Und Friede auf Erden von Karl May. Karl May
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aber dachte ich an die vier Zeilen, welche ich heute Nacht geschrieben hatte, und bemerkte nun, daß diese fehlten. Das
war mir fatal, denn ich konnte nun nachdenken, soviel ich wollte, so war es mir unmöglich, mich der Strophe so, wie sie
gewesen war, genau zu entsinnen. Ich erinnerte mich zwar des Hauptgedankens, daß es dem Christen nicht zieme,
Tempel zu entweihen, da selbst auch dem heidnischen Götterdienste eine von der Erde emporhebende Idee zu Grunde
liege, welche zu achten sei und nicht entheiligt werden dürfe; aber dieser Sinn wollte absolut nicht so leicht, ungezwungen
und rein in die Reime fließen, wie er es in den verloren gegangenen Zeilen getan hatte.
Ich trat also hinaus auf den Balkon, von welchem man den ganzen, großen Vorplatz übersehen konnte; aber es war
leider nirgends ein Papier zu sehen. Der kräftige Wind hatte es wohl in die Scharia Kahmel oder hinüber nach dem
Platze Ibrahim Pascha getrieben.
Nun ging ich hinunter, um das Frühstück einzu- einzunehmen. Im Büro ließ ich nach dem Menahouse-Hotel in Gizeh um
das Zimmer telephonieren, welches ich zu bekommen trachte, sooft ich draußen bin. Es führt aus demselben eine gut
verschließbare Türe direkt ins Freie, so daß man zu jeder Tages- und auch anderer Zeit nach den Pyramiden gehen kann,
ohne von den anderen Gästen beachtet zu werden oder den Schließer belästigen zu müssen. Es wurde mir zugesagt.
Im Speisesaale angekommen, sah ich, daß die Chinesen schon gefrühstückt haben mußten. Sie waren nicht da, aber
das gebrauchte Geschirr stand noch auf ihrem Tische. An dem zu meiner andern Hand saß Mr. Waller ganz allein. Er
hatte die leere Tasse vor sich, sah höchst gelangweilt aus und schien auf seine Tochter zu warten. Als der Kellner mich
bediente und dabei an ihm vorüberging, fragte er ihn nach Monsieur Fu und Monsieur Tsi.
»Stehen eben im Begriff, abzufahren,« lautete die Antwort.
»Was? Sie reisen ab?«
»Nein. Sie bleiben noch für längere Zeit hier, um die Umgebung Kairos ebenso genau wie die Stadt selbst kennen zu
lernen. Heut wollen sie nach Gizeh. Sie schlafen in Menahouse und gehen morgen nach den Pyramiden von Sakkara.«
Das interessierte nicht nur den Missionar, sondern auch mich. Ich hatte also Gelegenheit, sie heut und morgen an den
angegebenen Orten zu sehen, und nahm mir vor, einer etwaigen Gelegenheit, mit ihnen dort zu verkehren, nicht aus dem
Wege zu gehen.
Nach einiger Zeit kam Mary, und ihr Vater ließ servieren. Ich erfuhr, ohne die Absicht zu hegen, sie zu belauschen, daß
die Miß von einem Ausgange zurückkehrte. Sie hatte einige kleine Einkäufe gemacht. Als die Gegenstände betrachtet
worden waren, teilte ihr der Vater mit, daß die Chinesen nach den Pyramiden seien, und fragte sie, ob sie nicht Lust
habe, heut auch hinauszufahren. Sie schien nicht sehr dafür gestimmt zu sein, vermutlich aus Rücksicht auf Fu und Tsi, auf
welche es ihr Vater wahrscheinlich wieder abgesehen hatte; aber sie war gewöhnt, sich seinen Wünschen zu fügen, und
so beschlossen sie, seinen Gedanken auszuführen und gleich nach Tisch und trotz der dann großen Hitze hinauszufahren.
Die üble Laune Mr. Wallers schien durch diese Fügsamkeit der Tochter gehoben worden zu sein. Er begann,
gesprächiger zu werden, und nun, wo ich meine Aufmerksamkeit nicht zu teilen brauchte, wie gestern, fiel mir an ihm ein
eigentümliches, nervöses, ich möchte fast sagen ängstliches Springen von einer Idee auf eine andere, ihr völlig fremde,
auf. Es war, als ob sich seine Psyche auf der Flucht vor einer anderen, aber auch in ihm lebenden, befinde. Das war ein
ruheloses Haschen und Jagen von einem Gegenstande zum andern. Er erwähnte seine verstorbene Frau, die er sehr lieb
gehabt zu haben schien, auffällig oft und unterließ es natürlich nicht, auch von seiner zukünftigen Missionstätigkeit zu
sprechen. Als ihn das mit unfehlbarer Sicherheit auf die einzustürzenden Säulen und Tempel brachte, fiel ihm die Tochter
in die Rede. Sie griff in die Tasche, zog ein zusammengefaltetes Papier heraus und sagte:
»Ich habe dir etwas mitzuteilen, was hierauf Bezug hat, lieber Vater. Du sagst, daß Alles, was an eine andere
Verehrung als unseres christlichen Gottes erinnere, fallen müsse, und magst vielleicht recht haben. Mir ist, wie du weißt,
dieser Gedanke als zu streng erschienen, denn ich halte diesen Dienst für das ganz natürliche und noch unbewußte Lallen
der Menschheit in ihrem frühesten Kindesalter. Nun habe ich hier einige Zeilen, die sich in ganz eigener Art und Weise
mit dieser unserer Streitfrage beschäftigen.«
»Wer hat sie geschrieben?«
»Das weiß ich nicht.«
»Also wohl gedruckt? Ein Blatt aus einem Buche?«
»Nein. Es ist geschrieben; eine vierzeilige Strophe, welche ich für den Anfang eines Gedichtes halte.«
»Du mußt doch wissen, von wem du sie hast!«
»Vom Winde!« lachte sie mit ihrer lieben, tiefen Stimme, indem sie das Blatt hoch emporhob und die Bewegungen
nachahmte, mit denen ihr das Papier zugeflogen war. »Als ich vorhin fortging, brachte er es mir zugetrieben und legte es
mir fast gerad vor die Füße hin. Ich hob es auf, da es so rein und sauber war, und las die Zeilen, welche darauf stehen.
Denke dir meine Verwunderung, als ich sah, daß sie sich gerad mit deinem Hauptthema beschäftigen. Willst du sie
hören?«
Er nickte und sie las:
»Tragt Euer Evangelium hinaus,
Doch ohne Kampf sei es der Welt beschieden,
Und seht Ihr irgendwo ein Gotteshaus,
So stehe es für Euch im Völkerfrieden!«
Sie hatte langsam und so gelesen, daß man hörte, ihr Herz stimme diesen Worten bei. Dann blickte sie ihren Vater
fragend an. Wenn ich der Ansicht gewesen war, daß er aufbrausen