Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz?. Группа авторов

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Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz? - Группа авторов ScriptOralia

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konventionalisierte Verbindungen ein, die von normativer Relevanz und historisch wandelbar sind (Koch 1997a; Winter-Froemel 2020). Und genau hier, auf der Ebene der Diskurstraditionen, haben unseres Erachtens die medialen Dispositive ihren Platz, denn sie sind – funktional – mit bestimmten kommunikativen Praktiken und – formal – mit prototypischen diskurstraditionellen Ausgestaltungen assoziiert. Deshalb legen sie auch bestimmte konzeptionelle Profile und (schreib)semiotische Strategien nahe, ohne diese jedoch den Medienbenutzern aufzuzwingen (cf. dazu auch SELIG/SCHMIDT-RIESE i.d.B.). Bestimmte kommunikative Stile oder Haltungen sind also auf diskurstraditioneller Ebene konventionell mit bestimmten medialen Dispositiven assoziiert (und vice versa); diese konzeptionell relevanten Haltungen werden durch die Medien aber ebenso wenig determiniert, wie die oben angesprochene Gesprächssituation mit guten Freunden im Café zwangsläufig zu einem ausgelassenen, konzeptionell nähesprachlich gestalteten Smalltalk führt. Und so können eben auch E-Mails, WhatsApp-Nachrichten oder in Blogs geführte Diskussionen – prinzipiell medienunabhängig – zwischen den Polen der Nähe- und Distanzsprachlichkeit variieren.

      Wenn nun beispielsweise HAKULINEN/LARJAVAARA (i.d.B.) zu dem Ergebnis kommen, dass das Nähe/Distanz-Modell nicht dazu geeignet sei zu erklären, weshalb sich Ratsuchende in einem juristischen Expertenblog stärker nähesprachlicher Ausdrucksverfahren bedienen, als sie dies vermutlich in einer traditionellen Briefkorrespondenz tun würden (die Autorinnen gehen davon aus, dass das Nähe/Distanz-Modell aufgrund bestimmter, das technische Dispositiv der Kommunikation nicht berücksichtigender Parameter ein festes konzeptionelles Profil für alle Exemplare einer Diskurstradition erwarten ließe), dann könnte man dem entgegenhalten, dass es in der digitalen Schriftlichkeit – die prinzipiell mit geringeren Formalitätsanforderungen assoziiert ist als die traditionelle, in der Schule erworbene Papierschriftlichkeit (cf. Dürscheid/Frick 2016, v.a. 109–129) – zu einem konzeptionellen Wandel der Diskurstradition ‘Beratungskorrespondenz’ kommt. Dieser Wandel wird zwar in der Tat durch das mediale Dispositiv und die damit qua gesellschaftlicher Konvention assoziierten Formalitätsanforderungen begünstigt, er wird dadurch aber nicht erzwungen (er ist also in letzter, logischer Instanz nicht ‘medial bedingt’). Zweifelsohne ist der Medienwandel unter diesem Aspekt von potentiell großer sprachhistorischer Bedeutung, denn über kurz oder lang kann die im Internet praktizierte Informalisierung des sprachlichen Kommunikationsverhaltens zu weitreichenden Veränderungen im einzelsprachlichen Varietätengefüge führen (Stichwort ‘Re-standardisierung’), und stärker nähesprachliche Ausdrucksverfahren, die über die Online-Schriftlichkeit Verbreitung finden, könnten über kurz oder lang in die Schriftnorm europäischer Standardsprachen Einzug halten (zumal das Schreiben heute eben nicht mehr nur eine Sache von Eliten ist, sondern im Internet eine umfassende Demokratisierung und ‘De-standardisierung’ oder ‘Vermündlichung’ erfahren hat; cf. Krefeld 2015, 271). All diese Veränderungen lassen sich aber, wie wir meinen, mit dem Konzept der Diskurstraditionen erklären, denn die historische Ebene der sozial funktionalisierten Kommunikationsroutinen ermöglicht die Integration der medialen Dispositive, welche ihrerseits mit bestimmten Sprachhandlungstypen, Kommunikationshaltungen, konzeptionellen Profilen und schreibsemiotischen Strategien assoziiert sind.

      Dass die von Koch und Oesterreicher auf der universellen Ebene vollzogene Trennung von Konzeption und Medium gleichwohl auch bei der linguistischen Untersuchung neuer Kommunikationsformen sinnvoll ist, zeigt in diesem Band der Beitrag von CALARESU/PALERMO, die argumentieren, dass es gerade die analytische Entzerrung der beiden Begriffe erlaubt, den zentralen Wesenszug der (prototypischen) digitalen Schriftlichkeit und ihre Differenzqualität zu traditionellen Kommunikationspraktiken im Medium der Schrift zu erfassen, nämlich die Sichtbarkeit des diskursiven Prozesses im graphisch materialisierten Produkt („la visibilità all’interno del testo del suo stesso processo di costruzione“). Unter diesem Aspekt erinnert die digitale Schriftlichkeit an frühe Ausbauphasen der Sprachgeschichte, in denen nähesprachliche Strategien noch stärker im graphischen Medium dokumentiert sind, oder an Texte von ungeübten Schreibern, die den Normen distanzsprachlicher Diskurstraditionen nicht hinreichend gerecht werden. Zwar erlauben es aktuelle medienlinguistische Konzepte, die medienspezifischen semiotischen Verfahren – die fraglos ein integraler Bestandteil digitaler kommunikativer Praktiken sind – ungleich genauer zu beschreiben, als dies unter Beschränkung auf die (gleichwohl offene) Liste der von Koch und Oesterreicher genannten außersprachlichen Parameter möglich erscheint (cf. CALARESU/PALERMO i.d.B.). Funktional sind aber die medienspezifischen Verfahren der Zeichenprozessierung (seien sie nun sprachlicher oder nicht-sprachlicher Natur) nur innerhalb des begrifflichen Rahmens zu verstehen, der im universellen Nähe/Distanz-Kontinuum (hier freilich nur mit Bezug auf Sprachliches!) durch die situativen Kommunikationsbedingungen repräsentiert wird. Die medienspezifischen semiotischen Verfahren sind also konzeptionell zu begreifen, denn sie bedienen in ihrer Eigenart die vielfach abgestuften „Sprechhaltungen und -strategien“, die zwar prinzipiell universell und somit medienunabhängig sind, die aber auf der historischen Ebene – im Rahmen konventionalisierter kommunikativer Praktiken – mit medienspezifischen Gestaltungsmitteln umgesetzt werden können.

      4 Danksagung

      Die meisten der hier versammelten Beiträge basieren auf Vorträgen, die die Autorinnen und Autoren am 23. und 24. November 2017 im Rahmen des Internationalen Kolloquiums „Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz? Mediale und konzeptionelle Aspekte von Diskurstraditionen und sprachlichem Wandel“ am Historischen Kolleg in München gehalten haben. Unser Dank gilt deshalb zunächst all jenen, die zum Gelingen der Tagung beigetragen haben: Neben den Vortragenden aus Deutschland, Finnland, Italien, Kanada, Österreich, Polen, Spanien und der Schweiz sind dies die zahlreichen interessierten Besucherinnen und Besucher, die sich aktiv an der – oft mehrsprachig geführten – Diskussion beteiligt haben, sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Historischen Kollegs, vor allem Elisabeth Hüls, die für einen reibungslosen Veranstaltungsablauf in herrlichem Ambiente gesorgt hat. Von Herzen danken wir auch unserer Kollegin Katharina Jakob-Scheerer (München), die die Tagung mit uns gemeinsam organisiert hat, sowie – ganz besonders – Andreas Dufter, dessen großzügige finanzielle Unterstützung aus Lehrstuhlmitteln die Durchführung des Kolloquiums erst möglich gemacht hat.

      Bei der redaktionellen Arbeit am Sammelband konnten wir auf die tatkräftige Unterstützung durch Hilfskräfte und Mitarbeitende in München, Jena und Leipzig zählen. Unser herzlicher Dank für die Formatierung und gewissenhafte Prüfung der Manuskripte geht an Bojan Golemovic und Laura Rimmele (Jena), Kilian Morawetz und Lilith Stein (Leipzig) sowie Pedro Gómez Alberdi, Chris Owain Carter, Jillian Knull und Luis Schäfer (München). Des Weiteren danken wir zahlreichen anonymen Gutachterinnen und Gutachtern aus dem In- und Ausland für ihre kritischen Anmerkungen zu früheren Fassungen der im Band versammelten Beiträge, Tillmann Bub und Mareike Wagner vom Narr-Verlag für die verlegerische Betreuung sowie der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München für die Übernahme der Druckkosten. Unser besonderer Dank gilt schließlich Barbara Frank-Job und Ulrich Eigler für die Aufnahme des Bandes in die Reihe „ScriptOralia“, vor allem aber natürlich den Beiträgerinnen und Beiträgern, auf deren Geduld und Kooperationsbereitschaft wir uns stets verlassen konnten.

      Leipzig, München und Jena, im Juni 2021 Die Herausgeber

      Bibliographie

      Ágel, Vilmos/Hennig, Mathilde (edd.) (2006). Grammatik aus Nähe und Distanz. Theorie und Praxis am Beispiel von Nähetexten 16502000. Tübingen, Niemeyer.

      Ágel, Vilmos/Hennig, Mathilde (edd.) (2007). Zugänge zur Grammatik der gesprochenen Sprache (Reihe Germanistische Linguistik 269). Tübingen, Niemeyer.

      Ágel, Vilmos/Hennig, Mathilde (edd.) (2010). Nähe und Distanz im Kontext variationslinguistischer Forschung (Linguistik – Impulse & Tendenzen 35). Berlin/New York, De Gruyter.

      Albert,

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