Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt. Jan Stöhlmacher
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Ihre Beschwerden und der erste Arzttermin
Beim Blick in den Spiegel hab ich keine Auffälligkeiten gesehen. War es doch nur Einbildung? Ich habe mich seit Jahren problemlos mit dem kleinen Apparat rasiert. Nun blieb ich dabei immer wieder links unterm Kinn hängen. Habe ich meinen Hals befühlt, dann war da so eine kleine Verdickung, so groß wie eine Erbse vielleicht. Weh tat es nicht, ging aber auch nicht weg. Schließlich hat mich der kleine Knoten gestört und ich bin doch zum Arzt gegangen. Ist doch so: Wenn man nicht genau weiß, was los ist, geht man zum Arzt und lässt ihn machen. Er ist der Experte und sollte wissen, was zu tun ist.“
So hat mir Michael, ein guter Freund, den Beginn seiner Odyssee erzählt. Sie kennen das sicher selbst: Irgendetwas stimmt nicht. Aber man will sich nicht anstellen und ist auch nicht begeistert von der Vorstellung, die Tagesplanung über den Haufen zu werfen und sich in ein Wartezimmer zu setzen. Sicher ist es nur eine Kleinigkeit. Kann ich selbst etwas dagegen tun? Irgendwann ist man doch beunruhigt: Vielleicht ist es etwas Schlimmes … Muss ich ins Krankenhaus? Im Vorfeld geistert einem alles Mögliche durch den Kopf. In den Gedankensalat ein wenig Ordnung zu bringen, so eine Art roten Faden zu finden, wäre schön. Denn wenn Sie sich entschieden haben, einen Arzt aufzusuchen, ist eines klar: Gleich zu Beginn des Treffens müssen Sie die eigenen Beschwerden schildern.
Missempfindungen in Worte zu fassen ist aber nicht leicht. Der Arzt hat ein ganz eigenes Vokabular für körperliche Störungen. Und jeder Mensch hat seine Weise, den eigenen Zustand zu erleben und zu beschreiben. Möglicherweise empfinde ich Sodbrennen als unglaublich schmerzhaft und beeinträchtigend. Sie hingegen würden es nicht einmal erwähnen. Michael hat sich durch den kleinen Knoten, obwohl er nicht schmerzhaft war, verunsichert gefühlt und einen Arzt aufgesucht. In meiner Tätigkeit als Leiter einer Universitätsambulanz habe ich dagegen häufiger Patienten erlebt, die erst im letzten Moment, als die Beschwerden nicht mehr zu ertragen waren, in der Praxis auftauchten. Symptome werden individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen.
Die weiteren Schritte der Behandlung hängen entscheidend davon ab, die Beschwerden richtig und vollständig zu erfassen. Ob Sie nun zum Arzt gehen, um einen kleinen Knoten am Hals abklären zu lassen, oder ob Sie mit massiven Schmerzen kommen. Beides sind gute Gründe. Nun meint Michael, der Arzt sei der Fachmann. Er kenne die nächsten Schritte. Aber so einfach ist das nicht. Wir reden hier ja nicht über einen Schnupfen oder einen gebrochenen Arm. Gerade bei Schmerzen oder diffusen Missempfindungen ist es für den medizinischen Experten gar nicht so einfach, Ihre Beschwerden richtig einzuordnen. Damit es gelingt, muss er sich ein klares und umfassendes Bild von der Persönlichkeit verschaffen, die vor ihm sitzt. Und hierbei können Sie ihm helfen. Versetzen Sie sich auch ein bisschen in die Perspektive des Arztes. Das, was Sie ihm erzählen, ist zunächst erst einmal alles, was er von Ihren Beschwerden kennt. Ein guter Mediziner wird aufgrund Ihrer Schilderungen gezielte Fragen stellen und auf diese Weise einer Diagnose näherkommen. Sich nur auf den angebotenen Stuhl zu setzen und zu hoffen, dass der Fachmann die „richtigen“ Fragen stellt, nämlich die, die Sie erwartet haben, ist allerdings eine riskante Strategie.
Wenn Sie aktiv mitmachen, ist es viel weniger wahrscheinlich, dass ein Teil der Symptome von ihm nicht erfragt wird und am Ende gar nicht auf den Tisch kommt. Gehen Sie hingegen mit der Vorstellung in die Sprechstunde, dass der Arzt Ihre Gedanken und Gefühle lesen und auch ohne Röntgenapparat in Ihren Körper hineinschauen kann, werden Sie bald das Gefühl haben, er verstehe sein Handwerk nicht, zum Beispiel weil er nicht exakt die erwarteten Fragen gestellt hat. Die Denkweise Ihres Arztes ist möglicherweise, ja sogar wahrscheinlich, eine ganz andere als Ihre. In seinen Augen mögen Dinge als wesentlich erscheinen, an die Sie überhaupt nicht gedacht haben, und umgekehrt. Wenn Sie ihm helfen, indem Sie die Beschwerden vollständig und so geordnet wie möglich vortragen, können Sie nicht enttäuscht werden, denn er wird Ihnen entsprechende Fragen stellen. Gibt es keine Enttäuschung, fassen Sie viel schneller Vertrauen, das Verhältnis wird sich entspannter und harmonischer entwickeln. Erzählen Sie daher möglichst genau, was mit Ihnen nicht stimmt und warum Sie gekommen sind. In der Regel wird der Arzt Sie zu Beginn des Gespräches mit einer offenen Frage hierzu einladen.
Ich würde nicht davon ausgehen, dass die Ärztin oder der Arzt alles für einen regelt. In dieser Hinsicht bin ich anderer Meinung als Michael. Mit gezielter Vorbereitung habe ich gute Erfahrungen gemacht. Die Beschwerden und eventuellen Fragen einfach auf einem Zettel zu notieren hat sich hierbei bewährt. Stichpunkte reichen meist aus. Das hat mehrere Vorteile. Sie vergessen auf diese Weise nichts von dem, was Sie sagen und fragen wollten. Sollten Sie im Sprechzimmer dann doch aufgeregt sein, gibt Ihnen der kleine Zettel Sicherheit. Und wenn Sie gut vorbereitet sind, hilft das Ihrem Gegenüber. Nicht nur, weil sie oder er zügig vorankommt.
Gehen Sie mit Beschwerden das erste Mal zu Ihrer Ärztin, sind aus meiner Sicht folgende Dinge wichtig: Wo und wann treten die Beschwerden auf? Wann erstmalig? Wie ist der Charakter (zunehmend, abnehmend, wellenförmig etc.)? Werden sie durch irgendetwas ausgelöst oder gab es ein spezifisches Ereignis, wonach die Beschwerden erstmals auftraten? Wodurch werden sie gegebenenfalls besser oder schlechter? Treten Begleiterscheinungen auf (Übelkeit, Durchfall, Fieber, Schmerzen usw.)? Haben Sie bereits etwas dagegen unternommen? Wenn ja, in welcher Form (eigene Behandlung, anderen Arzt konsultiert etc.)? Was ist dabei herausgekommen? Eindeutig hilfreich ist es, sich auf die Schilderung der tatsächlichen Beschwerden zu beschränken. Präzise und vollständig. Sie erleichtern Ihrer Ärztin hierdurch das Zuhören. Zügig entsteht ein klares Bild Ihrer Beschwerden. Der kleine Zettel unterstützt Sie dabei. Vergessen Sie nicht, auch alle aktuellen eingenommenen Medikamente aufzulisten. Dazu zählen Naturkräuter ebenso wie frei verkäufliche Präparate aus der Apotheke oder Teesorten, insbesondere solche, die Sie in letzter Zeit neu ausprobiert haben.
Unterschätzen Sie deren Wirkung nicht! Vanessa, eine gute Freundin, rief mich an, weil sie einen Druck unten dem Rippenbogen spürte, für den sie keine Erklärung finden konnte. Ich nahm ihren Anruf ernst, da mir die alleinerziehende Mutter nicht als zimperlich bekannt war. Sie suchte nur dann Rat, wenn es wirklich nicht mehr anders ging. Bei der körperlichen Untersuchung zeigte sich eine deutlich vergrößerte Leber. Da dies viele Ursachen – eher harmlose und sehr ernste – haben konnte, riet ich zu einer Laboranalyse und einem Ultraschall des Oberbauches. Deren Befunde deuteten auf eine massive Entzündung der Leber und waren so besorgniserregend, dass Vanessa stationär aufgenommen wurde. Es ließ sich weder eine Virusinfektion der Leber noch eine andere Erkrankung nachweisen. Neue Medikamente hatte sie auch nicht eingenommen. Der Grund für die Leberschwellung blieb unklar. Erst nach Tagen mit umfangreicher Diagnostik und mehreren Gesprächen stellte sich heraus, dass die Ursache der Leberschädigung der übermäßige Genuss von Schöllkrauttee war. Den hatte Vanessa nach Auftreten von Krämpfen im Oberbauch getrunken. Aber offensichtlich viel zu viel. Erfreulicherweise klangen die Beschwerden nach einigen weiteren Tagen Schonung folgenlos ab. Deshalb mein Rat: Geben Sie Ihrer Ärztin eine vollständige Liste inklusive „alternativer“ Produkte wie Tees, Pilze, Algen, Tinkturen und aller sonstigen Dinge, die Sie einnehmen, auch wenn sie Ihnen noch so unwichtig erscheinen. Zum einen ersparen Sie sich möglicherweise unnötige Untersuchungen, zum anderen vermeiden Sie, dass Ihnen eine Arznei verordnet wird, die sich mit dem, was Sie sonst noch einnehmen, nicht verträgt.
Wenn Sie glauben, dass bei einem gewöhnlichen Arztbesuch nach den Schilderungen der Patienten und den anschließenden Fragen der Ärzte in der Regel alle Informationen auf dem Tisch liegen – dann irren Sie sich leider. Die aktuellsten Daten hierzu stammen aus einer breit angelegten Onlinebefragung, die zusammen von mehreren amerikanischen Universitäten durchgeführt wurde. Dr. Levy und ihre Kolleginnen werteten die Gespräche Tausender Patienten mit ihren Ärzten aus und konnten zeigen, dass die Mehrzahl