Essen und Trinken: Wie wir uns richtig ernähren (GEOkompakt eBook). Группа авторов
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DOCH AUF DIE AUGEN allein konnten sich die Allesfresser nicht verlassen. Noch wichtiger bei der Nahrungsauswahl war in unserer Stammesgeschichte die Ausbildung empfindlicher Sensoren für Geschmack und Geruch. Noch heute schützen sie uns vor Gefahren – etwa vor verdorbenen oder gar giftigen Nahrungsmitteln.
Rund 10 000 verschiedene Gerüche vermag der Mensch zu unterscheiden. Forscher teilen diese Aromen gemeinhin in sieben Klassen ein: blumig, ätherisch, moschusartig, kampferartig, schweißig, faulig, stechend. Manche Gerüche, etwa der von faulem Fleisch, stoßen uns von Natur aus ab. Steigen uns modrige oder stechende Düfte in die Nase, schrecken wir zurück.
Gelangt dennoch ein ungenießbarer Bissen in den Mund, erfassen unsere Geschmacksrezeptoren meist dessen Inhaltsstoffe. Diese Sensoren haben sich vermutlich sehr früh in der Evolution entwickelt: Denn schon Tiere, deren Vorfahren bereits vor Hunderten von Jahrmillionen entstanden sind, nehmen Futter- oder Gefahrstoffe in ihrer Umgebung wahr – darunter Fadenwürmer oder Insekten wie etwa Fruchtfliegen.
Beim Menschen alarmieren die Geschmacksrezeptoren bestimmte Bereiche der Großhirnrinde, aber auch das limbische System – eine Region, die bei der Entstehung von Emotionen mitwirkt und für Gedächtnis und Bewusstsein eine wichtige Rolle spielt – und den Hypothalamus, eine Zellstruktur im Zwischenhirn. Je stärker der Sinnesreiz an den Geschmacksknospen, desto heftiger unsere Empfindung.
Vor allem ein Aroma ist für den menschlichen Körper dabei ein deutliches Warnsignal: Bitterkeit. Viele Stoffe, die uns schaden können, schmecken abstoßend bitter. Sie können uns helfen, Schädliches zu vermeiden. Das ist womöglich auch die Erklärung dafür, dass Frauen in den ersten Monaten einer Schwangerschaft häufig eine Abneigung gegen bittere Pflanzenkost zeigen – denn etwa Brokkoli und Rosenkohl enthalten Substanzen, die für einen jungen, sich entwickelnden Körper in zu großen Mengen schädlich sein können. Vermutlich weigern sich auch Kinder aus diesem Grund so häufig, gerade diese Gemüse zu essen.
Wie universal die Aversion gegen Bitteres ist, zeigten chinesische Forscher, als sie das Pennsylvania-Experiment wiederholten: Wieder reagierten die Babys auf keinen anderen Geschmack mit solch eindeutiger Abwehr. Weit rissen sie den Mund auf, verzogen die Stirn, kniffen die Augen zusammen.
Vermutlich ist dieser Gesichtsausdruck zugleich ein Alarmsignal für Artgenossen, dass ein Kind in Gefahr sein könnte. Einen Hinweis darauf gibt ein weiterer Versuch in Pennsylvania: Die Forscher führten 40 Studenten an Monitoren die Aufnahmen der Babys vor und baten die Probanden, die Reaktionen den vier Geschmacksrichtungen zuzuordnen und zu interpretieren.
Besonders leicht fiel es den jungen Erwachsenen, bitteren von süßem Geschmack in den Gesichtszügen zu unterscheiden. Zugleich meinten sie, in Bitter und Sauer einen starken Widerwillen der Säuglinge zu erkennen.
Je sensibler unsere Urahnen Bitteres erfassen konnten, desto größer muss die Wahrscheinlichkeit gewesen sein, dass sie überlebten. Denn während verdorbene Lebensmittel meist sauer schmecken, aber selten lebensbedrohlich sind, war es einst viel gefährlicher, sich durch eine Pflanze zu vergiften.
Als sich Homo sapiens vor rund 60 000 Jahren von Afrika aus über die Erde auszubreiten begann, stieß er in neuen Gegenden auf noch unbekannte Pflanzen und bittere Giftstoffe.
Deshalb verfeinerte sich das Gespür für Bitteres noch weiter – wie Forscher aus Vergleichen menschlicher Bitterrezeptoren mit denen etwa von Mäusen ableiten konnten. Während der Evolution hat sich sowohl die Anzahl als auch die Empfindlichkeit unserer Sensoren für Bitterstoffe verändert. Wir besitzen heute mehr davon als unsere tierischen Vorfahren.
Fest steht zudem: Für keinen anderen Geschmack sind wir heute so empfindsam, keinen anderen können wir auf so vielfältige Weise wahrnehmen; mittlerweile kennen Forscher beim Menschen 25 unterschiedliche Bitterrezeptoren – weitaus mehr als für jede andere Geschmacksrichtung. Diese Sensoren sitzen in der Zunge, in Kehlkopf und Rachen. Und jeder dieser winzigen Fühler vermag etliche Bitterstoffe zu erkennen – insgesamt können wir vermutlich einige Tausend identifizieren.
Darüber hinaus reagieren mehrere Arten von Rezeptoren mitunter auf den gleichen Stoff; ist ein Rezeptor nicht funktionstüchtig, gewährleisten eben andere die Überwachung. Wenn beispielsweise Amarogentin in die Mundhöhle gelangt, eine bitter schmeckende Substanz des Enzians, senden gleich sieben unterschiedliche Typen von Rezeptoren ein Warnsignal an das Gehirn.
Zugleich aber bildeten sich bei verschiedenen menschlichen Ethnien Unterschiede heraus. So fand das Deutsche Institut für Ernährungsforschung heraus, dass bei einem Teil der afrikanischen Bevölkerung aufgrund einer Genmutation ein Rezeptor für eine Gruppe von Bitterstoffen (die etwa in Maniok enthalten sind) weniger empfindlich reagiert. Das ist evolutionär durchaus sinnvoll, da der – maßvolle – Verzehr dieser giftigen Substanzen Afrikanern vermutlich bis heute dabei hilft, den Schutz gegen die Erreger von Malaria zu erhöhen: Die Stoffe machen den Körper für die Parasiten weniger anfällig.
ÄHNLICH ABWEHREND wie auf Bitteres reagieren wir sonst nur auf Saures, das zeigte auch das Pennsylvania-Experiment: Die Babys spitzten den Mund, kniffen ihn zusammen und legten die Stirn in Falten, als empfänden sie eine starke Abneigung. Signalisiert dieser Geschmack uns doch, dass eine Frucht noch unreif oder Fleisch bereits verdorben ist.
Schlucken wir trotz des Warnsystems von Zunge und Gaumen doch einmal etwas derart Unbekömmliches, so hat der menschliche Körper auch dafür raffinierte Techniken entwickelt.
Zwar toleriert der Organismus potenziell schädliche Stoffe in bestimmten Dosen. So kann etwa die Leber ein gewisses Maß an Alkohol unschädlich machen. Zugleich filtern die Nieren permanent Schadstoffe aus dem Blut, um sie wieder auszuscheiden.
Reichen diese Schutzmechanismen aber nicht aus, so tritt zumeist ein weiterer in Kraft: Wir übergeben uns. Ein Verbund verschiedener Nervennetze im Gehirn, das „Brechzentrum“ im Hirnstamm, steuert dann auf komplizierte Weise die Revolte des Magens.
Doch auch bei der Entdeckung besonders hochwertiger Nahrung halfen unseren Urahnen Geschmackssensoren – vor allem die für Süßes und Salziges. Denn was süßlich schmeckt, birgt nur selten giftige Substanzen. Zudem enthalten solche Pflanzen mit großer Wahrscheinlichkeit hohe Konzentrationen an Zucker und damit reichlich Kalorien, die der Körper ohne aufwendige Prozesse in Energie umwandeln kann.
Deshalb entwickelten viele Lebewesen im Verlauf der Evolution schon frühzeitig ein feines Gespür, um etwa reife Früchte an ihrem betörend süßen Geschmack zu erkennen. Denn in ihrem Fruchtfleisch befinden sich große Mengen von Trauben- und Fruchtzucker, deren Energie für den Körper besonders schnell verfügbar ist.
Wie stark dieser Instinkt für Süßes ist, zeigt sich noch heute: Menschen jedes Alters und jeder Herkunft neigen dazu, sich bei einer Auswahl von Nahrungsmitteln für das süße zu entscheiden.
Auch die gerade geborenen Testkandidaten, die in Pennsylvania und China untersucht wurden, reagierten auf süßliche Tropfen weitaus empfänglicher als auf jeden anderen Geschmack: Merklich lockerten sich ihre Züge, manchmal zeigte sich gar ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen – gerade so, als erfüllte sie ein Gefühl von Genugtuung und Zufriedenheit.
Ähnlich wie die weit verbreitete Vorliebe für Süßes ist auch der Appetit auf Salziges nicht zufällig – besonders auf die Mineralstoffe Natrium und Chlorid, die zusammen als Kochsalz bekannt sind. In unserem Blut muss stets eine bestimmte Menge dieser Substanzen zirkulieren. Durch Schweiß und Harn verlieren wir indes ständig etwas davon.
Bis zum Beginn der modernen Salzgewinnung war es für unsere Vorfahren allerdings nicht leicht, diese lebenswichtigen