Pascal – Ein Mord ohne Sühne. Walter Brendel

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Pascal – Ein Mord ohne Sühne - Walter Brendel

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kommt es: Die Schwestern hätten ihr erzählt, dass sie dem Kleinen eine Eisenstange auf den Kopf gehauen hätten. Die Beamten wollen mehr wissen. Sarah gibt schließlich zu, dabei gewesen zu sein, als Pascal im Wald an der Saar mit der Eisenstange erschlagen wurde. Dass es zwei Schläge auf den Hinterkopf waren. Dass der Junge zwei Minuten lang schrie. Dass es schon dunkel war. Dass sie alles beobachtet habe.

      Als Zeugin vor der Saarbrücker Schwurgerichtskammer wird Sarah wieder gefragt, ob Pascal mit seinen Schwestern auf der Kirmes war. "Nein." Ob sie ihn dort gesehen habe? "Nein." Sie druckst herum. Der Vorsitzende Ulrich Chudoba bringt aus ihr schließlich mit Mühe den Satz heraus: "Es war alles gelogen, was ich gesagt hab."

      Einer der Verteidiger, der Saarbrücker Rechtsanwalt Walter Teusch, fragt nach dem Grund. Er will wissen, warum ein junges Mädchen sich eine Lügengeschichte ausdenkt, die seine Freundinnen in so schlimmen Verdacht brachte? Die ältere der Schwestern wurde damals immerhin inhaftiert.

      "Gab es Streit?", fragt Teusch die junge Frau. "Haben Sie Hass empfunden?"

      "Nein."

      "Wieso erfinden Sie dann etwas so Schreckliches? War es die Angst, selbst eingesperrt zu werden?"

      "Ja."

      Sarah hat den Druck nicht ausgehalten und in ihrer Bedrängnis mit einer haarsträubenden, frei erfundenen Geschichte den Verdacht von sich auf andere umgelenkt.

      Die beiden Schwestern haben sich gegen die Falschbeschuldigung nicht zu wehren gewagt. Ein bizarrer Einzelfall?

      Dass vor der Polizei und vor Gericht gelogen wird, ist eine Binsenweisheit, sonst müssten Zeugen nicht ausdrücklich auf ihre Wahrheitspflicht hingewiesen werden.

      Nur Beschuldigten und Angeklagten droht nicht auch noch eine Strafe wegen Falschaussage, wenn sie nicht bei der Wahrheit bleiben. Dass labile Personen rüden Vernehmungsmethoden nicht standhalten und Taten gestehen, die sie gar nicht begangen haben, dass sie nachplappern, was man in sie hineinfragt, in der Hoffnung, nun in Ruhe gelassen zu werden oder nach Hause gehen zu dürfen oder auch, um sich wichtig zu machen - es ist trauriger Alltag des Polizeigeschäfts und kein Grund zur Empörung. Denn auch die Polizei steht in spektakulären Fällen unter Druck.

      Sage keiner: Man gesteht doch keinen Mord, wenn man keinen umgebracht hat. Es gab und gibt immer wieder Geständnisse, die jeder Grundlage entbehren. Es büßten und büßen Unschuldige jahrelang im Gefängnis, weil sie Taten gestehen, die sie nicht begangen haben.

      Ein Zeuge sagt in Saarbrücken auf Frage des Vorsitzenden: "In einem so langen Verhör sagt man viel! Die haben mich einen 'Kinderficker' genannt! Du warst das, du warst das!, hieß es immer wieder. Die haben mir genau geschildert, was ich getan haben soll! Und dass ich ein ganz Gefährlicher bin! Ich war am Boden zerstört! Das bisschen Selbstbewusstsein, das ich in meinem Leben aufgebaut hatte, haben die systematisch kaputtgemacht. Ich habe nur noch geheult."

      In Saarbrücken sind 13 Personen unter anderem angeklagt, den kleinen Pascal ermordet und/oder schwer missbraucht und/ oder Beihilfe dazu geleistet zu haben. Es gibt keine Leiche, keine Spuren, mit denen bewiesen werden könnte, dass der Junge damals in der Burbacher Tosa-Klause nach brutalem Missbrauch durch mehrere Männer zu Tode kam und auf dem Gelände einer Kiesgrube im französischen Forbach vergraben wurde, wie die Anklage behauptet.

      Es steht nur fest, dass der Junge verschwunden ist. Ist er tot? Niemand weiß es. Oder lebt er womöglich? Und wenn ja, wo? Es gibt nichts als einen Brei widersprüchlicher und sich im Lauf der Zeit auffällig annähernder Aussagen von drei zum Teil geistig behinderten Angeklagten - die anderen bestreiten konsequent.

      Diese Personen nähren die bösesten Vorurteile. Zwei Frauen sind unter den "Geständigen" - jede für sich das personifizierte Elend. Getretene, Geschlagene, Benutzte, die wie Abschaum an den äußersten Rand der Gesellschaft gedrängt wurden.

      Andrea Meier oder Müller oder Moser, es ist egal, wie sie heißt, im Säufermilieu von Burbach ist sie "'s Andrea", das Andrea, das Mensch. "Dem Andrea seine Kinder", das sind fünf trostlose Schicksale, ungewollte Existenzen, herumgeschubst, misshandelt, vergessen. Von keinem ist der Vater bekannt. Vier Kinder wurden zur Adoption gegeben, da Andrea weder für sich noch für andere sorgen kann. Nur das fünfte, einen Jungen namens Kevin (Name geändert), behielt sie. Er ist jetzt neun und lebt inzwischen schon in der dritten Pflegefamilie.

      Schwangerschaften fing sich Andrea ein wie andere einen Schnupfen. Sie ging mit jedem ins Bett oder hinter einen Busch oder auf die nächste Toilette. "'Andrea vögelt halt gern", sagt einer der Zeugen ungeniert vor Gericht, bei der musste man nicht bezahlen. Eine andere Art von Zuwendung oder Aufmerksamkeit hat sie in ihrem Leben wohl nicht erfahren.

      40 Jahre ist sie alt und sieht aus wie 60. Oft grimassiert sie, setzt ein wichtiges Gesicht auf, dann wieder lacht sie unvermittelt. Sie pendelt zwischen der Realität und dem, was sie sich gerade vorstellt. Dass sie nicht unterscheiden kann, was wirklich und was angeblich passiert ist, was sie erlebt hat und was sie vom Hörensagen weiß - es ist offenkundig und sogar verständlich. Anders ist dieses Leben nicht zu ertragen.

      Seit 20 Jahren befindet sie sich unter Pflegschaft. In dieser Zeit war sie 27-mal woanders zu Hause, in Pflegefamilien, in Wohnheimen, dann in Kliniken, in Behindertenwerkstätten, in Psychiatrien, zeitweise war sie ohne festen Wohnsitz, bis sie schließlich in der Burbacher Tosa-Klause landete, wohin sie einer ihrer Freier, der Bruder der Wirtin, gebracht hatte.

      Dort bekommt sie zu essen, eine Unterkunft, die Wirtin übernimmt die Pflegschaft für sie und den kleinen Kevin. Andrea darf sich in der Kneipe nützlich machen. Sie hat in der Wirtin erstmals eine Bezugsperson und durch die Stammgäste einen festen Kreis von Menschen um sich, die zwar wie sie aus der Gosse kommen, Alkohol- und Drogenkranke, Arbeits- und Berufslose - doch besser als "auf der Stroß'" ist es allemal.

      Man hat Andrea 16-mal vernommen, sie muss die Ermittler zur Verzweiflung gebracht haben. Ihre widersprüchlichen Aussagen sind auf 1600 Blatt notiert. Und vor Gericht klingt wieder alles anders.

      Man kennt großenteils nur die Vornamen voneinander: der Luddi, der Jupp, der Kurti, der gern Frauenkleider anzieht, der Siggi, der Peter, der all sein Geld ins Puff trägt, und so fort. Die Putzfrau Erika kommt oft zum Trinken, auch die Tanja, 's Gabi und wie sie alle heißen. "Warum haben Sie den Jupp so belastet, wenn Sie es nun ganz anders erzählen?", wird Andrea gefragt.

      "Keine Ahnung."

      "Aber einen Grund muss es doch geben?"

      "Nee."

      Was soll ein Gericht damit anfangen? Ein ums andere Mal stöhnt der Vorsitzende: "Ich geb's auf. Die Fragen kann ich mir sparen." Die Staatsanwaltschaft aber bläht diese armseligen Angeklagten, von denen sich die bürgerlichen und intellektuellen Kreise angeekelt abwenden, zur "Tosa-Gemeinschaft" auf, einer Zweck- und Interessengemeinschaft zur Ermöglichung von sexuellem Kindesmissbrauch.

      In den ersten zehn Verhandlungstagen des Pascal-Prozesses sagten die wenigen aussagewilligen Angeklagten aus. Zuletzt wurden auch erste Zeugen aus dem Umfeld der Tosa-Klause vernommen.

      Nur drei der insgesamt 13 Beschuldigten im Fall Pascal haben in den ersten acht Tagen der Verhandlung eine Aussage vor dem Landgericht Saarbrücken zu Protokoll gegeben. Die übrigen zehn machen weiter beharrlich von ihrem Aussage-Verweigerungsrecht Gebrauch.

      Die drei aussagewilligen Angeklagten sagten zu den Geschehnissen in der Tosa-Klause aus. Sie bestätigten die grobe Linie der Geschehnisse in der Saarbrücker Bierkneipe:

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