Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt. Jan Stöhlmacher

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Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt - Jan Stöhlmacher

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das Gespräch mit Ihrer Ärztin erst einmal allein führen und die Begleitung später dazu bitten. Signalisieren Sie der Ärztin klar, dass die geteilten Informationen nur für diese bestimmt sind. Sie wird sich daran halten. So können Sie entspannter in das Gespräch gehen, denn Ihre Ärztin wird Sie nicht in Anwesenheit Ihrer Begleitung zum Beispiel durch eine Frage zu Ihren Trinkgewohnheiten in Verlegenheit bringen. Sie sind also von dieser Seite vor unangenehmen Überraschungen gefeit und können sich voll auf den Inhalt des Gespräches konzentrieren.

      Und wie ging es bei Michael weiter, der so felsenfest überzeugt war, dass der Doktor es schon richten würde? Er erzählt: „Nach der Untersuchung meines Halses meinte der Arzt, dass es sich am ehesten um eine Muskelverhärtung handelt, und hat mich zur Physiotherapie geschickt. Dass es sich für mich eigenartig anfühlte, habe ich ihm nicht gesagt. Er hat auch nichts weiter gefragt. Der Therapeutin kam die Stelle ungewöhnlich vor. Und ich habe mich auch nach der Behandlung nicht wieder hundertprozentig fit gefühlt. Aber eine Muskelverhärtung ist ja keine schlimme Sache, also habe ich zunächst nichts weiter unternommen. Starke Beschwerden hatte ich nicht. Den Arzt habe ich wie einen Mechaniker fürs Auto gesehen. Die Probleme meines Autos diagnostiziere ich auch nicht selbst, sondern bringe es in die Kfz-Werkstatt.“

      Bei dieser Einstellung gab es für Michael offenbar keinen Grund, seinen Arzt mit der Einschätzung der Physiotherapeutin zu konfrontieren – und vor allem mit der Tatsache, dass er sich weiterhin nicht vollkommen gesund fühlte. Sie ahnen es sicher schon, dass die Geschichte einen ungünstigen Verlauf nahm, da es sich leider nicht um eine Muskelverhärtung handelte. Wie es mit Michaels Geschichte weiterging, erfahren Sie im vierten Kapitel „Die Herausforderung annehmen“. Aus meiner Sicht wäre es notwendig gewesen, dem Arzt gegenüber die fortbestehenden Beschwerden zu erwähnen, damit er weiter nach der Ursache sucht. Wenn Sie keine Probleme äußern, wird er annehmen, es gebe keine. Gleichzeitig ist Michaels Verhalten auch nachvollziehbar: Irgendetwas stimmt nicht; aber man will sich ja nicht anstellen … Womit wir wieder beim Anfang dieses Kapitels wären.

       »Das habe ich mir aber anders vorgestellt«

       Was Patienten und Ärzte voneinander erwarten

      Die Herzoperation sei unumgänglich und dulde keinen längeren Aufschub. Wenn er, Albert, keinen Infarkt riskieren wolle, müssten die Herzkranzgefäße überbrückt werden. Das Lumen dieser nur wenige Millimeter weiten Adern sei an einigen Stellen schon bedrohlich eingeengt. Albert glaubte ja, was seine Kardiologin ihm erzählte, und wollte diese ungeliebte Operation auch machen lassen, aber im Moment passte es ihm gerade so gar nicht. Es war Mitte November, und die Arbeit im Blumengeschäft, seinem Lebenstraum, steuerte wie immer um diese Zeit auf den Höhepunkt des Jahres zu. Adventskränze mussten gebunden, Weihnachtdekorationen in Geschäften und Hotels arrangiert und die zahlreichen Bestellungen im Laden abgearbeitet werden. Zwischen Rechnungen, Kundenfragen, Lieferterminen und Personalsorgen den Durchblick zu behalten forderte jetzt seine ganze Aufmerksamkeit. Diese unsägliche Operation musste erst einmal warten.

      Doch am Vorabend des ersten Advents spürte Albert plötzlich ein so starkes Brennen hinter seinem Brustbein, wie er es noch nie erlebt hatte. Das Atmen fiel ihm schwer, und auch das Notfallspray brachte keine Linderung. An diesem Abend wurde ihm klar, dass er mit der Operation nicht länger warten konnte. Er musste in die Klinik. Wenige Tage später hatte er den Eingriff am offenen Herzen überstanden. Nun sollte er noch einige Zeit zur Kontrolle auf der Überwachungsstation bleiben, aber beim Ziehen der Fäden gab es Komplikationen. Er berichtet:

      „Der Arzt war direkt über mich gebeugt, als er die Fäden zog und auf einmal meinte: ‚Was machen Sie denn bloß? Was machen Sie denn?‘, und nach seinen Kollegen rief. Plötzlich standen ganz viele Leute um mein Bett herum, redeten und guckten, und es wurden immer mehr Geräte ins Zimmer geschoben. Irgendetwas war nicht in Ordnung, und ich bekam totale Angst. Nach endlos langen Minuten waren auf einmal alle wieder verschwunden, aber ich war völlig aufgewühlt und verunsichert. Dann kam der Arzt noch einmal zu mir und sagte, dass ich am nächsten Tag auf eine normale Station verlegt würde. Ich habe das überhaupt nicht verstanden. Ich wollte mit ihm reden und ihm sagen, wie ich mich fühle. Aber er meinte nur, es sei vorhin nichts Schlimmes gewesen und ich solle das nicht überbewerten. Nichts Schlimmes? Plötzlich stehen unzählige Weißkittel um mich herum, ich bekomme mehrere Spritzen, die Leute reden durcheinander und laufen hektisch hin und her. Nichts Schlimmes? Das zu behaupten war eine Frechheit. Es mag ja sein, dass die Situation, von der ich bis heute nicht weiß, was eigentlich los gewesen ist, schnell wieder unter Kontrolle war. Aber ich hatte Panik. Und jetzt sollte ich noch auf eine Station verlegt werden, wo es keine vernünftige Überwachung gab. Das hat meine Angst natürlich noch verstärkt. Ich habe mich mit dem Arzt gestritten und fing dabei auch an zu heulen, so fertig war ich. Der hatte keinerlei Einfühlungsvermögen und hat mich durch seine Aktionen immer weiter verunsichert. Er hat sich weder erklärt noch entschuldigt. Das war völlig daneben.“

      Noch im Interview, das ich über ein Jahr später mit Albert führte, war er aufgebracht, als wir auf dieses Thema zu sprechen kamen. Er hatte sich mithilfe seiner Kardiologin am nächsten Tag in eine andere Klinik verlegen lassen. Mit diesem Arzt wollte er nichts mehr zu tun haben. Dessen Unfähigkeit, ein offenbar vorhandenes medizinisches Problem und sein Handeln zu erklären, Albert in seine Überlegungen und Entscheidungen mit einzubeziehen, ließ die erfolgreiche Operation für ihn völlig in den Hintergrund treten. Vielleicht fehlte dem Arzt auch der Wille, offen und ehrlich mit ihm zu reden. Im Gedächtnis geblieben ist Albert eine Person ohne Einfühlungsvermögen und soziale Kompetenz. Seine Reaktion, sich in ein anderes Krankenhaus verlegen zu lassen, kann ich verstehen.

      Albert hatte seine Bedenken und Wünsche klar geäußert. Er wollte wissen, ob es Grund zur Sorge gab oder ob alles auf dem richtigen Weg war. Er wollte vermeiden, dass sich bei ihm falsche Vorstellungen und Befürchtungen verfestigen, die ihn vielleicht bei seiner Krankheitsbewältigung stören würden. Ein solches Nachfragen ist für jede Patientin und jeden Patienten wichtig, damit der Arzt die Chance erhält, sich zu äußern, Ihre Gedanken zu bestätigen oder zu entkräften. Alberts Chirurg hat das nicht erkannt und dadurch die Chance für ein besseres Verhältnis zu seinem Patienten verstreichen lassen. Der Weg, den Albert beschritten hatte, ist aber genau der richtige: Trauen Sie sich, Bedenken und Wünsche zu äußern. Eine gute Ärztin, einen guten Arzt werden Sie daran erkennen, dass diese Ihre Überlegungen aufgreifen.

      Ein Angebot, über das, was gerade passiert war, zu sprechen, auch wenn es aus Zeitgründen in dem Moment vielleicht nur kurz sein konnte, wäre für Albert eine große Hilfe gewesen. Er hätte loswerden können, was ihm durch den Kopf ging und ihn verunsicherte. In einer für Albert hör- und sichtbaren Form aufzugreifen, was ihn offensichtlich bewegte, wäre notwendig und – wie ich finde – für den Arzt auch nicht wirklich schwierig gewesen. Es muss ja nicht gleich ein perfektes Gespräch sein. Wenn die Zeit gerade knapp ist, kann man sich für später verabreden. Möglicherweise hätte schon eine kleine Geste ausgereicht, um die Situation zu beruhigen und für Albert erträglicher zu machen. Ein lautloses Nicken erzeugt Verständnis, signalisiert Zustimmung und vermittelt das Gefühl, dass einem ernsthaft zugehört und man als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen wird. Nichts davon war bei diesem Herzchirurgen erkennbar. So konnte Albert sich nicht ernst genommen fühlen und war darüber zu Recht verärgert. Das grundsätzliche Bedürfnis aller Patienten – nämlich wahr- und ernst genommen zu werden – wurde enttäuscht. Von einem Fundament für eine gute Beziehung auf Augenhöhe konnte keine Rede sein.

      Genau dieses Gefühl ist es aber, das Patienten betonen, wenn sie ihre Erwartungen an ein Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt benennen sollen. Eine explorative Studie der Universität Hannover zu diesem Thema, in der Menschen befragt wurden, die sich aufgrund ihrer Herkunft, ihres Alters und Berufes unterschieden, stellte

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