Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов
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Kultur in Texten erkennen, aber auch Kultur selbst als Text verstehen können;
aus der theoretischen Diskussion erste didaktische Schlüsse für Ihren eigenen sprachbezogenen Landeskundeunterricht ziehen können.
1.1.1 Das Konzept Weltsicht von Humboldt und seine Vorläufer
Das Verhältnis von Kultur und Sprache ist bekanntlich Gegenstand langer sprachphilosophischer Überlegungen, vor allem wenn es um die Frage geht, wie sich ein Text von einer älteren Zeitperiode in eine jüngere oder von einer Sprache in eine andere adäquat übersetzen lässt. Die Übersetzungen der mehrsprachigen Urfassungen der Bibel, deren Altes und Neues Testament in unterschiedlichen Varietäten des Aramäischen, Hebräischen und Griechischen abgefasst wurden, gelten dabei als Katalysator von theologischen, philosophischen und linguistisch-translatorischen Fragen. Bereits im Sendbrief vom Dolmetschen (1530), in dem er die wichtigsten Bedeutungsunterschiede zwischen verschiedenen Nationalsprachen beschreibt, hält Martin Luther, Reformator und Übersetzer der Bibel ins Deutsche fest: „ittliche sprag hatt ihren eigen art“ (‚Jede Sprache hat ihre Eigenart‘).
Diese sprachphilosophische Erkenntnis wird von Vertretern unterschiedlicher Denkrichtungen aufgegriffen. Bereits Bacon (1214–1294) schreibt „Verba autem plerunque ex captu vulgi indunter, atque per lineas vulgari intellectui maxime conspicuas res secant“ (‚Die Wörter aber werden größtenteils nach den Auffassungen des Volkes gebildet, und sie schneiden die Dinge entlang solcher Linien ein, die dem volkstümlichen Verstand am meisten einleuchten‘; Trabant 2008: 90).
In seinem Essay Concerning Human Understanding hält auch John Locke, englischer Philosoph und Vordenker der Aufklärung, (1975 [1690]) fest, dass sich die Wörter zwischen den Intellekt und die wirklichen Dinge stellen, dass sie sich nicht auf Objekte beziehen, sondern auf die Vorstellungen im Geist. Sie werden somit zu Denkmitteln. Veranschaulichen konnte er das anhand fehlender fremdsprachiger Entsprechungen (Lakunen) von Konnotationen verschiedener Begriffe. Hier manifestiert sich die kognitive Dimension von Sprache als Instrument, die Welt zu strukturieren und zu denken, und kulturbedingt zu handeln.
Lockes Ansatz ist damit dem des italienischen Philosophen Giovanni Battista Vico (1725) verwandt, der ein universales Etymologicum plante, mit dessen Hilfe Wissenschaftler verstehen lernen sollten, wie andere Völker die gleichen Menschen, Dinge und Vorgänge unter diversi aspetti verschieden benennen. Lockes Ideen wurden unter anderem auch von de Condillac (1746) aufgenommen und weiterentwickelt. Mit dem Begriff der Weltansicht, der später auch in den Varianten ‚Weltanschauung‘, ‚Weltauffassung‘, ‚innere Sprachansicht‘, ‚geistige Ansicht‘, ‚Charakter der Sprache‘ erscheint, schafft Wilhelm von Humboldt ein folgenreiches Konzept, das die Perspektivik der kulturgeprägten Wahrnehmung und des Gebrauchs von Sprache abbildet. Das Wort komme demzufolge von der Wahrnehmung und sei keine Kopie des Objektes selbst. Da aber jede objektive Wahrnehmung immer mit Subjektivität vermischt sei, müsse jede menschliche Individualität, selbst unabhängig von der Sprache, ihre eigene Weltsicht haben. Durch die Sprache werde diese jedoch verstärkt (siehe Aarsleff 1982: 346f). In den Fragmenten der Monographie über die Basken (1801/1802) hält Humboldt fest:
Mehrere Sprachen sind nicht ebensoviele Bezeichnungen einer Sache; es sind verschiedene Ansichten derselben. […] Durch die Mannigfaltigkeit der Sprachen wächst unmittelbar für uns der Reichtum der Welt und die Mannigfaltigkeit dessen, was wir in ihr erkennen; es erweitert sich zugleich dadurch für uns der Umfang des Menschendaseyns, und neue Arten zu denken und empfinden stehen in bestimmten und wirklichen Charakteren vor uns da. (von Humboldt 1981 [1801/1802]: VII, 2: 602))
Von Humboldt geht von der Koexistenz von abgegrenzten Weltsichten aus. Die einzige Möglichkeit, einen geschlossenen Kulturkreis zu verlassen, bestehe im Erlernen von Fremdsprachen. Dadurch werde ein Überwechseln in einen neuen Kreis ermöglicht, mit dem die Sprache verbunden sei. Das Verlassen eines Kreises erfordere demnach eine Entscheidung für eine Kultur. Die gleichzeitige Zugehörigkeit zu verschiedenen Weltsichten, eine third-culture perspective (Bennett 1993: 23), ein third space (Bhabha 1994), ein third place (Kramsch 1996: 233–257) oder ein dynamisches Konzept von Mehrkulturalität und Mehrsprachigkeit der Menschen sind darin nicht angelegt.
Durch denselben Act, vermöge welches der Mensch die Sprache aus sich heraus spinnt, spinnt er sich in dieselbe ein, und jede Sprache zieht um die Nation, welcher sie angehört, einen Kreis, aus dem es nur insofern hinauszugehen möglich ist, als man zugleich in den Kreis einer anderen Sprache hinübertritt. Die Erlernung einer fremden Sprache, auf die richtige Art benutzt, ist daher die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht, da jede das ganze Gewebe der Begriffe und der Vorstellungsweise eines Theils der Menschheit enthält. (von Humboldt 1981 [1801/1802]: XIII: 266)
Auf die unterschiedlichen Konzepte von Mehrsprachigkeit und Identität wird noch ausführlicher in der Lerneinheit 1.2 eingegangen.
1.1.2 Linguistischer Determinismus
Sprache ist jedoch nicht als die direkte Abbildung der Weltsicht zu verstehen, sondern kann diese Weltsicht – wie bereits von Humboldt vermerkt – nur mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darstellen (Trabant 2010). Dies illustrieren unter anderem Studien zu den symbolischen Farb- und Familienbezeichnungen in verschiedenen Sprachen, die meist metaphorisch aufgrund kulturspezifischer Wahrnehmungen, Profilierungen etc. gebildet werden (vergleiche Deutscher 2011). Wenn wir von Farbkognition sprechen, dann ergeben sich daraus folgende Fragen (Härtl 2013): Ziehen unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Farbgrenzen? Welche Farbeinteilungen sind universal? Hängt die Farbwahrnehmung von der einzelsprachlichen Einteilung ab? Hier finden Sie ein Beispiel für ein sprachenspezifisches Farbspektrum in kontrastiver Perspektive.
Abbildung 1.1: Farbbezeichnungen in den Sprachen nach Winawer et al. 2007 (Härtl 2013: 20)
Eine Farbversion der Abbildungen 1.1 und 1.2 finden Sie auf der Multilingua-Akademie-Lernplattform; aus drucktechnischen Gründen können diese im vorliegenden Band nur schwarz-weiß abgedruckt werden.
Darüber hinaus gibt es je nach Sprache(n) Farbverbindungen, die wiederum andere ausschließen, was die Abbildung auf der nächsten Seite illustrieren soll:
Abbildung 1.2: Farbbezeichnungen in den Sprachen nach Deutscher 2011 (Härtl 2013: 23)
Die Erkenntnisse dieser interlingualen, kontrastiven Gegenüberstellung von Farbbezeichnungen und dem zugrunde liegenden Farbspektrum betreffen zunächst nur die Bezeichnungsebene; sie können aber auch in einer anderen Perspektive interpretiert oder „gelesen“ werden, nämlich in Bezug auf das Erfassen und somit das Wahrnehmen von Phänomenen in der jeweiligen LebensweltLebenswelt oder auch realen Welt. Der Begriff der Lebenswelt ist stark mit dem phänomenologischen Ansatz bei Husserl (1992 [1936/1937]) verbunden und wird als direkter Anknüpfungspunkt von Alfred Schütz in seinem „verstehenden Ansatz“ als intersubjektivintersubjektiv bezeichnet:
So ist meine LebensweltLebenswelt von Anfang an nicht meine Privatwelt, sondern intersubjektivintersubjektiv; die Grundstruktur ihrer Wirklichkeit ist uns gemeinsam […]. Vorerst genügt es, festzustellen, daß ich es in der natürlichen Einstellung hinnehme, daß die Gegenstände der äußeren Umwelt für meine Mitmenschen prinzipiell die gleichen sind wie für mich. (Schütz & Luckmann 1979: 26)
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