moderne Französisch steht im Zentrum und wird durch die Allianz von Distinktion und Bildung mit einer pomphaft-mythologischen Aura versehen. Erworben wird freilich das Lehrbuch von einer zahlungskräftigen Kundschaft. Die Diskrepanz zwischen dem angezielten Versprechen im mythologischen Gewand und der im Bild unterschlagenen banalen Realität der Kauferwartung gibt der Darstellung etwas Zwiespältiges, wenn nicht gar Verlogenes. Nichts war der ökonomischen Lage eines Sprachmeisters in Deutschland entfernter als der Luxus und die Verschwendung des Sonnenkönigs. Schon eine teure Allonge-Perücke hätte er sich kaum leisten können. Als meist ,ungelernte‘ Arbeitskräfte und ,Ausländer‘ hatten Sprachmeister eine in Deutschland häufig unsichere Position und vielfach keine Zunft- oder Bürgerrechte, dafür aber ein hohes Interesse daran, ihre soziale Position durch die Zuweisung prestigefähiger Berufsbezeichnungen und Tätigkeiten sowie ihren Lebensunterhalt durch die Auflagenhöhe ihrer Lehrbücher zu verbessern.

      Französischlernen bezieht um 1700 seine soziale und individuelle Kraft aus dem Wunsch der Lernenden und des Erziehungspersonals nach Identifikation mit der fremden Hochkultur und ihren Leitfiguren. Das Versprechen, der Französisch lernende Mensch werde zu einem Franzosen, zumindest könne er Französisch so authentisch sprechen lernen, dass man ihn nicht mehr von einem muttersprachlichen Franzosen unterscheiden könne, begleitet die Unterrichtsgeschichte seit 1600; als hohes Lob für einen Fremdsprachenschüler hat es in Deutschland seine Gültigkeit bis heute nicht ganz verloren. Bereits der Kölner Sprachlehrer Doergang verspricht 1604 dem eifrigen Schüler die Verwandlung in einen jungen Franzosen („Gallus eris“) als Ziel seines Französischunterrichts (Doergangius 1604, 23). Und noch in der Ausgabe der Grammaire Royale von 1794 wird dem Französischschüler als Ziel seiner Anstrengungen versprochen, ,ein Franzosen=ähnlicher Deutscher‘ zu werden, eine nun durch das aufkommende nationalstaatliche Paradigma des Französischunterrichts vorgenommene Eingrenzung des Zielversprechens.

      Das Identifikationsversprechen ist Ausdruck eines Französischunterrichts um 1700, dessen übereinstimmende Elemente in den Wünschen der Lernenden bestanden nach Übernahme des Kulturmodells des zentralistischen Absolutismus, der Sprache und Kultur des französischen Hofes in Versailles und der großbürgerlichen Salons in Paris. Mit dem Erlernen der französischen Sprache verbanden viele Lernende aus den deutschen Oberschichten den Wunsch nach Aneignung des aristokratischen Leitbildes der Honnêteté und des distinguierten galanten Verhaltens (conduite galante). Sie lernten ein Französisch, in dem das Mündliche (neben dem Briefeschreiben) dominierte und übernahmen damit zugleich eine gesellschaftlich hoch angesehene Gesprächskultur.

      Die Gründe für den Transfer der französischen Sprache und Kultur in die Oberschichten im Alten Reich sind bekannt: Französisch bedeutete Modernität im Vergleich mit dem Lateinischen. Vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg wollten sich die Fürsten allmählich von den alten Reichsinstitutionen absetzen, deren Amtssprache das Latein war. Französisch bedeutete Wiederaufbau des Landes durch Nachahmung der Franzosen, Aufgeschlossenheit für den kulturellen Glanz, der aus Versailles und Paris herüberstrahlte, und es bedeutete schließlich für die Territorialfürsten auch die Übernahme von Elementen des französischen Modells eines zentralistischen Absolutismus in ihre zum Teil kleinen und kleinsten Duodez-Fürstentümer mit all den repräsentativen Bauten, ob sie Monrepos oder Sanssouci heißen, mit dem französischen Hofzeremoniell oder einer französischen Theatertruppe. Die Offenheit der Landesherren der französischen Kultur und dem politischen Modell des zentralistischen Absolutismus gegenüber stimulierte auch die Bereitschaft in ihrem Umkreis, die französische Sprache zu lernen, und diese Offenheit bezog sich nicht nur auf die Sprache selbst, sondern auch auf deren Vermittler. Die Vorbehalte gegenüber dem Typus des ,windigen und unmoralischen Tanz- und Sprachmeisters‘ waren allerdings untergründig bereits lange vorhanden; so galt es, sich als Repräsentanten einer überlegenen Kultur darzustellen, die man mit der Sprache für seine Kinder einkaufte.

      3 Unter dem Schutz des Landesherrn: Sachsen

      Die Zahl der kleinen Prinzen und Prinzessinnen im Alten Reich war bei weitem nicht groß genug, um die enormen Verkaufszahlen des Lehrbuchs zu erklären. Die vielen adligen und bürgerlichen jungen Leute, dazu neuerdings auch ,die Frauenzimmer‘ und solche, die kein Latein konnten, mussten zum Kauf des Lehrbuchs animiert worden sein. Die beginnende Expansion des lernenden Publikums1 drückt das nächste Frontispiz (Abb. 3) aus: Es weitet die Zahl der Lernenden über den Erbprinzen aus auf den kindlichen Hofstaat, mit dem sich der Nachwuchs des kleinen und mittleren Adels identifizieren konnte – und auf alle die bourgeois gentilhommes, die es nicht nur in Molières Komödie gab.

      Der Schriftzug „Grammaire Royale“ verschwindet aus der Illustration und macht Platz für ein übergroßes Bildnis des Landesherrn. Der Landesherr vergab nicht nur das Druckprivileg, er verkörperte zugleich die Vorzüge des Französischlernens und lokalisierte es am Hof als dem sozialen Ort, von dem der Sprachmeister und der Verlag sich die größte Attraktivität für ihre Kundschaft versprachen.

      Abb. 3:

      Des Pepliers, Grammaire Royale. Leipzig: Weidmann 1740.

      Ausweislich des Druckprivilegs des Weidmann-Verlags muss es sich um August den Starken handeln, der auf seiner 23 Monate dauernden Grand Tour von Ludwig XIV. in Versailles in Audienz empfangen wurde und in Paris Französisch lernte, der des Französischen in Wort und Schrift mächtig war und der ein elegantes, wenn auch reichlich fehlerhaftes Französisch schrieb. Damit trug die aktuelle Illustration des Lehrbuchs der starken Stellung des Landesherrn Rechnung, der die Herrschaftsgewalt in seinem Territorium ausübte und bei juristischen Auseinandersetzungen, die bei dem Erfolg des Lehrbuchs nicht ausblieben2, hoheitlichen Schutz gewähren konnte. Diesen juristischen Schutz benötigte der Leipziger Verleger dringend, denn der Berliner Verleger Johann Christoph Papen, der 1723 vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. das Druckprivileg erhielt, machte ihm die Druckrechte streitig. Allerdings: Berlin war preußisch und die Messestadt Leipzig sächsisch. Deshalb konnte der Weidmann-Verlag unter dem Schutz des sächsischen Landesherrn seine lukrativen Versionen des Lehrbuchs noch lange (z. B. mit den Auflagen von 1765 und 1767, d. h. auch noch nach der Schwächung des sächsischen Kurfürstenstaates im Siebenjährigen Krieg) weiter publizieren.

      4 Vom Hof zur Stadt oder: von Ludwig XIV. zu Friedrich dem Großen

      Abb. 4:

      Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Haude 1742.

      Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geht die Integration des Bildprogramms in die kulturpolitischen Verhältnisse des Alten Reiches weiter. Insbesondere der Gründungsmythos der Grammaire Royale, der direkte Bezug auf die Télémaque-Szene, wird im Frontispiz der Berliner Auflage von 1742 nicht mehr realisiert. Der Sprachmeister, der daher auch nicht mehr Mentor ist, wird ganz aus dem Arrangement entfernt, ebenso die klar strukturierte barocke Portalarchitektur und

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