Die Entdeckung der Freiheit. Группа авторов

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zu verdecken, alle Liebe zu mißbrauchen, alle Leidenschaft nicht nur zu unterdrücken, sondern schlimmer, zum Mittel des Aufstiegs zu machen.“6 In einer Gesellschaft der Privilegien repräsentieren die Paria das Humane und Menschliche, sie entdecken dabei die Menschenwürde als „die einzig natürliche Vorstufe für das gesamte moralische Weltgebäude der Vernunft“7. Sie können nicht nur mehr Sinn für die Wirklichkeit haben, sondern auch mehr Wirklichkeit besitzen als der Parvenu. Voraussetzung dafür ist die Distanz zur Gesellschaft und die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Politisch gesehen heißt das, sich nicht in einer Welt der Parias abzuschließen und einer nationalistischen Weltanschauung zu verfallen, sondern als „bewußte Parias“ „zum Rebell werden, zum Vertreter eines unterdrückten Volkes, das seinen Freiheitskampf in Verbindung mit den nationalen und sozialen Freiheitskämpfen aller Unterdrückten Europas führt“8.

      Die Moderne, so Arendt später in ihrem Aufsatz über die verborgene Tradition jüdischen politischen Selbstbewußtseins, hat den gesellschaftlichen Spielraum so sehr eingeschränkt, daß er nur durch den politischen Kampf um Gleichberechtigung und das heißt um eine Neuordnung der politischen Rechte wieder hergestellt werden kann. Der Nationalsozialismus und die antisemitischen und faschistischen Bewegungen in Europa machten in der Krise der europäischen Nationalstaaten klar, daß wesentliche Elemente wie Nationalismus und Pluralismus sowie Staatssouveränität und allgemeine Bürgerrechte nicht miteinander vereinbar waren. Die Zukunft der Juden in Europa konnte deshalb auch nicht in einem jüdischen Nationalismus liegen, weil er ganz der Tradition des verhängnisvollen europäischen Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts verhaftet war.

      Bei der Diskussion darüber, welche politische Zukunft die europäischen Juden und darüber hinaus die europäischen Völker haben könnten, erwies sich Blücher als idealer Partner. Als Arendt in Berlin Anfang der dreißiger Jahre mit Blumenfeld über den Zionismus diskutierte, gab es keine vergleichbaren Gespräche mit Günther Stern, der zu den Kommunisten um Brecht Kontakt hatte. Arendt und Stern hatten bei diesen existentiellen Debatten, wie auf die Krise zu reagieren sei, in ihren zionistischen und kommunistischen Kreisen weitgehend nebeneinander hergelebt. Erst in Paris, erst mit Blücher, begann in der Zuspitzung der Krise eine für Arendt äußerst fruchtbare Diskussion, in der beide in die Kritik des zusammenbrechenden Europa auch die Kritik am jüdischen Nationalismus und am sterilen Kommunismus einbezogen.

      Blücher, 1899 in Berlin geboren, war von einer ähnlichen philosophischen Leidenschaft wie Arendt erfüllt, nur hatte er nie studiert. Er stammte aus proletarischen Verhältnissen, sein Vater starb kurz vor seiner Geburt bei einem Fabrikunfall, seine Mutter war sehr labil. Nach der Volksschule erhielt er die Gelegenheit, wegen des Lehrermangels im Ersten Weltkrieg ein Junglehrerseminar zu besuchen, wurde aber 1917 noch eingezogen, erlitt eine Gasvergiftung und kehrte nach längerem Lazarettaufenthalt zum Lehrerseminar zurück. Da aber galt seine Begeisterung schon den Spartakisten, und er verließ das Seminar, weil er mit der „weltfremden Wissenschaft“ nichts anfangen konnte. Er schloß sich der KPD um Rosa Luxemburg und Paul Levi an und tendierte später zu dem gemäßigten Flügel um Thalheimer und Brandler. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich in Berlin mit journalistischen Arbeiten und besuchte nebenbei Kurse an der Hochschule für Politik und hörte Vorlesungen bei Hans Dellbrück über Militärgeschichte. Er lernte Robert Gilbert kennen, dessen Schlagertexte in Deutschland berühmt wurden, textete mit ihm für Filme wie ‚Ja, das ist das Leben der Matrosen‘ und ‚Bomben auf Montecarlo‘, verkehrte in einem Kreis um den Expressionisten Max Holz und interessierte sich für moderne Kunst. Zweimal heiratete er. Doch die erste Ehe wurde kurze Zeit später wieder geschieden, und seine zweite Frau, die Litauerin Natascha Jefroikyn, heiratete er vor allem, um ihr die deutsche Staatsangehörigkeit zu ermöglichen. 1934 floh er über Prag nach Paris und lernte dort 1936 Hannah Arendt bei einem ihrer Vorträge kennen, 1940 heirateten sie.

      Arendt entwickelte den gesellschaftlichen jüdischen Paria zum politisch agierenden, zum rebellierenden Paria fort und trennte die zionistische Idee eines eigenständigen jüdischen Volkes von jedem übergeordneten Nationalismus. So werteten beide, Arendt und Blücher, mit der Ablehnung von Nationalismus und Geschichtsdeterminismus die Rolle des politischen Handelns und der Handelnden in einer Weise auf, die jenseits der bisherigen europäischen Tradition eines liberalen, schwachen und eines sozialistischen, abstrakten Klasseninteressen unterworfenen Handelns stand. Damit entwarfen sie, noch bevor sie in den USA die republikanische Tradition der „Founding Fathers“ kennenlernten,

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