Narrenschwämme. Jochen Gartz
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Als T. Leary nach seinem mexikanischen Experiment mit den Pilzen im Sommer 1960 begann, in Harvard das Psilocybin anfänglich in psychologischen Testreihen zu verwenden und die Versuche bald danach auf breitere Kreise ausgeweitet wurden, brachte die amerikanische Presse Wertungen über die Pilze, die die Bezeichnung „Narrenschwämme“ noch übertrafen. Die Pilze induzierten angeblich einen „todähnlichen Zustand“. Den Protagonisten des Psilocybins wurde vorgeworfen, dass sie leugneten, dass das Alkaloid „halbpermanente Gehirnschäden“ hervorrufen könnte. Dieser wissenschaftlich unsinnige Wortsalat war ein Zeichen der sich immer mehr verschärfenden Kontroverse um die Halluzinogene, wobei das Psilocybin sehr schnell völlig in den Hintergrund rückte und dem ungeheuer potenten LSD mit dessen bald gewaltiger Publizität Platz machte. Dabei geriet der Pilzwirkstoff in den gesetzlichen Strudel dieser mächtigsten halluzinogenen Substanz, und seine Anwendung für wissenschaftliche Zwecke wurde zunehmend eingeschränkt. Die Halluzinogene differenzierte man nicht mehr untereinander. Bald erfolgte nicht einmal mehr eine Abgrenzung dieser pharmakologischen Gruppe von den echten Suchtmitteln des Typs Heroin. Dabei hatte die Basler Sandoz AG vor dieser Zeit kompetenten Forschern ausreichend Substanz für experimentelle und psychotherapeutische Zwecke zur Verfügung gestellt. Insgesamt wurden nach dem Verfahren von A. Hofmann 2 kg Psilocybin synthetisiert.
Schnell erschien als Resultat der pharmakologischen Untersuchungen klar, dass die Anwendung des Alkaloides in kontrollierten Experimenten kein Risiko für den Probanden darstellt. Trotzdem macht der dann Mitte der sechziger Jahre geschaffene gesetzliche Rahmen im Sinne einer „offiziellen Mykophobie“ es bis heute so schwierig, mögliche Anwendungsgebiete des Psilocybins wissenschaftlich abzuklären. Als Resultat der naturstoffchemischen Untersuchung weiß man jedoch heute, dass Pilze, die diesen Wirkstoff enthalten, auf allen Kontinenten wachsen und dadurch wissenschaftlich genau wie die andere Mykoflora untersucht werden müssen.
Neben der Einstellung einzelner Völker hat jeder von uns eine spezifische Sichtweise auf die Pilze im allgemeinen. Die Wurzeln für ein individuelles Verhältnis zu den Pilzen werden schon in der Kindheit gelegt. Oft bleibt jedoch im Dunkeln, warum man dann später ein bestimmtes Wertsystem in dieser Richtung entwickelt.
Ich erinnere mich an eine Situation, als ich im Alter von etwa fünf Jahren im Gras spielte und mir ein Mädchen einen braunen Pilz zeigte und mit bedeutungsvoller Stimme sagte, dass er giftig sei und man ihn daher nicht essen dürfe. Trotzdem bin ich zum Pilzliebhaber geworden, obwohl mir diese Episode im Gedächtnis haften blieb. Andererseits blieb mir aus meiner frühen Jugendzeit die Bewunderung über ein sehr üppiges Vorkommen von bläulichen Blätterpilzen auf einem Müllplatz ebenso gut in Erinnerung wie die vorherige Szene. Allgemein kann man wohl sagen, dass durch ihre bizarren Eigenschaften (Toxizität, Aussehen) diese Organismen viele frühe Eindrücke hervorrufen können, die sich später in verschiedener Hinsicht manifestieren.
Erfolgt dann noch eine zusätzliche Beschäftigung mit den psychotropen Arten, so wird die individuell vorherrschende Mykophobie oder -philie verstärkt oder abgeschwächt, da jetzt die Bewusstseinsveränderung zusätzlich in einer bestimmten, wertenden Sichtweise eingeschätzt wird.
Aus den Schilderungen der folgenden Kapitel werden die verschiedenen Blickwinkel auf die psychotropen Pilze deutlich. Die unfreiwilligen und gezielten Experimente mit den einzelnen Arten dokumentieren eindrücklich, dass sehr viele Interpretationen der Pilzwirkungen möglich sind.
2. Kenntnis der europäischen Arten
Abb. 8 Psilocybe cyanescens in Europa und Nordafrika (nach Krieglsteiner).
Abb. 9 Faksimile des Berichtes in einem englischen Journal über Vergiftungen mit Psilocybe semilanceata im Jahre 1799.
2.1. Psilocybe semilanceata
Der Klassiker unter den psychoaktiven Europäern
1799 berichtete E. Brande über eindrucksvolle Intoxikationen mit Pilzen aus London, die am 3. Oktober des gleichen Jahres im St. James Green Park von einer armen Familie gesammelt, danach zubereitet und verspeist wurden (Abb. 9, S. 19).
Nach dem Essen begannen die Symptome beim Vater und seinen vier Kindern sehr schnell, wobei unbegründetes Lachen, Delirien und ausgeprägte Pupillenerweiterungen bei wellenförmig auftretendem Verlauf beschrieben wurden. Der Vater sah zusätzlich noch alle umgebenden Gegenstände in schwarzer Farbe und befürchtete seinen baldigen Tod.
Schon geringe Pilzmengen erzeugten bei zwei Personen (12 und 18 Jahre alt) die gleichen Symptome wie die großen Portionen der andern Familienmitglieder. Nach wenigen Stunden gingen die Psychosen folgenlos vorüber, dazwischen lagen Therapieversuche mit Brech- und Stärkungsmitteln, denen dann ein Behandlungserfolg zugeschrieben wurde. Es ist für heutige Betrachtungen ein Glücksumstand, dass neben der Beschreibung dieses typischen Psilocybinsyndroms J. Sowerby die Pilze in sein Buch Coloured Figures of English Fungi or Mushrooms (London 1803) aufnahm (Abb. 3, S. 12).
Dabei fungierte nur die Pilzvarietät mit den kegeligen Hüten als Verursacher der Intoxikationen. Die Darstellung stellt sehr typisch die Psilocybe semilanceata dar, den Spitzkegeligen Kahlkopf, der in der zeitgenössischen Beschreibung als „Agaricus glutinosus Curtis“ auch völlig mit heutiger Kenntnis übereinstimmend erscheint (Abb. 4, S. 12).
1818 erwähnte dann der berühmte schwedische Mykologe E. Fries den „Agaricus semilanceatus“ in Observationes Mycologicae. Der gleiche Pilz wird später auch Lanzenförmiger Düngerling, Coprinarius semilanceatus FR. oder Panaeolus semilanceatus (FR.) LGE. genannt bis schließlich um 1870 die Art von Kummer bzw. von Quelet in die Gattung Psilocybe eingeordnet wurde. So findet man beide gültigen Bezeichnungen in der Literatur: Psilocybe semilanceata (FR.) KUMM. oder (FR.) QUEL.
Um 1900 nennt M. C. Cooke dann zwei oder drei Gelegenheiten, bei denen Kinder sich in England erneut versehentlich mit der Pilzart intoxierten und wies interessanterweise darauf hin, dass es sich nur um die blauverfärbende Varietät (var. caerulescens) gehandelt hatte. Er fragte sich als erster Mykologe, ob nur diese Varietät giftig wäre bzw. ob diese Verfärbung aus externen Faktoren herrühre, welche die chemische Zusammensetzung in Richtung Gift modifizieren könnten.