Ein Volksfeind. Henrik Ibsen
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Stadtvogt. Darf ich fragen, was es hier »aufzuwühlen« gibt, wie Du Dich ausdrückst?
Stockmann. Ja, das mußt Du die Jugend fragen – wenn es so weit ist. Wir erleben es natürlich nicht mehr. Selbstverständlich. So ein paar alte Knaben, wie Du und ich –
Stadtvogt. Na, na! Das ist doch eine höchst ungewöhnliche Bezeichnung –
Stockmann. Du darfst es nicht so genau mit mir nehmen, Peter. Denn Du mußt wissen, ich bin so riesig froh und vergnügt. Ich fühle mich ganz unsagbar glücklich inmitten dieses keimenden, sprießenden Lebens. Es ist doch eine herrliche Zeit, in der wir leben! Es ist, als ob eine ganz neue Welt aufblühen wolle um einen her.
Stadtvogt. Findest Du wirklich?
Stockmann. Ja, Du kannst das natürlich nicht so gut sehen wie ich. Bist Du doch Dein Leben lang mitten drin gewesen; da stumpft sich der Eindruck ab. Aber ich, der ich die langen Jahre da oben im Norden in meinem einsamen Winkel sitzen mußte und fast nie eines fremden Menschen ansichtig wurde, der ein ermunterndes Wort für mich gehabt hätte, – auf mich wirkt das, wie wenn ich mitten in das Gewimmel einer Weltstadt versetzt wäre –
Stadtvogt. Hm; Weltstadt –
Stockmann. Ich weiß ja wohl, daß die Verhältnisse hier klein sind im Vergleich zu vielen anderen Orten. Aber hier ist Leben, – Verheißung, eine Unzahl von Dingen, für die man wirken und kämpfen kann; und das ist die Hauptsache. Ruft: Käte, ist der Postbote nicht da gewesen?
Frau Stockmann im Speisezimmer. Nein; es ist keiner da gewesen.
Stockmann. Und dann das gute Auskommen, Peter! Das lernt man schätzen, wenn man wie wir nichts zu brechen und zu beißen gehabt hat –
Stadtvogt. Na, na –
Stockmann. O ja, glaub' nur, daß bei uns da oben oft Schmalhans Küchenmeister gewesen ist. Und nun leben zu können wie ein Grandseigneur! Heut, zum Beispiel, hatten wir Rinderbraten zu Mittag; ja, und abends hatten wir auch noch davon. Willst Du nicht ein Stück probieren? Oder soll ich ihn Dir nicht wenigstens zeigen? Komm mit –
Stadtvogt. Nein, nein, keinesfalls –
Stockmann. Na, so komm hierher. Sieh mal, wir haben eine Tischdecke gekriegt.
Stadtvogt. Ja, das habe ich bemerkt.
Stockmann. Und auch einen Lampenschirm. Siehst Du? Das alles hat Käte zusammengespart. Und das macht die Stube so gemütlich. Findest Du nicht auch? Stell' Dich nur mal hierher; – nein, nein, nein; nicht so. So. Ja! Siehst Du, wenn das Licht so konzentriert darauf fällt –. Ich finde, es sieht wirklich elegant aus. Was?
Stadtvogt. Ja, wenn man sich solchen Luxus gestatten kann.
Stockmann. O ja; den kann ich mir jetzt schon gestatten. Käte sagt, daß ich fast schon so viel verdiene, wie wir brauchen.
Stadtvogt. Fast – jawohl!
Stockmann. Aber ein Mann der Wissenschaft muß doch auch ein bißchen vornehm leben. Ich bin überzeugt, daß ein gewöhnlicher Amtmann weit mehr im Jahre braucht als ich.
Stadtvogt. Ja, das glaube ich schon! Ein Amtmann, eine obrigkeitliche Person –
Stockmann. Na, und ein einfacher Großkaufmann! So einer braucht noch x-mal so viel –
Stadtvogt. Ja, das liegt nun einmal in den Verhältnissen.
Stockmann. Übrigens gebe ich wirklich nichts unnütz aus, Peter. Aber ich kann mir denn doch nicht die Herzensfreude versagen, Menschen bei mir zu sehen. Das brauche ich, siehst Du. Ich war so lange in der Verbannung, – es ist mir ein Lebensbedürfnis, mit jungen, flotten, mutigen Leuten, mit freigesinnten, unternehmungslustigen Leuten zusammen zu sein –; und das sind sie alle, alle, die da drin sitzen und so tapfer zulangen. Ich wünschte, Du lerntest diesen Hovstad etwas näher kennen –
Stadtvogt. Hovstad, – ja, richtig, – er hat mir erzählt, daß er wieder einen Aufsatz von Dir drucken will.
Stockmann. Einen Aufsatz von mir?
Stadtvogt. Ja, über das Bad. Einen Aufsatz, den Du schon im Winter geschrieben hast.
Stockmann. Ach den, ja! – Aber den will Ich jetzt vorläufig nicht hinein haben.
Stadtvogt. Nicht? Mir scheint denn doch, gerade jetzt wäre die günstigste Zeit.
Stockmann. Ja, da hast Du schon recht; unter gewöhnlichen Verhältnissen –
Geht durchs Zimmer.
Stadtvogt sieht ihm nach. Was sollte denn jetzt wohl Ungewöhnliches an den Verhältnissen sein?
Stockmann bleibt stehen. Ja, Peter, das kann ich Dir in diesem Augenblick noch nicht sagen, wenigstens heut Abend nicht. Vielleicht ist sehr vieles ungewöhnlich an den Verhältnissen; oder vielleicht auch gar nichts. Leicht möglich, daß es nur eine Einbildung ist.
Stadtvogt. Ich muß gestehen, das klingt höchst rätselhaft. Ist denn was los? Etwas, wovon ich nichts wissen soll? Ich sollte doch meinen, daß ich, als Vorsitzender der Badeverwaltung –
Stockmann. Und ich sollte meinen, daß ich –; na, Peter, wir wollen einander nicht in die Haare fahren.
Stadtvogt. I Gott, – es ist nicht meine Art, einem in die Haare zu fahren, wie Du sagst. Aber ich muß auf das entschiedenste darauf bestehen, daß alle Maßregeln auf dem geschäftsordnungsmäßigen Weg erledigt werden und durch die gesetzlich dazu bestellten Behörden. Ich kann nicht gestatten, daß man krumme Wege und Hintertreppen betritt.
Stockmann. Pflege ich je krumme Wege und Hintertreppen zu betreten?
Stadtvogt. Jedenfalls hast Du von Natur den Hang, Deine eigenen Wege zu gehen. Und das ist in einer wohlgeordneten Gesellschaft beinahe ebenso unstatthaft. Der einzelne muß sich durchaus dem Ganzen unterordnen, oder, richtiger gesagt, den Behörden, die über das Gemeinwohl zu wachen haben.
Stockmann. Mag sein. Aber was zum Henker geht mich das an?
Stadtvogt. Ja, mein guter Thomas, das eben scheinst Du nie lernen zu wollen. Aber paß nur auf; Du wirst schon noch einmal dafür büßen müssen, – früher oder später. Ich habe es Dir nun gesagt. Leb' wohl.
Stockmann. Aber bist Du denn ganz verrückt? Du bist auf ganz falscher Fährte –
Stadtvogt. Das pflege ich doch sonst nicht zu sein. Übrigens muß ich mir verbitten – Grüßt