Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt. Jan Stöhlmacher

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Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt - Jan Stöhlmacher

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zu sein.

      Gründlich untersucht wurde mein Knie immerhin. Das ist der Vorteil der Sportmediziner, Orthopäden oder der Ärzte für Physikalische Medizin: Kurze, knackige Beschreibung der Beschwerden, dann wird untersucht und therapiert. In der Neurologie oder beim Internisten sieht es da ganz anders aus. Ein ausführliches Gespräch zur Krankengeschichte ist die Basis. Ansonsten bräuchte ich dieses Buch auch gar nicht zu schreiben. Auf eine Untersuchung sollten Sie dennoch nicht verzichten. Lutz Wesel, der selbst Arzt ist, berichtet von einer Patientin, die im Rahmen eines grippalen Infektes Ohrenschmerzen entwickelte. Eine typische, banale Begleiterscheinung, die mit ein paar Nasen- und Ohrentropfen schnell behoben ist. Beim Blick ins Ohr zeigt sich regelhaft ein feuerrotes, entzündetes Trommelfell, auf das die Schmerzen zurückzuführen sind. Bei seinem Blick ins Ohr, der schon fast überflüssig anmutete, weil alles so typisch erschien, zeigte sich überraschenderweise ein ganz normales Trommelfell. Das passte nicht zusammen. Er fragte nach und erfuhr, dass die Patientin kürzlich ein Zahnimplantat im Oberkiefer der betreffenden Seite erhalten hatte. Die bei der Untersuchung der Mundhöhle gefundenen Eiterstippchen führten zur Diagnose eines infizierten Implantates. Ohne den Blick ins Ohr wäre die Infektion wohl verschleppt worden, mit gravierenden Folgen für die Patientin.

      Eine Bänderzerrung oder ein entzündetes Trommelfell sind mit Erkrankungen, die aufgrund ihrer Schwere eine Neuausrichtung des Lebens erfordern, nicht zu vergleichen. Für Patienten, die immer wieder zum Arzt gehen müssen, ob nun für eine Kontrolle und erst recht bei einer Therapie, erscheint es mir ungleich wichtiger, dass die Ärztin oder der Arzt sie als Persönlichkeit und nicht als Herzschwäche oder Gelenkrheuma, um zwei Beispiele zu nennen, wahrnimmt. Diese Wahrnehmung muss für Sie als Patient oder Patientin sichtbar und hörbar sein. Das ist für jeden klinisch tätigen Arzt möglich, sicher auch für einen Herzchirurgen, der oft nur wenig Zeit auf der Station und im Gespräch mit seinen Patienten verbringen kann. Im Fall von Albert war die Situation auch deswegen so unwürdig, weil seine Bedenken, Fragen und Gefühle einfach als unwichtig abgetan wurden.

      Zugegeben, nicht jede Ärztin ist ein Kommunikationsgenie und nicht jeder Arzt glaubt an die Bedeutung empathischen Handelns. Da gibt es zum Teil große Unterschiede, aber eine emotionale und kommunikative Grundausstattung darf man von jedem Arzt erwarten. In der Praxis spielt die entsprechende Fachdisziplin auch eine Rolle. Sitze ich als Anästhesist hauptsächlich im Operationsaal und lerne Sie ansonsten nur kurz zur Aufklärung über die Narkose kennen, ist es etwas anderes, als wenn ich Palliativmediziner oder Psychiater wäre. In diesen Fällen nehmen Gespräche weite Teile meiner Arbeitszeit ein und ich sammle kontinuierlich Erfahrungen, wie sich eine Unterredung meistern lässt. Dadurch kann ich meine Gespräche selbst verbessern.

      In der schon erwähnten explorativen Befragung, die Lothar Schäffner von der Universität Hannover durchgeführt hat, stand für fast alle Teilnehmer fest, dass Ärztinnen und Ärzte das für einen empathischen Umgang mit den Patienten notwendige Geschick und auch das Wissen dafür bereits in den Beruf mitbringen müssten. Ohne diese menschlichen Ressourcen würden auch die langen Jahre an der Universität nichts ausrichten. Offenbar trauten die befragten Patienten ihren Ärzten kein sonderliches Entwicklungspotenzial nach dem Studienabschluss zu. So weit würde ich nicht gehen. Gäbe es für Medizinstudenten so eine Art Nürnberger Trichter, dann könnte man da neben den dicken Lehrbüchern auch gleich noch zwischenmenschliche Fähigkeiten mit hineinschütten. Leider gehört so ein Ding in die Welt der Legenden. Doch es gibt erfahrene Kolleginnen und Kollegen, von denen man unweigerlich lernt, umso mehr, je intensiver man deren Rat sucht und bewusst in sein eigenes Handeln integriert. Aus meiner Erfahrung bringt einem das mehr für die tägliche Arbeit als der Besuch von Fortbildungen, die sich mit diesem Thema theoretisch beschäftigen. Man muss diese Situationen direkt erleben, um die Wucht der eigenen Worte und die Vielfalt der Reaktionen, verbal und nonverbal, kennenzulernen. Das bekommen Sie mit Rollenspielen in einem Seminar nicht in dieser Form hin.

      Vielleicht haben Sie es auch schon erlebt, dass Ihre Ärztin Sie vor dem geplanten Gespräch gefragt hat, ob es in Ordnung wäre, wenn noch ein junger Kollege mit dabei wäre, einfach zum Zuhören. Das geht natürlich nur mit Ihrem Einverständnis. Sonst bräuchte man auch kein Schild an der Tür des Sprechzimmers, um Ihre Intimsphäre zu schützen. Ich erinnere nur wenige Patienten, die Bedenken geäußert haben, und dann sind die Kollegen natürlich rausgegangen. Für mich als junger Arzt waren das genau die Situationen, in denen ich ganz viel gelernt habe. Und später saßen immer mal wieder Kolleginnen oder Kollegen mit in meiner Sprechstunde. Interessant für mich war, dass häufig, wenn ein anderer Arzt mit im Zimmer saß, die Kommunikation mit den Patienten nicht so locker ablief, wie ich es kannte, was indirekt darauf hinwies, dass es uns gelungen war, ein wenig Vertrauen aufzubauen.

      Als ich einmal eine junge Ärztin mit zu Frau Witkowski in meine Sprechstunde nahm, erlebte ich eine kleine Überraschung. Ich hatte einen, ich würde sagen, vernünftigen Draht zu dieser Patientin, aber es war eher eine Arbeitsbeziehung und nicht betont emotional. An diesem Vormittag berichtete sie, nicht zum ersten Mal, von ihren Unterleibsschmerzen, die auf viele kleine Tumorabsiedlungen in ihrem Bauchfell, einer Art dünnem Bindegewebe, welches die Organe im Bauchraum an ihrem Platz hält, zurückzuführen waren. Unvermittelt wandte sie sich an die junge, ihr unbekannte Ärztin: „Sie können sicher besser verstehen, wie sich die Schmerzen hier unten anfühlen.“ Es war eine talentierte Kollegin, die keinerlei Scheu vor dem Kontakt mit Frau Witkowski hatte und mit ihrer Art und wohl auch der Tatsache, dass sie nun mal eine Frau war, im weiteren Gespräch die Patientin förmlich aufschloss. Frau Witkowski schien erleichtert darüber zu sein, sich erstmals richtig verständlich machen zu können. In diesem Fall half mir meine langjährige Praxiserfahrung gar nichts.

      An eine andere Grenze bin ich mit meinem älteren Bruder Ralf gestoßen, der auch eine Krebsdiagnose erhalten hatte. An sich waren die Voraussetzungen des Arztverhältnisses bestens: Ich denke, Ralf fühlte sich gut aufgehoben, denn sein behandelnder Arzt stellte ihm verschiedene Therapieangebote vor und schaffte es auch, die gleichwertigen Behandlungswege verständlich zu erklären. Ralf kannte also die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Optionen, und eigentlich, sollte man meinen, hätte er nun eine Entscheidung fällen können, welchen Weg er einschlagen wollte. Aber so war es nicht. Ralf fragte mich, ob er seinen Lungenkrebs, der damals lokal begrenzt war, also nicht gestreut hatte, operieren oder mit einer kombinierten Strahlen-Chemotherapie behandeln lassen sollte. Beide Methoden können in bestimmten Stadien dieser Erkrankung alternativ eingesetzt werden. Belastungen und Nebenwirkungen sind dabei sehr verschieden.

      Zu diesem Zeitpunkt war unser gemeinsamer Bruder Frank trotz einer Chemotherapie bereits an seinem Prostatakarzinom gestorben. Das machte es mir nicht leichter, Ralf zu vermitteln, dass auch die Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie erfolgreich sein kann, genauso wie eine Operation keinesfalls garantiert, dass der Tumor besiegt wird. Er war ein intelligenter Mann und hat die Unterschiede in den Behandlungen verstanden. Am Ende aller Diskussionen hat er dann aber doch mich gebeten, ihm zu sagen, was er machen soll, Operation oder Strahlen-Chemotherapie? Ich habe mich gewunden, habe versucht, mich um eine Antwort zu drücken. Frank hatte ich doch schon verloren. In dieser Zeit gab es Tage, an denen wollte ich von Ralf nicht nach Erklärungen gefragt werden, ich wollte keinen Rat abgeben und auch nichts entscheiden. Ich suchte nach Ablenkung, aber ich konnte mich nicht entziehen, denn unweigerlich war Ralfs Erkrankung ein Stück weit auch zu meiner geworden. Das konnte ich gar nicht verhindern. Im Empfinden einer diffusen Ungerechtigkeit der Welt meiner Familie gegenüber war ich gedanklich immer wieder damit beschäftigt, dass nun auch noch mein zweiter Bruder seinem Krebsleiden erliegen könnte. Mir fiel es schwer, mich zu konzentrieren. Ich versuchte, meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse zurückzustellen, um Ralf, der alleine lebte, zu unterstützen und fachlich kompetent zur Seite zu stehen. Aber das war nicht einfach.

      In meiner eigenen Sprechstunde in der Uniklinik, bei Menschen, die ich nur von dort und als Patienten kannte, gelang es mir besser, die viel beschworene „gesunde Distanz“ aufrechtzuerhalten. Oft berührte mich das Schicksal einer Patientin oder eines Patienten mehr als bei anderen, sei es aufgrund der Lebensumstände oder einfach wegen der Persönlichkeit selbst. Das ist nicht ungewöhnlich. Aber die

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