Und Friede auf Erden von Karl May. Karl May

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Und Friede auf Erden von Karl May - Karl May

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da und sagte zunächst kein Wort. Dann legte er die Hände auf der Kante des Tisches zusammen und forderte sie in

       beinahe bittendem Tone auf:

       »Lies noch einmal, Mary!«

       Sie folgte seiner Aufforderung:

       »Tragt Euer Evangelium hinaus,

       Doch ohne Kampf sei es der Welt beschieden,

       Und seht Ihr irgendwo ein Gotteshaus,

       So stehe es für Euch im Völkerfrieden!«

       Und wieder wurde es still. Mary sah, daß diese ihr vom Winde zugewehten Zeilen auf ihren Vater eine Wirkung

       ausübten, die sie wohl nicht erwartet hatte, und hütete sich, diese Wirkung zu unterbrechen. Und er saß mit gefalteten

       Händen da, ohne sich zu bewegen. Seine Augen sahen geradeaus, wie in eine weite, nur ihm bekannte Ferne. Im Saale

       ging und kam man hin und her; Tassen und Teller klirrten, Messer und Löffel klapperten; es wurde viel und laut

       gesprochen, doch das Alles schien ihn nicht zu stören. Er beachtete nicht, daß das Frühstück noch fast unberührt vor ihm

       stand, denn er hatte bisher weit mehr gesprochen als gegessen oder getrunken. Er hörte es auch gar nicht, daß der

       Kellner, an ihm vorüberstreichend, ihn nach etwaigen Wünschen fragte. Er schien, mit einem bezeichnenden Worte

       gesagt, geistig vollständig abwesend zu sein.

       War ich überrascht gewesen, das verloren gegangene Blatt in Marys Hand zu sehen, so war ich es nun fast noch mehr

       über den Eindruck, den es gerad auf den Mann machte, welcher die eigentliche Ursache war, daß ich es beschrieben

       hatte. Es war ganz selbstverständlich, daß ich schweigen, am allerwenigsten aber es zurückverlangen würde. Ich hatte ja

       nun seinen Inhalt wieder, den ich mir nicht einmal zu notieren brauchte, denn das zweimalige Vorlesen war mehr als

       hinreichend, ihn mir so einzuprägen, daß ich ihn nicht wieder vergessen konnte.

       Da endlich regte sich der Amerikaner wieder. Er sah sich im Saale um, als müsse er sich besinnen, wo er sei; dann

       fragte er in einem für ihn gewiß ungewöhnlich weichen Tone:

       »Und dies hat dir der Wind gebracht, wirklich nur der Wind?«

       »Ja, mein lieber, lieber Vater!«

       Ich sah, daß ihre Augen feucht zu werden begannen.

       »Ich denke,« fuhr er fort, an den »hundertunddritten [»an den hundertunddritten] Psalm und an das erste Kapitel des

       Buches an die Hebräer; es kann auch der hundertundvierte Psalm sein; ich weiß es nicht genau. Dort steht geschrieben:

       »Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen.« Steht kein Name auf dem Blatte? Keine

       Seitenzahl? Gar nichts, woraus man schließen könnte, wem oder wohin es gehört?«

       »Gar nichts, Vater.«

       »So dürfen wir es also als unser Eigentum betrachten und wollen es aufheben für - - für spätere Zeit, wo wir es

       vielleicht brauchen.«

       »Willst du es haben?«

       »Nein; behalte es! Und wenn - - wenn - - - wenn ich wieder einmal lieblos von denen spreche, die ich Heiden nenne,

       so sage mir die beiden letzten Zeilen: Und seht Ihr irgendwo ein Gotteshaus, so stehe es für Euch im Völkerfrieden. Ich

       denke, das wird gut für Etwas sein, was in mir ist, was siegen will und doch nicht siegen kann.«

       Es trat wieder eine Pause ein, nach welcher Mary die Vermutung aussprach:

       »Der Verfasser ist wahrscheinlich ein Deutscher. Und weil ich das Blatt innerhalb der Vorstufen zum Hotel fand, so

       nahm ich an, daß er hier wohnt und es im Kommen oder Gehen draußen verloren hat. Ich erkundigte mich darum vorhin

       bei meiner Rückkehr im Bureau, ob vielleicht ein deutscher Dichter hier logiere, und habe eine verneinende Antwort

       erhalten.«

       »Mag der, welcher es geschrieben hat, sein, wer und was er sei, er wird den kleinen Verlust entweder aus dem

       Konzepte oder aus dem Gedächtnisse leicht wieder ersetzen können. Er bekommt das Blatt nicht wieder, und selbst

       wenn er mir bekannt wäre, würde ich ihn bitten, es behalten zu dürfen. Ob die Zeilen als Gedicht gut sind, das weiß ich

       nicht; ich bin kein Kritiker; aber der Inhalt ist für mich von Wert, und im Ausdruck liegt Etwas, dem ich nicht widerstehen

       kann. Ich bin so alt geworden und habe doch nie und nicht gewußt, wie sich ein schönes, liebes, reines, klares Wort so

       schnell und tief ins Herz hinunterheimeln kann! Und Eins noch ists, was ich dir sagen muß, mein Kind.«

       Aber er sagte es noch nicht, sondern er legte, das Gesicht seiner Tochter zugewendet, den Ellbogen auf den Tisch,

       den Kopf in die Hand, sah sie liebevoll prüfend an, machte dann die Augen zu, als ob er sich etwas zu vergegenwärtigen

       habe, und sprach erst hierauf weiter:

       »Du bist deiner Mutter so überaus ähnlich, äußerlich und innerlich, und das hat mich über ihren Verlust, wenn auch

       nicht beruhigt, aber doch getröstet. Sie ist mein Engel gewesen, und du glaubst ja, daß sie heut ebenso wie früher bei uns

       weilt. Ich weiß, daß ich ein streitbarer Theologe bin, vielleicht streitbarer, als die Bibel will, und es ist stets das

       Hauptbestreben der Toten gewesen, dieses mein aggressives Wesen zu mil- mildern. Sie warnte mich vor China, und als

       ich trotzdem meine Absicht, dorthin zu gehen, nicht aufgab, trübte sich die Zeit, welche, für uns so schrecklich unerwartet,

       die letzte ihres Lebens sein sollte. Als ich an ihrem Todestage zum letzten Male mit ihr allein war, - du hattest draußen mit

       dem Arzt zu sprechen - mußte ich ihr die Erfüllung ihres Abschiedswunsches geloben. Ich tat es, indem ich ihre Hand in

       die meine nahm, und dann sprach sie ihn aus: »Sei stets ein echter Christ, und halte Frieden!« Und nun trägt heut der

       Wind dir fast genau dieselben Worte zu! Deine Stimme gleicht der ihrigen, und als du vorhin diese Zeilen lasest, da

       tauchte plötzlich ihr Sterbezimmer vor mir auf und - - -«

       Weiter hörte ich nichts, oder vielmehr weiter wollte ich nichts hören. Die anderen Gäste saßen drin im eigentlichen

      

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