Heimweh Natur. Andreas von Arx
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Mein Vater und ich konnten stundenlang hintereinander herlaufen, ohne ein Wort zu sagen. Ich denke, dass es für uns beide richtig war. Durch die Bewegung im Freien waren wir miteinander verbunden. Das allein sprach schon Bände. Der Anblick der Schneelandschaften und der weißen Berge war für mich überwältigend. Hatten wir uns entschieden, eine Spur zu legen, gab es keine äußeren Einflüsse, die uns aufhalten konnten. Bei hoher Lawinengefahr haben wir einfach kleinere Hänge gesucht und sind mehrmals hochgestiegen und wieder hinuntergefahren. Oder wir gingen einen Waldrand entlang und verzichteten auf lange Abfahrten. Gerade in den Voralpen war dieses Alternativprogramm bei solchen Bedingungen einfach machbar. Ich konnte den Alltag hinter mir lassen und einfach tief durchatmen.
Klirrende Kälte
Für Skitouren war schönes Wetter eine angenehme Abwechslung, jedoch keine Bedingung. Meinem Vater zufolge gab es den frischesten Pulverschnee bei fallendem Schnee. Auf mein Argument, dass eine vernünftige Sicht das Skifahren vereinfachte, wollte er nicht eingehen. Bei fehlender Sicherheit oder einer schwierigen Lagebeurteilung brach er selbstverständlich den Ausflug ab. Wir stapften des Öfteren durch Schneegestöber, ohne einen anderen Menschen oder ein mögliches Ziel sehen zu können. Die Vorfreude erfuhr bereits ihren Härtetest, wenn die kalten, starren Skischuhe ein Anziehen verweigerten. Doch je öfter wir bei diesen Bedingungen unterwegs waren, desto mehr Freude kam in mir auf. Im dichten Schneefall, wenn man kaum ein paar Meter sah, fühlte ich mich wie in einen sanften Kokon aus Schneeflocken gehüllt. Ich konnte stundenlang zusehen, wie Schneeflocken tanzend vom Himmel fielen und die Landschaft verzauberten. Die Geräusche wurden noch dumpfer und nach einigen Schritten merkte ich gar nicht mehr, dass mein Vater vor oder hinter mir lief.
Es war sehr meditativ. Während andere in meinem Alter noch im Bett lagen oder sich in ihrem Zimmer beschäftigten, genoss ich die Zeit der Stille und Kälte in der Natur mit meinem Vater. Die wenigen Worte zur Orientierung – «Hiä oder dört?» – «Nei, vorne rächts» – und zum Bestaunen der Schönheit – «Schön. Hä?» – «Jaaa.» – reichten uns als Tagesgespräch völlig aus. Wenn dann noch der Wind dazukam und durch jede kleine Lücke der Kleidung wehte, spürte ich die Gänsehaut unter meinen Kleidern. Gefrorene Nasentropfen sowie Tränen um die Augen verzierten das ganze Gesicht. Wenn der Wind von hinten bergaufstossend wehte, hatte ich das Gefühl, nicht vorwärtszukommen. Wehte er talabwärts, kam ich erst recht nicht weiter. Doch all dies war egal. Es war einfach dieser einzigartige Moment in der Natur, der zählte – an diesem Ort, ohne Sicht nach vorn oder hinten, oben oder unten. Alles sah gleich aus. Ein Gefühl, das sich mit dem Eindruck von all den vielen Schneeflocken, dem kalten Wind und der Stille tief in mir verankert hatte.
Kristallklare Luft
Beim Loslaufen auf einer Skitour hatte mein Vater die Angewohnheit, nur durch die Nase zu atmen. Er meinte, dass diese Atmung ein natürlicher Regler für die maximal erlaubte Anstrengung und Geschwindigkeit sei. Sobald man den Mund öffnen müsse, sei man zu schnell oder laufe nicht richtig. Vor allem im Winter, wenn wir oft vor Sonnenaufgang in sehr kalten Gegenden unser Auto abstellten und uns aufmachten, war diese Technik sehr lohnenswert. Die Luft wurde dadurch in der Nase vorgewärmt und bereitete der Lunge weniger Schwierigkeiten. Das langsame Loszotteln war zwar nicht immer motivierend, doch konnte ich auf diese Weise im Halbschlaf hinterherstapfen.
Ich entdeckte in dieser Welt des Schnees meine tiefe Verbundenheit mit der Ruhe. Mein Vater strahlte eine souveräne Gelassenheit aus und ich konnte mich ganz auf ihn verlassen. Mit diesem Gefühl von Leichtigkeit und der Monotonie unserer Schritte auf dem Schnee genoss ich die Stille der Tour. Es war dieses Nichts – die feinen, zarten Schneekristalle schluckten die üblichen Geräusche. Sogar das Rauschen eines Baches wurde erst in unmittelbarer Nähe gut hörbar. Diese Stille war für mich eine sehr berührende Umgebung. Es fiel mir leicht, meine Geschichten im Kopf zu formen und blumig auszuschmücken. Dabei entstanden Zukunftspläne und Vorstellungen, die mich sogar emotional bewegten und mein Herz in dieser Kälte mit Wärme durchströmten.
Diese innere Gelassenheit und Ruhe half mir speziell bei gefährlichen Übergängen im felsigen Gelände. Ich wusste in solchen Momenten, dass ein Rutschen mit den Skiern zum Absturz über eine Felswand führen und mein Ende bedeuten würde. Spürbar wurde es, wenn die Harscheisen an der Bindung keinen richtigen Halt im harten Eis fanden und dabei die Steilheit des Hanges zu einem Balanceakt wurde. In diesen Augenblicken war nicht an die Abfahrt zu denken, da die Kanten der alten Skier nicht einmal auf normalen Pisten richtig Griff hatten. Es war ein einzigartiger Zustand, in dem ich mich ganz auf mich zurückgeworfen fühlte. Ich wusste, dass mir hier und jetzt niemand helfen konnte und ich diesen nächsten Schritt allein wagen musste. Nur das Vertrauen in das Material und in den Untergrund konnte mir noch Halt geben.
Diese Ausflüge waren nicht vergleichbar mit anspruchsvollen hochalpinen Touren, wie sie viele andere vornehmen. Und doch möchte ich behaupten, dass das Gefühl von Abenteuer in mir dasselbe war. Ich hatte Urvertrauen und Mut, das Risiko auf mich zu nehmen und den nächsten Schritt zu wagen. Einmal, beim Kletteraufstieg auf den Gipfel mit den Skiern am Rücken, fanden meine Skischuhe auf dem von Eis zugedeckten Fels keinen Halt und Adrenalin schoss in mein Blut. Da lehnte ich mich zu stark nach vorn und begann abzurutschen. Mit den dicken Fäustlingen an den Händen fand ich keinen Halt am Fels und griff nach oben, wo ich mich im letzten Augenblick an etwas Hartem festhalten konnte. Es war ein Metallkreuz als Gedenkstätte für einen Bergsteiger, der hier am Gipfel vor Jahren abgestürzt war.
Oben auf der Bergspitze angekommen saß ich dann in tiefer Ehrfurcht und Demut gegenüber den schneebedeckten Alpen am nahen Horizont und versuchte, meinen Puls zu beruhigen. Auf den Gipfeln dieser Berge konnte ich von der Aussicht auf die Tiefen der Täler und die dahinter liegenden Bergfronten nicht genug bekommen. In Anbetracht dieser grenzenlosen Weite fühlte ich mich sehr klein. Da entstand in mir der sehnliche Wunsch nach einem Leben in den Bergen. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie ich täglich mit den Skiern durchs Bergdorf marschieren und bei jedem Wetter den Schnee und die Abfahrten genießen würde. Der Schnee als Lebenselixier und Grundlage für ein erfülltes Leben.
Reflexion zum Schnee
Ein Wassertropfen verwandelt sich bei Kälte und guter Luft in eine wunderschöne Schneeflocke. Diese fliegt sanft und leicht durch die Luft und verzaubert die Bergwelt, auf der sie landet. Ein Kind erlebt diese Leichtigkeit und Entfaltung, bevor sie ihm möglicherweise genommen wird. Ich erträumte mir meine eigene verzauberte Landschaft mit viel Glitzer und Reinheit. Dabei hatte ich den inneren Antrieb, das Starre und Vorgegebene zu überdecken und darauf meine eigene Welt zu formen und zu gestalten. Stelle dir folgende Fragen und beobachte, was dabei mit dir geschieht.
In was wollte ich mich als Kind verwandeln?
Wie stellte ich mir meine Traumlandschaft vor?
Welche Stürme und Gewitter haben mich geprägt?
Welche Berge und Hindernisse wollte ich erklimmen?
Wo sah ich als Kind den schönsten Horizont meines Lebens?
Was bedeuten für mich die weißen Berge?
Wann bin ich zuletzt im frischen Schnee gelegen?
Wie schmeckt eine frische Schneeflocke auf der Zunge?
Wo habe ich das letzte Mal im Schneesturm getanzt?
Wie erlebe