Und Friede auf Erden von Karl May. Karl May
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die unter diesen Leuten gewöhnliche Christenverachtung und die durch die Pilgerfahrt bis zur Brutalität gesteigerte
religiöse Aufregung rechnet, so kann man sich die Gefahr wohl denken, in welcher der Genannte gegenwärtig schwebte.
Eine Dschemma über einen Christen, nebst dem an ihm vollstreckten Todesurteil, ein besserer Schluß konnte nach
Ansicht dieser Fanatiker ihrer Reise nach Mekka ja gar nicht gegeben werden!
Wir eilten nach dem Stall hinüber, zogen die Pferde heraus, stiegen auf und ritten den Hohlweg nach den Pyramiden
hinauf. Ich hielt es nicht für geraten, im Hotel zu sagen, warum wir diesen Ritt unternahmen. Je weniger Aufsehen erregt
wurde, desto größer war für mich die Hoffnung des Gelingens.
Als wir oben bei der Cheops-Pyramide ankamen, war dort kein Mensch zu sehen, denn Jedermann war nach der
Sphinx geeilt, um bei der Dschemma anwesend zu sein. Das war mir lieb, weil ich nun, ohne gesehen zu werden und
Verdacht zu erregen, Omar unterweisen konnte, was er zu tun hatte.
»Hier trennen wir uns,« sagte ich. »Wenn der Amerikaner reiten kann, ist er zu retten, sonst wahrscheinlich nicht. Ich
reite hier links an den kleinen Pyramiden nach der Sphinx hinunter, dränge mich an die Dschemma heran und suche, mit
dem Pferd möglichst nahe an den Amerikaner heranzukommen. Dann steige ich ab und spreche mit den Beduinen.«
»Aber du wagst dein Leben!« fiel Omar ein.
»Nein. Da ich heut nicht den Hut, sondern den Tarbusch trage, wird man mich für einen Effendi halten, und ich werde
nichts sagen, wodurch ich mich als Christ bezeichne. Während ich die Aufmerksamkeit der Dschemma ganz auf mich
ziehe, steigt er schnell auf das Pferd und reitet fort.«
»Sie werden ihm nachreiten!«
»Ich meine, daß sich keine anderen Tiere dort befinden werden, als die kleinen Esel und die langsamen Kamele der
Leute von el Kafr?«
»Das ist richtig!«
»Man kann ihn also nicht einholen, aber man wird auf den klugen Gedanken kommen, ihn nicht nach dem Hotel
zurückzulassen. Man wird also diesen Hohlweg hier besetzen und ihm die Annäherung auch von den anderen Seiten
unmöglich machen. Aber an die Tür zu meinem Zimmer wird Niemand denken.«
»Maschallah! Ich beginne, zu begreifen, Sihdi. Ich soll ihn nach dieser Tür bringen?«
»Ja.«
»Aber wo und wie treffe ich ihn?«
»Du reitest hier an der großen Pyramide entlang, genau nach West, halb über das hinter ihr liegende Totenfeld, und
wendest dich dann links nach der Pyramide des Chefren hinüber, an deren Südwestecke du wartest, bis der Amerikaner
kommt.«
»Wird er wissen, daß ich dort bin?«
»Ja; ich sage es ihm. Wenn er zu dir gestoßen ist, reitet ihr zurück, quer über das Totenfeld, aber ja nicht her zur
großen Pyramide, sondern stets nach Nord, von der Höhe nach der Niederung herab, bis ihr in gleicher Linie mit dem
Hotel seid. Es gibt dort keinen Weg; der Sand ist tief; man wird den Flüchtling dort gewißlich nicht vermuten. Dennoch
sage ich, daß ihr Begegnungen möglichst zu vermeiden habt, bis das Hotel zu sehen ist. Dann reitet ihr, ganz gleich, ob
ihr gesehen werdet oder nicht, schnell auf dasselbe zu, biegt aber ja nach keinem Wege ein, sondern eilt oben auf der
Düne bis hin an meine Zimmertür, welche ich offen gelassen habe. Seid ihr drin und habt den Schlüssel umgedreht, so ist
nichts mehr zu befürchten. Die Pferde müssen freilich draußen stehen bleiben. Ich hoffe übrigens, daß ich dort bin, wenn
ihr kommt. Beeilt euch aber, denn es wird bald dunkel werden!«
»Und was geschieht mit der Tochter des Amerikaners und mit den Chinesen, Sihdi?«
»Das laß meine Sorge sein! Ich rechne auf die ganz gewiß entstehende Aufregung und Verwirrung, welche ich
möglichst gut benutzen werde.«
»Aber du selbst, Sihdi! Du begiebst dich wirklich in Gefahr!«
»Das hat nur den Anschein so. Ich werde die Fremden durch eine so große Dreistigkeit verblüffen, daß sie gar nicht
daran denken, etwas gegen mich zu tun.«
»Was wirst du zu ihnen sagen?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich habe mich nach den Umständen zu richten, welche ich vorfinde. Wie aber steht es mit
der Verwundung des Chinesen?«
»Sie ist nur leicht. Ich sah wohl Blut, doch aber nicht viel. Sein Vater verband ihn eben, als ich ging, mit seinem
Taschentuche.«
»So habe ich von ihm keine Störung zu befürchten. Jetzt wird es Zeit, daß wir uns trennen. Mach deine Sache gut!«
»Von dem Augenblicke an, wo er bei mir ist, wird ihm nichts geschehen, darauf kannst du dich verlassen, Sihdi. Du
hast von mir verlangt, ein guter Mensch zu sein, und nun macht es mir Freude, ihm seine Beleidigung durch Liebe zu
vergelten!«
Nach diesen Worten ritt er in der ihm von mir angegebenen Richtung davon; ich aber nahm meinen Weg zwischen der
großen und den ihr gegenüberliegenden kleinen Pyramiden hindurch, welche für Angehörige des Cheops bestimmt
gewesen sein sollen. Hinter der letzten von ihnen teilt sich der Weg. Links führt er nach der Sphinx hinab, fast geradeaus
nach Campbells Grab hinüber. Ich zog es vor, nach diesem Grabe zu reiten, denn ich hatte von dort aus einen besseren
Ueberblick, und ich konnte mir den Anschein geben, als ob ich von dem Vorgefallenen gar nichts wisse und nicht etwa
vom Hotel her, sondern von der zweiten oder gar dritten Pyramide komme. Ich wich also nach Westen zu von den durch
den Sand führenden Stapfen ab und hielt mich so lange in den Einsenkungen des Terrains, bis ich die unterhalb der
Chefren-Pyramide liegenden Tempelreste vor mir hatte. Hierauf wendete ich mich nach links, trieb das Pferd eine steile
Schuttböschung