Allgemeine Staatslehre. Alexander Thiele

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Allgemeine Staatslehre - Alexander Thiele

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Zusammensetzung ergibt sich in Zeiten revolutionärer Unruhen nur selten aus vollständig freien und gleichen demokratischen Wahlen, hängt von Zufälligkeiten oder den Vorstellungen eventueller Siegermächte ab. Teilweise greift die verfassungsgebende Versammlung auch auf Vorarbeiten von Verfassungskommissionen (Herrenchiemseer Konvent, Verfassungskommission der Paulskirchenversammlung) oder gar Einzelpersönlichkeiten zurück (Weimar: Hugo Preuß), wodurch sich die Legitimationsfrage noch einmal verschärft. Insofern findet sich im Rückblick kaum eine Verfassungsordnung, die im Hinblick auf ihre Entstehung nicht gewisse Legitimationsdefizite aufweist,[492] schon weil der politische Körper und damit auch die Zugehörigkeit zu diesem erst mit der zu vereinbarenden Verfassung begründet werden.[493] Günter Frankenberg spricht von den „autoritären Gründungsmomenten“ demokratischer Verfassungen, die allzu oft hinter glorifizierten Entstehungsnarrativen versteckt werden: „Empirisch war und ist das Konstituieren überwiegend also nicht Selbstbindung des demokratischen Souveräns ‚Volk‘ im Singular oder Plural, sondern Fremdbindung durch Vertreter*innen, die für das Volk sprechen und entscheiden.“[494] Die Verabschiedung der neuen Ordnung durch eine solche „undemokratische“ Versammlung wird für sich daher kaum die Legitimität |87|erzeugen können, derer es für ihre Stabilität bedarf. Ihren eigentlichen „Legitimationsschub“ erhalten (demokratische) Verfassungen daher auf zweierlei Weise: Einerseits indem der Verfassungstext dem Volk zur Zustimmung vorgelegt wird. So verhielt es sich etwa mit der Verfassung der fünften Französischen Republik, die nach ihrer Ausarbeitung durch die Regierung unter Beteiligung eines aus Parlamentariern besetzten beratenden Verfassungsausschusses in einem Plebiszit vom Französischen Volk angenommen wurde. Etwas anders, im Hinblick auf die Legitimation allerdings kaum weniger, vielleicht sogar stärker ausgeprägt, erfolgte die Annahme der ausgearbeiteten Verfassung in den USA (1787) und in der Schweiz (1848) durch Plebiszite in den Einzelstaaten. Ein geringeres Legitimationsniveau wies die Ratifizierung des Grundgesetzentwurfs in den einzelnen Landtagen der Bundesländer auf – eine Volksbefragung wurde weder in den Ländern noch auf Bundesebene durchgeführt.[495] Aufgefangen wurde dieses Legitimationsdefizit durch den zweiten Legitimationsstrang moderner Verfassungen: Zeit.[496] Die politische Ordnung gewinnt mit jedem Tag, an dem sie von der Bevölkerung als auch vom politischen Betrieb als neue Grundordnung des Gemeinwesens anerkannt und geachtet wird an zusätzlicher Legitimationskraft: „Die erfolgreiche Revolution aber streift irgendwann den Makel ihrer Herkunft ab und erwächst in Legitimität.“[497] Für das deutsche Grundgesetz hält Christoph Möllers fest: „Die Legitimation des Grundgesetzes ergibt sich nicht aus der historisch anfechtbaren Behauptung, es sei vom demokratischen Volk gemacht, sondern aus dem demokratischen Anspruch des Grundgesetzes, das in praktischen Vollzug gesetzt wurde, namentlich aus der Tatsache, dass das Grundgesetz freie und gleiche Wahlen anordnet und diese so stattgefunden haben.“[498] Eine besondere legitimatorische Bedeutung kommt hier dem ersten friedlichen Regierungswechsel zu, der sich in Deutschland etwa im Jahr 1969 vollzog. Spätestens mit dieser gelungenen, weil friedlichen Übergabe der Macht von der Regierung an die bisherige Opposition wird man von legitimatorischen Defiziten mit Blick auf die Bundesrepublik nicht mehr sprechen können[499] – im Jahr 2022 gilt das erst Recht. Legitimitätsschwankungen, |88|ablesbar etwa in sinkenden Wahlbeteiligungen, sind dadurch nicht ausgeschlossen, da die Legitimation immer nur einen notwendigen aber nicht hinreichenden Faktor für die Legitimität einer demokratischen Ordnung darstellt.[500] Voraussetzungen und dogmatische Einordnung der Verfassungsgebung bleiben gleichwohl umstritten.[501]

      3. Untergang von Staaten beziehungsweise „Failed States“

      Fußnoten

       366

      Ein Beispiel bildet etwa die zu Indien gehörende Insel North Sentinel Island. Die UreinwohnerInnen haben bis heute praktisch keinen Kontakt zur Außenwelt.

       367

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