Indienfahrt 1965. Klaus Heitmann
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Wir waren noch nicht lange gefahren, als es zu einer neuen psycho-sozialen Explosion kam. Die Straße, die wir befuhren, war voller Schlaglöcher und hatte immer wieder Strecken mit Waschbrettoberfläche, wie sie die Starrachsen der Lastwagen erzeugen. Vikram, der am Steuer saß, hatte offenbar wenig Erfahrung mit Straßen dieser Art und fuhr drauf los. Auf den Waschbrettstrecken fand er nicht das richtige Tempo, weswegen der Wagen derart in rhythmische Schwingungen geriet, dass man befürchten musste, jede Schraube werde sich lösen. Nichts aber zehrt mehr an den Nerven des Mitfahrers und Miteigentümers eines Autos, um das er sich ohnehin Sorge machte, als das nicht endenwollende Rütteln, welches das Waschbrett zur Folge hat. Zudem schien Vikram von den Schlaglöchern geradezu angezogen zu werden, mit dem Ergebnis, dass nicht nur die Insassen des Wagens, sondern auch unser sorgfältig gestapeltes Gepäck immer wieder kräftig durcheinander gewirbelt wurde. Die Mannschaft schwieg gespannt. Ich aber konnte, wiewohl ich wusste, dass Vikram die Entscheidungsgewalt in Sachen Auto für sich beanspruchte, nach einiger Zeit nicht mehr an mich halten, und bemerkte, dass der Wagen diese Fahrweise wohl nicht sehr lange durchhalten werde. Vikram reagierte erwartungsgemäß heftig und grundsätzlich. Er behauptete, man dürfe in einer Gemeinschaft nicht alles kritisieren, attestierte mir Kritiksüchtigkeit und warf mir, einmal in Fahrt gekommen, gleich auch noch vor, dass ich undankbar und verzogen sei. Daraus entwickelte sich eine generelle Diskussion über kritisches Denken und darüber, dass dieses in Europa einen anderen Stellenwert als in Asien habe. Ich vertrat den, wie ich meinte eigentlich selbstverständlichen Standpunkt, dass problematische Fragen, welche die Gemeinschaft betreffen, von Mitgliedern der Gemeinschaft auch angesprochen werden können und gegebenenfalls sogar müssten, und zwar notfalls auch dann, wenn dies zu Unruhe in der Gemeinschaft führen könne. Als Beispiel nannte ich das Verhalten der Künstler und Intellektuellen, die sich 1933 gegen den allgemeinen Enthusiasmus für Hitler wandten. Hätten die etwa schweigen sollen? Vikram fand meine Grundthese keineswegs selbstverständlich und war auch von meinem Beispiel nicht sonderlich beeindruckt. Er verstieg sich vielmehr zu der Feststellung, dass man um des lieben Friedens willen in der Regel schweigen müsse. Als sein Beispiel führte er sein Verhalten in Belgrad bei der Entscheidung darüber an, ob man für die Reparatur des Wagens gebrauchte Teile verwenden solle. Als erfahrener Autokenner habe er natürlich gewusst, dass dies falsch gewesen sei. Nachdem aber alle froh gewesen seien, eine billige Lösung unseres Problems gefunden zu haben, habe er geschwiegen. Dieses Ausmaß an Kritiklosigkeit machte mich fassungslos, zumal ich den Verdacht nicht los wurde, dass Vikram mit dieser Argumentation nicht zuletzt seine eigene Immunisierung gegen Kritik betrieb. Erregt warf ich ihm vor, es sei eine Schweinerei, wenn er uns sehenden Auges in eine Falle habe laufen lassen. Daraufhin drehte Vikram den Spieß kurzerhand herum und stellte fest, dass ich das ganze Desaster zu verantworten habe. Schließlich hätte ich unter Berufung auf meine große Erfahrung mit VW-Motoren die überhöhten Grenzgeschwindigkeiten für den Gangwechsel durchgedrückt, indem ich die Mitglieder der Gruppe auf eine Weise beeinflusst habe, die ihren Willen ausgeschlossen habe. In der Annahme, dass ich auch in ihrem Sinne gesprochen habe, suchte ich Hilfe bei Franz und Werner. Franz mogelte sich aber aus der Sache mit dem Argument heraus, er könne sich nicht mehr daran erinnern, wie die Entscheidung seinerzeit zustanden gekommen sei. Und Werner, der gerne den überlegenen Weltmann gab, tat, wie immer bei unseren Streitereien, als ginge ihn dies alles nichts an. Gertrud hielt natürlich zu Vikram und Jitendera spitzte den Streit mit der Behauptung zu, ich hätte Vikrams Fahrstil ganz allgemein kritisiert, wozu ich nicht das Recht habe. Er wurde hektisch und verfiel wieder in jene geradezu kindlich-eigensinnige Verhaltensweise, in der er sich verteidigte, als ginge es um sein Leben. Damit war der Sündenbock eindeutig bestimmt und sein Status in unserer zusammen gewürfelten Truppe vorläufig definiert. Man verlangte von mir, dass ich künftig schweigen solle, was ich um des lieben Friedens willen unter Aufrechterhaltung eines mentalen Vorbehaltes konzedierte.
Über diese Diskussionen begann unser Abstieg vom Hochland hinunter zum Schwarzen Meer. Die Landschaft wurde wieder grün und vielfältig, was auch die Stimmung hob. Bei Samsun erreichten wir die Küste, wo wir uns, da es inzwischen dunkel geworden war, direkt am Strand niederließen. Im Mondlicht leuchteten die sich brechenden Wellen auf.
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Der Weg führte nun einige hundert Kilometer entlang der Küste des Schwarzen Meeres. Nach fruchtbaren Niederungen kam das Gebirge hart an die Küste heran, wodurch die Strasse auf- und abstieg und sich wunderbare Blicke eröffneten. In Ordu machten wir Pause in einem Teehaus. Wie immer bei unseren Teepausen versammelten sich eine Menge freundlicher Leute um uns herum. Einige Männer knackten Haselnüsse, die Hauptfrucht dieser Region, und versorgten uns reichlich damit. Als wir unsere Rechnung begleichen wollten, bedeutete man uns, dass diese schon bezahlt sei. Nach Ordu machten wir Rast an einem kleinen Strand, der malerisch von Felsen eingerahmt war, und tobten uns in den Wellen aus. Das Stimmungsbarometer stieg auf ein lange nicht gekanntes Hoch. Danach wurde die Strasse immer schlechter, die Landschaft dafür immer besser. Hohe Pässe waren zu überwinden, Halbinseln zu überqueren und Buchten zu umfahren. Sehr viel Strecke legten wir auf diese Weise natürlich nicht zurück. Ein Türke hielt uns aus dem Auto heraus an und kam freudestrahlend auf uns zu. Er hatte in Berlin studiert und war ganz begeistert darüber, Deutsche zu sehen. Er lud uns ins nächste Teehaus ein und erzählte enthusiastisch von seinem Aufenthalt in Deutschland und wie sehr er das Land liebe. Auf dem Weg nach Trabzon trafen wir fünf Deutsche aus Münster, die ebenfalls mit einem Bulli nach Indien unterwegs waren. Es war immer wieder beruhigend festzustellen, dass wir nicht die Einzigen waren, die eine solche Idee hatten. Jeder hatte seine Erfahrungen gemacht und Informationen gesammelt und diese wurden bereitwillig ausgetauscht. Von der uralten Stadt Trabzon, die einige Gebäude aus byzantinischer Zeit hat und überhaupt malerisch sein muss, haben wir im Dunkeln nur wenig gesehen. Ein Stück dahinter hielten wir für die Nacht in einem Tal an einem rauschenden Bach.
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Am Morgen ging es wieder hinauf auf die anatolische Hochebene. Die Strasse führte abenteuerlich steil und kurvenreich durch ein grandioses Tal von alpiner Schönheit und Frische. Immer wieder eröffneten sich spektakuläre Blicke. Da der Motor unseres Wagens trotz der morgendlichen Kühle bedenklich heiß wurde, beschlossen wir, die Wagenmannschaft auf zwei Personen zu reduzieren. Die anderen sollten auf weiteres per Anhalter fahren. Zu den Ausgelagerten gehörte auch ich. Damit verstieß ich gegen eine der Vorgaben, unter denen meine Eltern mir die Erlaubnis für die Reise gegeben hatten. Wir wurden zunächst von einem Landrover mit sehr netten Leuten mitgenommen. Der Fahrer fuhr reichlich schwungvoll um die Kurven, beruhigte uns aber, als er unsere verängstigten Gesichter sah, damit, dass er fünf Kinder habe. Man machte extra einen nicht unerheblichen Umweg für uns und lud uns in frischer Bergluft zum Tee ein. Ein weiteres Stück der märchenhaft schönen Strecke fuhren wir auf der Ladefläche eines Lastwagens, der kaum weniger rasant als der Landrover fuhr. Unsere Stimmung war bestens und tendierte zum Übermut. Oben auf der Passhöhe, die auf 2000 Meter lag, war es angenehm kühl. Dann ging es wieder steil den Berg hinab. Als die Bremsen des Lastwagens zu rauchen begannen, zogen wir es vor, das Fahrzeug zu wechseln. Ein Stück fuhren wir auf einem Armeelaster mit, der sich im Schneckentempo die Strasse entlang quälte. Die Landschaft wurde indessen immer wilder und urwüchsiger. Kahle steile Felsen ragten über uns in die Höhe. Nach Gümüsane, wo uns freundliche Türken zum Essen einluden, fuhren wir wieder einmal ein Stück gemeinsam, um uns zum Erklimmen eines 2400 Meter hohen Passes wieder zu trennen. Vikram und Werner fanden einen Jeep, der sie über den Pass bringen konnte. Auf dem Weg zum Pass trat das ein, was wir unbedingt vermeiden wollten. Der Motor stellte seine Tätigkeit ein. Er rührte sich einfach überhaupt nicht mehr, und das zu einem Zeitpunkt, wo unser Bordmechaniker irgendwo auf der anderen Seite des Passes war. Taxi- und Lastwagenfahrer kamen zur Hilfe und bastelten drei Stunden an der Zündung,