Toxikologie für alle. Helmut Greim
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Das Risiko beschreibt, in welchem Ausmaß bei einer bestimmten Exposition ein Gesundheitsschaden zu erwarten ist. Die Risikoermittlung ist die quantitative Bestimmung der möglichen Gesundheitsgefährdung durch einen Stoff oder ein Stoffgemisch in Abhängigkeit von Wirkungsintensität, Expositionsdauer und Expositionshöhe.
Zur Abschätzung des gesundheitlichen Risikos einer Exposition wird die Exposition mit dem NOAEL verglichen, um den Abstand zwischen Exposition und dem NOAEL oder soweit vorhanden dem entsprechenden Grenzwert festzustellen. Je größer der Abstand zwischen dem aus Tierversuchen ermittelten NOAEL oder einem Grenzwert und der Exposition, desto unwahrscheinlicher ist ein Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Auftreten einer gesundheitlichen Störung. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass bei Substanzen mit reversibler Wirkung und einem Sicherheitsabstand (engl. margin of safety, MOS) von 100 zwischen NOAEL und Exposition auch unter der Voraussetzung, dass innerhalb der Bevölkerung unterschiedliche Empfindlichkeiten bestehen, keine schädliche Wirkung zu erwarten ist. Dieser Sicherheitsabstand wird auch zur Festlegung des sog. ADI-Wertes (engl. acceptable daily intake, ADI; duldbare tägliche Aufnahme, DTA) herangezogen, von dem wiederum die regulatorische Toxikologie z. B. Höchstmengen von Pflanzenschutzmitteln in Nahrungsmitteln ableitet.
Einen Hinweis auf eine erhöhte Belastung ergibt auch der Vergleich einer gegebenen Exposition mit der sog. Hintergrundbelastung, d. h. der allgemeinen Belastung der Bevölkerung gegenüber einem Stoff, ohne dass eine besondere Expositionsquelle vorliegt. Herangezogen werden z. B. die üblicherweise vorhandenen Konzentrationen eines Stoffes in der Umgebungsluft, in der Luft in Innenräumen, im Boden, im Hausstaub, in Nahrungsmitteln oder im Trinkwasser. Einen guten Anhalt bieten auch die durch Biomonitoring ermittelten sog. Referenzwerte, die die innere und damit die tatsächliche Exposition der Bevölkerung ohne eine spezifische Belastung beschreiben. Bei Überschreitungen solcher Werte wird dann eine Abschätzung des gesundheitlichen Risikos vorgenommen.
Die Risikoabschätzung für krebserzeugende Substanzen, die über einen genotoxischen Mechanismus wirken, ist sehr viel schwieriger, da für solche Wirkungen nach wie vor kein NOAEL abgeleitet werden kann. Hier wird zumeist linear von den zumeist sehr hohen, im Tierversuch verwendeten Dosen oder der abgeschätzten Exposition bei epidemiologischen Studien auf die zu bewertende Exposition extrapoliert. Das so ermittelte Risiko einer Exposition lässt sich dann mit anderen, oft unvermeidbaren Risiken wie dem Risiko, vom Blitzschlag oder einem herabstürzenden Flugzeug getroffen zu werden, vergleichen.
Eine andere Vorgehensweise ist die Identifizierung der Dosis, die im Tierversuch nicht zu Tumoren geführt hat, also des ermittelten NOAEL der krebserzeugenden Wirkung. Anhand eines Sicherheitsfaktors von 1000 oder 10 000 kann dann ein Expositionswert abgeleitet werden, der mit einer gegebenen Exposition einer Bevölkerungsgruppe, am Arbeitsplatz oder mit der üblichen Belastung der Bevölkerung verglichen wird. Mit diesem margin of exposure (MOE) wird zwar keine Aussage zum Risiko gemacht, die Information kann jedoch zur Prioritätensetzung von Maßnahmen verwendet werden. Je geringer der MOE, d. h. der Abstand zwischen NOAEL und Exposition, desto höher ist die Dringlichkeit für Maßnahmen zur Risikominderung. In anderen Fällen wird als Orientierungswert die sog. TD25 ermittelt, das ist diejenige Dosis, die im Tierversuch bei 25% der behandelten Tiere Tumoren ausgelöst hat. Eine weitere Möglichkeit ist die Berechnung einer sog. Benchmark-Dosis. Diese ergibt sich aus der Extrapolation der Dosis-Wirkungs-Beziehung der Tumorinzidenzen auf einen Wert, bei dem noch mit einer bestimmten (relativ geringen) Wahrscheinlichkeit mit einem Effekt zu rechnen ist, z. B. auf einen Wert von 0,1 (10%) oder 0,01 (1%) (siehe Teil A, Kap. 3).
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Bewertung von Gemischen (Kombinationswirkungen)
In vielen Fällen liegen mehrere Chemikalien gleichzeitig vor, d. h. wir sind gegenüber Gemischen von Chemikalien exponiert, die in Abhängigkeit der Zielorgane der Einzelstoffe und ihrer speziellen Effekte zu antagonistischen (entgegengesetzt gerichteten), additiven oder auch überadditiven Wirkungen führen können. Dies hängt davon ab, welche Zielorgane und speziellen Effekte die Stoffe besitzen und ob die einzelnen Stoffe miteinander reagieren.
Für die daraus resultierenden toxischen Effekte ergeben sich drei prinzipielle Möglichkeiten:
• Unabhängige Wirkungen: Die einzelnen Stoffe beeinflussen sich weder direkt noch indirekt. Sie verhalten sich so, als wäre jeder nur allein im Körper vorhanden.
• Antagonismus: Die Wirkung einer Substanz wird durch weitere anwesende Stoffe abgeschwächt.
• Synergismus: Der Effekt eines Wirkstoffes wird durch einen weiteren Stoff verstärkt. Ein additiver Synergismus liegt vor, wenn sich die Gesamtwirkung von zwei Stoffen, bezogen auf ihre Einzelwirkung, addiert. Ist die Summenwirkung größer als die Summe der Einzelwirkungen, handelt es sich um einen überadditiven Synergismus.
Zu berücksichtigen ist dabei, in welchen Konzentrationen die einzelnen Chemikalien vorliegen, welche Expositionen des Menschen gegenüber dem Gemisch zu erwarten sind und wie groß damit der Abstand der einzelnen Stoffe zu den erlaubten Grenzwerten ist.
Dies sei am Beispiel der als Insektizide verwendeten Phosphorsäureester wie E 605 erläutert, die zu einer Hemmung des Enzyms Acetylcholinesterase führen. Die Folge ist ein verminderter Abbau des Acetylcholins, der zu einer Acetylcholinvergiftung bis zur Lähmung des Atemzentrums im Gehirn, zu Verengung der Bronchien und zu erhöhter Flüssigkeitssekretion im Bronchialbereich führen kann.
Für das Auslösen einer Acetylcholinesterasehemmung sind bestimmte, für die Einzelsubstanz spezifische Mengen erforderlich. Daraus ist abzuleiten, dass sich die Wirkung verdoppeln oder vervielfachen kann, wenn zwei oder mehrere entsprechend wirkende Stoffe in vergleichbaren Wirkkonzentrationen vorliegen. Das bedeutet jedoch auch, dass mehrere Stoffe, die jeweils in Mengen vorliegen, die jeweils nur 1/1000 der Wirkkonzentration ausmachen, auch zusammen ohne Wirkung bleiben. Sie besitzen zusammen zwar ein höheres Wirkpotenzial als das der Einzelsubstanzen, die Wirkschwelle für eine Hemmung der Acetylcholinesterase wird jedoch nicht erreicht.
In Deutschland werden Gemische meist nach einem additiven Verfahren bewertet, d. h., es wird davon ausgegangen, dass Synergismus vorliegt, obwohl dies in vielen Fällen nicht gegeben ist. Dieses konservative Vorgehen gewährt aber eine ausreichende Sicherheit. In besonderen Fällen ist jedoch die toxikologische Untersuchung der Gemische sinnvoll.