Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
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2
Ein gewohnter Anblick für die Frau des Arztes war der Mann mit dem verletzten Bein, der am Sonntagnachmittag vom Land hereingefahren und ins Haus gebracht wurde. Er saß auf einem Schaukelstuhl in einem schweren Wagen, das Gesicht bleich von den Schmerzen, die das Rütteln verursachte. Sein Bein war ausgestreckt, ruhte auf einer Kiste und war mit einer Pferdedecke zugedeckt. Seine brave Frau kutschierte und half Kennicott, ihn zu stützen, als er über die Stufen ins Haus hinaufhumpelte.
»Einer, der sich mit der Axt ins Bein gehauen hat, ziemlich schlimme Wunde, Halvor Nelson, neun Meilen draußen«, erklärte Kennicott.
Carola zog sich zitternd ans andere Ende des Zimmers zurück, war kindisch aufgeregt, wenn sie um Handtücher und ein Waschbecken mit Wasser geschickt wurde. Kennicott hob den Farmer in einen Sessel und lachte: »Na also, Halvor. In einem Monat werden Sie wieder arbeiten und Aquavit trinken können.« Die Farmersfrau saß auf dem Sofa, ausdruckslos, plump in einem Männermantel aus Hundefell.
Kennicott zog die dicke »deutsche Socke«, die vielen anderen Socken aus grauer und weißer Wolle herunter, dann die Bandage. Das Bein hatte ein krankhaft totes Weiß, die schwarzen Haare waren schwach und dünn und plattgedrückt, der Schnitt war ein zerfetzter purpurroter Strich.
Kennicott untersuchte die Wunde, lächelte Halvor und seiner Frau zu, rief fröhlich: »Schön, wahrhaftig! Könnte gar nicht besser sein!«
Die Nelsons sahen aus, als ob sie etwas auf dem Herzen hätten. Der Farmer nickte seiner Frau zu, und diese fragte traurig:
»Ja, also, Doktor, wieviel sind wir Ihnen schuldig?«
»Na, das werden – wollen mal sehen: eine Fahrt hinaus und zwei Besuche. Es werden im ganzen so elf Dollar sein, Lena.«
»Ich weiß nicht, Doktor, ob wir Ihnen jetzt schon zahlen können.«
Kennicott ging auf sie zu, klopfte ihr auf die Schulter und brüllte: »Aber, weiß Gott, Schwester, ich werd' nicht klagen, und wenn ich's nie krieg'. Sie zahlen mir im nächsten Herbst, wenn Sie Ihre Ernte reinhaben … Carrie, du oder Bea, einer von euch kann schnell 'ne Tasse Kaffee und ein bißchen kalten Hammel für die Nelsons reinbringen. Sie haben 'ne lange, kalte Fahrt vor sich.«
3
In den Tagen der ersten Liebe hatte Kennicott ihr die Photographie von Nels Erdstroms kleinem Kind und der Blockhütte gezeigt, doch sie hatte die Erdstroms nie zu Gesicht bekommen. Sie waren bloße »Patienten« des Doktors geworden. An einem Nachmittag in der Mitte des Dezembers telephonierte Kennicott ihr: »Möchtest du dir den Mantel anziehen und mit mir zu Erdstroms hinausfahren? Es ist ziemlich warm. Nels hat die Gelbsucht.«
»O ja!« Hastig legte sie Wollstrümpfe, hohe Schuhe, Sweater, Schal, Mütze und Fäustlinge an.
Der Schnee lag zu hoch, und die Fahrgeleise waren zu hart gefroren, als daß man mit dem Automobil hätte fahren können. Sie benützten einen plumpen, hohen Wagen. Von der Prärie fuhren sie in gerodetes Land, das vor zwanzig Jahren noch Wald gewesen war. Gleichmäßig schien sich das Land bis zum Nordpol zu dehnen; niedrige Hügel, buschbewachsener Boden, schilfbestandene Wasserläufe, Bisamrattenhügel, Äcker mit gefrorenen braunen Klumpen, die durch den Schnee emporragten.
»Es wird kälter«, sagte sie.
»Ja.«
Das war die ganze Unterhaltung während dreier Meilen. Doch sie war glücklich.
Um vier kamen sie zu Nels Erdstrom, und erschüttert erkannte sie den kühnen Wagemut wieder, der sie nach Gopher Prairie gelockt hatte: die gerodeten Äcker, Furchen zwischen den Baumstümpfen, eine Blockhütte, mit Lehm verschmiert und mit trockenem Heu gedeckt. Aber Nels war hochgekommen. Er benützte die Blockhütte als Scheune; ein neues Haus erhob sich, ein stolzes, dummes Gopher-Prairie-Haus, das mit seinem weißen Verputz und den rosa Vertrumpfungen nur um so nackter und anmutloser aussah. Alle Bäume waren gefällt worden. Das Haus war so schutzlos, so dem Wind preisgegeben, so unfreundlich mitten in die rauhe Lichtung gesetzt, daß es Carola schauderte. Allein sie wurden mit warmer Herzlichkeit begrüßt, in der Küche mit der neuen Bemalung, mit dem schwarzen und nickelglitzernden Herd und der Milchzentrifuge, die in einer Ecke stand.
Carola sah einen Jungen von vier oder fünf Jahren, der sie neugierig anstarrte. Ihr fiel etwas ein – was war es nur? Ja – Kennicott saß neben ihr am Fort Snelling und drängte: »Sieh doch, wie verschüchtert das Kleine ist, es braucht eine Frau wie dich.«
Dann klingelte das Telephon, zweimal lang, einmal kurz. Frau Erdstrom lief ins Zimmer und schrie ins Mikrophon: »Hallo? Ja, ja, hier Erdstrom. He? Ach so, Sie wollen den Doktor?«
Kennicott kam und knurrte ins Telephon:
»Ja, was gibt's? Ah, hallo, Dave; was wollen Sie? Welcher Morgenroth? Adolph? Gut. Amputieren? Aha, verstehe. Hören Sie, Dave, Gus soll einspannen und mir mein chirurgisches Besteck hinbringen. Chloroform soll er auch mitbringen. Ich fahr' direkt von hier hin. Vielleicht komm' ich heute nicht mehr nach Haus. Sie können mich bei Adolph erreichen. Wie? Nein, Carrie kann die Narkose machen, glaub' ich. Wiedersehn. Wie? Nein; erzählen Sie mir das morgen – auf den Farmerlinien hören zuviel Leute mit.«
Er wandte sich zu Carola um. »Adolph Morgenroth, Farmer, zehn Meilen südwestlich der Stadt. Er hat sich den Arm zerschmettert – hat seinen Kuhstall gesprengt, ein Pfosten ist auf ihn gefallen – hat ihn ziemlich übel zermalmt – ich werd' vielleicht amputieren müssen, sagt Dave Dyer. Wir werden direkt von hier hin müssen. Tut mir leid, daß ich dich so weit mit mir rumschleppen muß –«
»Du brauchst gar keine Rücksicht auf mich zu nehmen.«
»Glaubst du, daß du eine Narkose machen könntest? Sonst macht sie immer mein Fahrer.«
»Du mußt mir nur sagen, wie ich's machen soll.«
»Schön … Also, Bessie, machen Sie sich keine Sorgen über Nels, der rappelt sich schon wieder hoch. Morgen fahren Sie oder einer von den Nachbarn hinein und lassen das Rezept da bei Dyer machen. Geben Sie ihm alle vier Stunden einen Teelöffel voll. Auf Wiedersehn.«
Der Weg zu Morgenroths Farm war kalt und holprig, und als sie hinkamen, war Carola eingeschlafen.
Hier gab es kein schimmerndes neues Haus mit einem stolzen Grammophon, hier war eine niedrige, getünchte Küche, die nach Milch und Kohl roch. Adolph Morgenroth lag auf einem Sofa in dem selten benützten Eßzimmer. Seine schwere, abgearbeitete Frau rang ängstlich die Hände.
Carola meinte, Kennicott würde etwas Großartiges und Erhebendes tun. Aber er war gleichgültig. Er begrüßte den Mann: »Also, also, Adolph, ich muß Sie wieder in Ordnung bringen, was?« Dann fragte er ruhig die Frau: »Hat die Drogerie meine schwarze Tasche hergeschickt? So, schön. Wieviel Uhr ist's? Sieben? Na, zuerst wollen wir ein bißchen essen. Haben Sie noch was von dem guten Bier?«
In vier Minuten hatte er gegessen. Ohne Rock, mit aufgerollten Hemdsärmeln, bürstete er seine Hände in einem Zinnbecken im Ausguß, mit der gelben Küchenseife.
Carola