Epidemiologie für Dummies. Patrick Brzoska
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Cedar Creek, eine Kleinstadt in Kalifornien. Ein Reisender hat das Virus aus Zaire in die USA eingeschleppt. Es breitet sich in der Stadt wie ein Lauffeuer aus. Menschen, die sich angesteckt haben, aber noch nicht erkrankt sind, husten im Kino oder küssen ihren Partner und streuen so das Virus. Wieder ist Sam Daniels gefragt. Es gelingt ihm, die Infektionsquelle zu finden und die Seuche einzudämmen.
Alles Klischees? Nicht nur. Einige Elemente in Filmen wie »Outbreak« und »Contagion« sind mitten aus dem Leben der Epidemiologen gegriffen. Für viele Infektionsepidemiologen gehört die detektivische Suche nach der Ansteckungsquelle eines Ausbruchs und nach dessen Ausbreitungswegen zum Tagesgeschäft. Ein Beispiel ist die Kontaktnachverfolgung bei Infektionen mit dem Corona-Virus. Oft handelt es sich aber um wenig spektakuläre Ausbrüche von Durchfallerkrankungen.
Epidemiologen sitzen also nicht nur am Computer. Bevor sie rechnen, sammeln sie Daten in der Bevölkerung, wenn auch nicht immer unter so schwierigen Bedingungen wie im Film. Nachdem sie gerechnet und analysiert haben, handeln sie. Mehr über die Untersuchung von Krankheitsausbrüchen und über Maßnahmen, um sie einzudämmen, erfahren Sie in den Kapiteln 2, 18 und 19.
Gesund dank besserer Medizin?
Ausbrüche von Seuchen gibt es auch in Deutschland – wir erläutern das in Kapitel 18 am Beispiel von Grippe-Epidemien. Die meisten Infektionskrankheiten verlaufen aber weniger dramatisch als Grippe, COVID-19 oder Ebola, und glücklicherweise sterben heute nicht mehr so viele Menschen daran wie früher. Ist dieser Rückgang eine Leistung der modernen Medizin mit ihren Impfungen und Antibiotika?
Um das herauszufinden, werfen wir einen Blick in die Gesundheitsberichterstattung, ebenfalls ein Arbeitsgebiet der Epidemiologen. Die Gesundheitsberichterstattung informiert unter anderem über die Häufigkeit von Gesundheitsproblemen in der Bevölkerung. Um Gesundheitsberichte zu erstellen, benutzen Epidemiologen oft Register von Krankheiten oder Todesfällen als Datenquelle (siehe dazu Kapitel 24). Die Auswertung von Registern ist weniger aufwendig, als neue Daten zu erheben. Außerdem ermöglicht es, auf Daten vergangener Jahre zurückzugreifen. So können Epidemiologen untersuchen, wie sich Gesundheitsrisiken über die Zeit verändern, und Rückschlüsse auf mögliche Ursachen ziehen.
Dass das spannend sein kann, zeigt Ihnen Abbildung 1.1. Sie sehen die Veränderungen der Säuglingssterblichkeit (das ist die Zahl der Todesfälle innerhalb des ersten Lebensjahrs pro 1.000 lebend geborener Kinder) in Deutschland oder seinen Teilgebieten im Zeitraum 1870 bis 2020. Zu Beginn dieser Zeitperiode starb rund ein Viertel (250 von 1.000) aller Neugeborenen vor ihrem ersten Geburtstag. Unter den häufigsten Todesursachen waren Durchfall und andere Infektionskrankheiten, Mangelernährung sowie schlechte Hygiene- und Wohnbedingungen (mehr dazu in Kapitel 2). Heute dagegen sterben nur noch 3 von 1.000 Lebendgeborenen vor ihrem ersten Geburtstag.
Abbildung 1.1: Säuglingssterblichkeit in Deutschland, 1870 bis 2020
Aus dem Verlauf der Kurve können Sie einige interessante Beobachtungen ableiten:
Die Säuglingssterblichkeit sank lange bevor es medizinische Errungenschaften wie Antibiotika (beispielsweise Sulfonamide) und Impfprogramme gab. Ausschlaggebend für einen großen Teil des Rückgangs waren bessere Lebensbedingungen, beispielsweise ausreichende Ernährung und sauberes Trinkwasser – und nicht etwa die Medizin.
Ein Ereignis wie der Zweite Weltkrieg wirkt sich sichtbar negativ auf die Säuglingssterblichkeit aus – vor allem durch Hunger, schlechtere medizinische Versorgung sowie Todesfälle durch Bombenangriffe und durch die Gefahren des Auf-der-Flucht-Seins. Die Säuglingssterblichkeit gibt also Auskunft über die Situation einer Gesellschaft.
In den vergangenen Jahren hat die Säuglingssterblichkeit einen sehr niedrigen Wert erreicht. Aber nur die jüngsten Verbesserungen verdanken wir der Hochleistungsmedizin, beispielsweise bei der Betreuung frühgeborener Säuglinge.
Regelmäßige und lückenlos erhobene Daten zur Säuglingssterblichkeit liegen erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts vor. Vollständige Daten sind keine Selbstverständlichkeit, sie erfordern Bemühungen vieler Beteiligter (siehe Kapitel 24).
Die vergleichsweise starken Schwankungen der Säuglingssterblichkeit vor 1949 lassen vermuten, dass die früheren Daten weniger zuverlässig waren als heute (zum Teil liegt es aber auch daran, dass es für die Zeit vor 1910 nur Daten aus unterschiedlichen Teilgebieten Deutschlands gibt).
In Deutschland trug neben der verbesserten Hygiene vor allem eine bessere Ernährung zur sinkenden Sterblichkeit durch Infektionskrankheiten bei. Wohlgenährte Menschen haben stärkere Abwehrkräfte. Sie stecken sich seltener