Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
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Mit einem großmäuligen, überlegenen Dorflächeln fragte Onkel Whittier: »Was ist das, Carrie, was man mir erzählt: du meinst, Gopher Prairie müßte ganz niedergerissen und neu aufgebaut werden? Ich weiß nicht, wo die Leute diese neumodischen Ideen herkriegen. 'ne Menge Farmer in Dacota haben sie jetzt auch. Über Genossenschaftssachen. Bilden sich ein, daß sie 'n Laden besser führen können als 'n Kaufmann! Hu!«
»Whit und ich haben keine Genossenschaften gebraucht, wie wir noch unsere Farm gehabt haben!« triumphierte Tante Bessie. »Carrie, sag' mal deiner alten Tante: gehst du am Sonntag mal in die Kirche? Du gehst manchmal? Aber du solltest jeden Sonntag gehen! Wenn du so alt sein wirst wie ich, dann wirst du schon lernen, daß Gott, ganz egal, was obergescheite Leute auch von sich glauben, daß Gott eine ganze Menge mehr weiß als die, und dann wirst du's einsehen und froh sein, wenn du in die Kirche gehen und deinem Pastor zuhören kannst!«
Mit wechselnder Geduld wartete Carola auf den köstlichen Tag, da die beiden von ihrer Abreise sprechen würden. Nach drei Wochen bemerkte Onkel Whittier: »Uns gefällt Gopher Prairie recht gut. Ich glaub', wir werden vielleicht dableiben. Wir haben schon immer drüber nachgedacht, was wir anfangen sollen, jetzt wo wir die Molkerei und die Farmen verkauft haben. Deshalb hab' ich jetzt auch mal mit Ole Jenson über sein Lebensmittelgeschäft geredet, ich werd' ihn wohl auskaufen und 'ne Zeitlang Laden halten.«
Er tat es.
Carola rebellierte. Kennicott beruhigte sie: »Ach, wir werden sie nicht viel sehen. Sie werden ja ihr eigenes Haus haben.«
Sie beschloß, so eiskalt zu sein, daß die beiden sich fernhalten würden. Doch sie hatte kein Talent für absichtliches Grobsein. Die Smails fanden ein Haus, aber Carola war nie sicher davor, daß sie plötzlich erschienen und herzlich riefen: »Wir haben gemeint, wir könnten heute abend rüberschauen und dir 'n bißchen Gesellschaft leisten. Nanu, du hast ja die Vorhänge noch immer nicht gewaschen!«
Tante Bessie war eine Brücke, über welche die älteren Frauen, Ratschläge bringend, in Carolas Insel der Zurückgezogenheit eindrangen. Tante Bessie redete der guten Witwe Bogart zu: »Springen Sie recht oft zu Carrie hinüber. Heutzutage verstehen die jungen Leute nicht so das Wirtschaften wie wir.«
Frau Bogart zeigte sich durchaus bereit, die Zusatzverwandte zu spielen.
Carola dachte an Grobheiten zu ihrem Schutz, als Kennicotts Mutter kam und zwei Monate bei Bruder Whittier blieb. Carola hatte Frau Kennicott gern. Sie konnte ihre Grobheiten nicht loswerden.
Sie fühlte sich befangen.
Sie war von der Stadt vergewaltigt worden. Sie war Tante Bessies Nichte, sie hatte Mutter zu sein. Man erwartete von ihr, fast erwartete sie es selbst, daß sie in alle Ewigkeit dasäße und von Kindern, Köchinnen, Stickstichen und Kartoffelpreisen spräche oder darüber diskutierte, ob den einzelnen Ehegatten Spinat schmecke oder nicht.
In der Lustigen Siebzehn fand sie eine Zuflucht. Mit einemmal begriff sie, daß sie sicher sein konnte, dort mit den jungen Frauen über Frau Bogart zu lachen; sie sah in Juanita Haydocks Klatsch jetzt nicht mehr etwas Vulgäres, sondern Fröhlichkeit und bedeutende Analyse.
Ihr Leben hatte sich geändert, schon bevor Hugh erschien. Sie wartete auf die nächste Bridgepartie der Lustigen Siebzehn und auf das Flüstern mit ihren lieben Freundinnen Maud Dyer und Juanita und Frau McGanum.
Sie gehörte der Stadt an. Die Philosophie und die Fehden der Stadt beherrschten sie.
3
Als Vater sah Kennicott sich bewogen, die erste Kindergesundheitswoche Gopher Prairies ins Leben zu rufen. Carola half ihm Babies wiegen und ihnen in den Hals sehen, sie schrieb stummen deutschen und skandinavischen Müttern die Diät für Kinder auf.
Die Aristokratie Gopher Prairies, sogar die Frauen der ärztlichen Rivalen beteiligten sich, und einige Tage herrschte Gemeinschaftsgeist und großer Aufschwung. Aber die Macht der Liebe fand ein Ende, als der Preis für das prächtigste Baby nicht deinen Eltern, sondern Bea und Miles Bjornstam zugesprochen wurde! Die guten Ehefrauen starrten Olaf Bjornstam, seine blauen Augen, sein honigfarbenes Haar, seinen tadellosen Rücken an und bemerkten: »Na, Frau Kennicott, vielleicht ist das Schwedenbalg ja wirklich so gesund, wie Ihr Mann meint, aber ich muß Ihnen schon sagen, daß es mir fürchterlich ist, an die Zukunft zu denken, die einen Jungen erwarten muß, der ein Dienstmädchen zur Mutter und einen schrecklichen gottlosen Sozialisten zum Pa hat!«
Sie raste, aber der Zug der allgemeinen Achtbarkeit war so heftig, Tante Bessie mit ihren schwatzhaften Besuchen so hartnäckig, daß sie verlegen war, als sie Hugh mitnahm, um ihn mit Olaf spielen zu lassen. Sie haßte sich selbst, weil sie hoffte, daß niemand sie zu Bjornstams Häuschen gehen sähe. Sie haßte sich und die gleichgültige Grausamkeit der Stadt, als sie sah, daß Bea beiden Kindern die gleiche strahlende Hingabe widmete; als sie sah, wie still und ernst Miles die Kleinen betrachtete.
Er hatte Geld gespart, hatte Elders Hobelwerkstatt verlassen und auf einem leeren Grundstücke in der Nähe seines Häuschens eine Molkerei eröffnet. Er war stolz auf seine drei Kühe und sechzig Hühner und stand des Nachts immer auf, um nach ihnen zu sehen.
»Bevor Sie sich nur umdrehen können, werd' ich ein großer Farmer sein! Ich sag' Ihnen, der kleine Olaf da wird mit den Haydockkindern in ein College im Osten gehen. Äh – 'ne Menge Leute kommen jetzt her und schwatzen mit Bea und mir. Ja! Einmal ist Ma Bogart gekommen! Sie war – Mir hat die alte Dame ausgezeichnet gefallen. Und der Vorarbeiter von der Mühle kommt immer her. O ja, wir haben 'ne Menge Freunde. Klar!
4
Obgleich die Stadt sich für Carola nicht mehr zu ändern schien als die Felder und Wiesen, die sie umgaben, war in diesen drei Jahren ein ständiges Hin und Her. Die Bewohner der Prärie ziehen immer westwärts. Vielleicht ist es das Erbe alter Wanderungen – vielleicht aber finden sie in ihrem Geist nur so kleine Erlebnisse, daß es sie treibt, sie zu suchen, indem sie ihre Umgebung wechseln. Die Städte bleiben unverändert, doch die einzelnen Gesichter wechseln wie die Jahrgänge in einer Schule. Der Juwelier Gopher Prairies verkauft, aus keinem ersichtlichen Grund, und zieht nach Alberta oder in den Staat Washington, um einen Laden zu eröffnen, der seinem früheren gleicht wie ein Ei dem anderen, in einer Stadt, die der früheren Stadt völlig gleich ist. Es gibt, von den Akademikern und den Wohlhabenden abgesehen, wenig Beständigkeit im Wohnen und im Beruf, Man wird Farmer, Kaufmann, Stadtpolizist, Monteur, Restaurantbesitzer, Postmeister, Versicherungsagent und wieder Farmer, und die Gemeinschaft leidet mit mehr oder weniger Geduld unter dem Mangel an Kenntnis, den man bei jedem dieser Experimente zeigt.
Der Kaufmann Ole Jenson und der Fleischer Dahl wanderten nach Süd-Dakota und Idaho aus. Luke und Frau Dawson steckten tausend Acker Prärieland in der zauberhaften tragbaren Gestalt eines kleinen Scheckbuchs in die Tasche und gingen nach Pasadena: eine kleine Villa, Sonnenschein und »Cafeterias«, Chet Dashaway verkaufte sein Möbel- und Leichenbestattungs-Geschäft und wanderte nach Los Angeles, wo, wie der »Unverzagte« berichtete, »unser guter Freund Chester einen schönen Posten in einer Land- und Heimstättenagentur angenommen hat, und er und seine Frau in den reizenden Gesellschaftskreisen der Königin unter den Städten des Südwestlandes sich derselben Beliebtheit erfreuen, die sie auch in unserer Gesellschaft genossen haben«.
Rita Simons heiratete Terry Gould und machte Juanita Haydock Konkurrenz als munterste der Jungverheirateten. Doch auch Juanita erwarb Verdienste. Harrys Vater starb, Harry wurde Seniorchef des Bon Ton-Ladens, und Juanita zeigte sich unangenehmer, boshafter und klatschhafter denn je. Sie kaufte sich ein Abendkleid, in dem sie der Lustigen Siebzehn zur