Epidemiologie für Dummies. Patrick Brzoska
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Epidemiologen denken kritisch
Als Wissenschaftler wollen wir Epidemiologen etwas über die Welt erfahren, besonders natürlich über die Zusammenhänge zwischen Expositionen und Krankheiten. Oft erfordert das regelrechte Detektivarbeit – beispielsweise bei der Untersuchung von Krankheitsausbrüchen (lesen Sie dazu Kapitel 2, 18 und 19).
Detektive sollten nicht auf falsche Spuren hereinfallen. Das geht Epidemiologen nicht anders. Wir müssen lernen, kritisch zu denken, dabei aber konstruktiv zu sein (eine Fähigkeit, die auch im Alltag weiterhilft). Wenn wir einen wissenschaftlichen Aufsatz über eine epidemiologische Studie lesen, hinterfragen wir die eingesetzten Methoden und ganz besonders die Ergebnisse. Wo es angebracht ist, kritisieren wir. Brauchbare Kritik erfordert aber sorgfältige Vorarbeiten. Dazu gehört:
Hintergründe der Studie und ihrer Methoden gründlich recherchieren
Kritische Anmerkungen sauber und nachvollziehbar begründen
Präzise für den eigenen Standpunkt argumentieren
Um all das tun zu können, benötigen Epidemiologen nicht nur einen gesunden Menschenverstand, sondern auch solide Methodenkenntnisse. Wir legen Ihnen daher die Kapitel 9 bis 13 in diesem Buch besonders ans Herz.
Epidemiologen entwickeln Studiendesigns
Ein klein wenig stolz sind wir schon auf unsere eleganten und ausgefeilten Typen von epidemiologischen Studien – wir sprechen gerne von »Studiendesigns«. Mit den schon erwähnten Kohortenstudien beispielsweise blicken wir zeitlich nach vorn und vergleichen, ob Exponierte im Laufe der Zeit häufiger erkranken als Nichtexponierte (dieses und weitere Studiendesigns lernen Sie in den Kapiteln 9 bis 13 genauer kennen).
Für jede neue Kohortenstudie passen wir das Studiendesign an und entwickeln es weiter. An der grundlegenden Idee halten wir aber fest. Zudem beschreiben wir in wissenschaftlichen Veröffentlichungen unsere Methoden sehr genau. Warum? Ein Aspekt von Wissenschaft ist die Wiederholbarkeit der Studien. Wenn wir bekannte Studientypen benutzen und Abwandlungen genau beschreiben, ermöglichen wir es anderen Epidemiologen, eine ähnliche Studie durchzuführen und unsere Ergebnisse kritisch zu prüfen.
Epidemiologen handeln
Epidemiologie hat einen starken Anwendungsbezug. Anders formuliert: In vielen von uns steckt ein kleiner Sam Daniels (Sie erinnern sich: das ist der Epidemiologe aus »Outbreak«, der gleichermaßen im Urwald wie im Cockpit eines Hubschraubers heimisch ist). Wir begnügen uns nicht damit, Probleme zu erkennen. Vielmehr versuchen wir, auf der Grundlage unserer wissenschaftlichen Ergebnisse auch Lösungsvorschläge zu entwickeln und umzusetzen. In Kapitel 2 stellen wir Ihnen die berühmteste Problemlösung in der Geschichte der Epidemiologie vor – sie erforderte einen Werkzeugkasten.
Epidemiologen träumen von Gerechtigkeit
Auch Epidemiologen träumen. Unsere privaten Träume erzählen wir Ihnen nicht. Beruflich träumen wir von einer Welt, in der alle Menschen gleiche Chancen haben. Zugegeben: ein sehr hohes Ideal.
Gleiche Chancen erfordern zunächst gleiche gesundheitliche Chancen. Davon sind wir weit entfernt – denken Sie an die enormen Ungleichheiten in der Säuglingssterblichkeit weltweit. Sie liegt in manchen afrikanischen Ländern 20-mal so hoch wie in Deutschland. Aber auch innerhalb von Deutschland bestehen gesundheitliche Unterschiede zwischen Arm und Reich.
Als Epidemiologen zeigen wir gesundheitliche Ungleichheiten auf, ermitteln ihre Ursachen und messen, wie erfolgreich Maßnahmen zu ihrer Beseitigung sind. Das ist immerhin ein kleiner Beitrag zu einem großen Ziel.
Kapitel 2
Epidemiologen sind Detektive
IN DIESEM KAPITEL
Wie Risiken in der Bevölkerung verteilt sind
Gesundheitsprobleme erkennen und berichten
Dr. John Snow und die Cholera in London
Epidemiologische Detektivarbeit: Wer? Wo? Wann?
Epidemiologen untersuchen Gesundheitsprobleme. Das tun Ärzte auch – beim einzelnen Patienten. Die Epidemiologen hingegen stellen ihre Diagnosen in der Bevölkerung. Dabei arbeiten sie wie Detektive. Indem sie Krankheitsursachen ermitteln, schaffen Epidemiologen die Grundlagen zur Lösung von Gesundheitsproblemen.
Die Epidemiologie ist noch keine sehr alte Wissenschaft. Zwar gab es in früheren Jahrhunderten Vorläufer von Epidemiologen, so richtig beginnt die Geschichte unserer Wissenschaft aber erst Mitte des 19. Jahrhunderts in London. Damals trugen die ersten Epidemiologen durch ihre Detektivarbeit dazu bei, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Die herrschenden Gesundheitsprobleme waren akut und dramatisch.
Auf den Schultern von Giganten
Wenn Sie Gedichte schreiben, werden Sie öfter das Gefühl haben, dass Goethe eigentlich schon alles gesagt hat. Goethe allerdings dürfte ähnlich gedacht haben, wenn er die Sonette oder die Dramen von Shakespeare las. Ob Künstler oder Wissenschaftler, wir alle stehen heute auf den Schultern von Giganten: Andere vor uns haben die wichtigen Grundsteine unserer Fachgebiete gelegt.
In der Epidemiologie ist das nicht anders. Hinter wichtigen epidemiologischen Konzepten stecken zunächst ganz alltägliche Menschen. Erst durch ihre Beobachtungen und Entdeckungen wurden sie zu den Giganten, als die sie uns heute erscheinen.
Risiken sind nicht zufällig verteilt
Stellen Sie sich vor, alle Menschen hätten das gleiche Risiko zu erkranken oder zu versterben. Lungenkrebs beispielsweise würde