Neue Gedichte. Rainer Maria Rilke

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ein Speer bei andern Dingen

      lag ich bei den Meinen. Dein Erklingen

      warf mich weit. Ich weiß nicht, wo ich bin.

      Mich kann keiner wiederbringen.

      Meine Schwestern denken mich und weben,

      und das Haus ist voll vertrauter Schritte.

      Ich allein bin fern und fortgegeben,

      und ich zittere wie eine Bitte;

      denn die schöne Göttin in der Mitte

      ihrer Mythen glüht und lebt mein Leben.

      Sappho an Eranna

      Unruh will ich über dich bringen,

      schwingen will ich dich, umrankter Stab.

      Wie das Sterben will ich dich durchdringen

      und dich weitergeben wie das Grab

      an das Alles: allen diesen Dingen.

      Sappho an Alkaïos

      Fragment

      Und was hättest du mir denn zu sagen,

      und was gehst du meine Seele an,

      wenn sich deine Augen niederschlagen

      vor dem nahen Nichtgesagten? Mann,

      sieh, uns hat das Sagen dieser Dinge

      hingerissen und bis in den Ruhm.

      Wenn ich denke: unter euch verginge

      dürftig unser süßes Mädchentum,

      welches wir, ich Wissende und jene

      mit mir Wissenden, vom Gott bewacht,

      trugen unberührt, daß Mytilene

      wie ein Apfelgarten in der Nacht

      duftete vom Wachsen unsrer Brüste—.

      Ja, auch dieser Brüste, die du nicht

      wähltest wie zu Fruchtgewinden, Freier

      mit dem weggesenkten Angesicht.

      Geh und laß mich, daß zu meiner Leier

      komme, was du abhältst: alles steht.

      Dieser Gott ist nicht der Beistand zweier,

      aber wenn er durch den einen geht

      Grabmal eines jungen Mädchens

      Wir gedenkens noch. Das ist, als müßte

      alles dieses einmal wieder sein.

      Wie ein Baum an der Limonenküste

      trugst du deine kleinen leichten Brüste

      in das Rauschen seines Bluts hinein:

      —jenes Gottes.

      Und es war der schlanke

      Flüchtling, der Verwöhnende der Fraun.

      Süß und glühend, warm wie dein Gedanke,

      überschattend deine frühe Flanke

      und geneigt wie deine Augenbraun.

      Opfer

      O wie blüht mein Leib aus jeder Ader

      duftender, seitdem ich dich erkenn;

      sieh, ich gehe schlanker und gerader,

      und du wartest nur—: wer bist du denn?

      Sieh: ich fühle, wie ich mich entferne,

      wie ich Altes, Blatt um Blatt, verlier.

      Nur dein Lächeln steht wie lauter Sterne

      über dir und bald auch über mir.

      Alles was durch meine Kinderjahre

      namenlos noch und wie Wasser glänzt,

      will ich nach dir nennen am Altäre,

      der entzündet ist von deinem Haare

      und mit deinen Brüsten leicht bekränzt.

      Östliches Taglied

      Ist dieses Bette nicht wie eine Küste,

      ein Küstenstreifen nur, darauf wir liegen?

      Nichts ist gewiß als deine hohen Brüste,

      die mein Gefühl in Schwindeln überstiegen.

      Denn diese Nacht, in der so vieles schrie,

      in der sich Tiere rufen und zerreißen,

      ist sie uns nicht entsetzlich fremd? Und wie:

      was draußen langsam anhebt, Tag geheißen,

      ist das uns denn verständlicher als sie?

      Man müßte so sich ineinanderlegen

      wie Blütenblätter um die Staubgefäße:

      so sehr ist überall das Ungemäße

      und häuft sich an und stürzt sich uns entgegen.

      Doch während wir uns aneinanderdrücken,

      um nicht zu sehen, wie es ringsum naht,

      kann es aus dir, kann es aus mir sich zücken:

      denn unsre Seelen leben von Verrat.

      Abisag

      I

      Sie lag. Und ihre Kinderarme waren

      von Dienern um den Welkenden gebunden,

      auf dem sie lag die süßen langen Stunden,

      ein wenig bang vor

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