LIBER ABYSSOS. Frater LYSIR
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Die offenkundige Verleugnung Daaths, als Sephirah, geht auf ein „Missverständnis“ in der Deutung des Sepher Jezirah zurück. Fälschlicherweise wurde in verschiedenen Deutungen angenommen, dass die Sephirah Daath als nicht existent beschrieben wird. Die Nicht-Existenz von Daath ist in ihrer Annahme korrekt, wenngleich diese Nicht-Existenz, eben nicht bedeutet, dass Daath nicht existiert, sondern lediglich nicht manifest ist.
Der Disput unter den Kabbalisten bezog sich auf die Existenz der Sephirah Daath in Hinblick auf die Passage 1,3 im Sepher Jezirah. Doch wenn man sich die angesprochene Passage einmal ganz genau ansieht wird deutlich, dass in ihr ganz direkt von Daath als Sephirah gesprochen wird. Die Passage lautet: „Zehn Zahlen aus dem Nichts, zehn und nicht neun, zehn und nicht elf, begreife diese Weisheit, verstehe dieses Wissen, forsche danach und erwäge es, fasse es in Klarheit und folge dem Schöpfer wieder zu seinem Thron.“
Schon in den ersten fünf Worten findet sich hier eine Anspielung auf Daath, nämlich im Wort „Nichts“. Das Nichts, oder auch die Nicht-Existenz, ist jener Zustand Daaths, aus dem alles hervorgeht.
Die zehn Zahlen, sind das Sinnbild für die zehn Stationen der Reise durch den Lebensbaum (Etz Chajim) hin zu Daath und nicht zu Kether, wie fälschlich angenommen wird.
Kether ist das unerreichbare Chaos der Schöpfung, welches gleichzeitig die absolute Ordnung ist. Kether ist der Abglanz der Nichts-Existenz, die sich in ihren drei Stadien Ain, Ain Soph und Ain Soph Aur spiegelt, um durch die Sphäre der ersten Manifestation, Daath, den Lebensbaum erst zu erschaffen.
Somit ist es legitim zu sagen, dass Daath jene zehnte oder „nullte“ Sephirah ist, von der hier gesprochen wird. Kether ist das „Nichts“ und das „Alles“, aus dem heraus Daath als ausführende Gewalt die zehn Zahlen und somit auch sich selbst erschafft.
Die beiden folgenden Vermerke, dass es zehn und nicht neun und auch nicht elf sind, untermauern diese These einfach noch einmal zu einer allgegenwärtigen Wahrheit, denn die Verdreifachung einer Aussage war ein gebräuchliches Stilmittel in torahischen Schriften und besagt jedoch in ihrem Kern einfach nur noch einmal, was bereits der erste Abschnitt ausdrückte.
Es sind zehn Abbilder (Null bis Neun) der Schöpfung aus dem Nichts, es sind zehn und nicht nur neun, weil Daath, die erstgeschaffene Sphäre, aus der Manifestation hervorgeht, ebenso ein Teil der Schöpfung ist, wie die Sphären, die aus ihr hervorgebracht werden. Es sind zehn und nicht elf, heißt es weiterhin, was darauf verweist, dass das unmanifeste Nichts, aus dem die Manifestation der zehn entspringt, genau das ist, nicht-existent und somit nicht bei den Zehn stehen kann, da es allen zehn immanent ist – alle zehn nur Ausdrucksformen seiner selbst, die aus ihm heraus geschaffen wurden, sind.
Die nächsten zwei Teilsätze, die die Aufforderung enthalten, diese „Weisheit“ zu begreifen und dieses „Wissen“ zu verstehen, müssten dem versierten Hebräer mehr als nur ein schallendes Lachen entlocken. „Wissen“ und „Weisheit“, sind ein und dasselbe hebräische Wort, nämlich „Daath“, womit die Aussage des Sepher Jezirah dazu auffordert, die Weisheit (Daath) zu begreifen und das Wissen (Daath) zu verstehen.
Hatten wir es durch den Begriff des „Nichts“ noch mit einer vorsichtigen Anspielung für die Eingeweihten zu tun, entbehrt die folgende Aussage jeglicher Subtilität und gipfelt in der Aufforderung Daath (Weisheit und Wissen) zu erforschen, zu erwägen und schließlich „in Klarheit zu fassen“, was lediglich die Aufforderung darstellt dem Ursprung entgegenzustreben, in seine Tiefen vorzudringen und so das Wissen um die Wahrheit der Existenz zu enthüllen.
Warum der Kabbalist dies allerdings tun solle, sagt der letzte Teil des Verses, indem er dazu aufruft, dem „Schöpfer wieder zu seinem Thron“ zu folgen, er soll also dem Schöpfer entgegentreten, um an seinem Thron zu erkennen, was er vergessen hat, nämlich das geheime Wissen, um die Manifestation der zehn und die Nicht-Existenz, aber auch die Illusion der eigenen Wirklichkeit, die ihm durch die zehn vorgaukelt, dass alles voneinander getrennt ist.
Die höchste Weisheit vor dem Thron des Schöpfers ist das Wissen um die wahre Natur der Zehn, die immer nur eine Eins war. Alles ist Eins, ist das große Geheimnis des Lebens, das sich in Daath gnadenlos enthüllt, denn alles ist das Nichts aus dem es hervorgegangen ist. Daath ist die Eins, die die Null ist, und nur diese Eins ist, denn nur sie kann vor der Urgewalt des Nicht-Seins als nicht-existente Manifestation aus sich selbst heraus bestehen, da sie, die Eins, alle anderen Neun gegeben und geformt hat, da sie selbst nur die Offenbarung des Nichts ist.
Selbst Aleister Crowleys Aussage, dass Daath eine andere Dimension ist als die anderen Sephiroth, kann in diesem Kontext durchaus als richtig untermauert werden, denn wie wir gesehen haben ist Daath als aus sich selbst heraus geschaffen der Ursprung der Manifestation der Kräfte der Nicht-Existenz Kethers und somit der Schöpfer der anderen Sephiroth, die nicht unmittelbar, wie Daath aus den urgewaltigen Wogen der Quelle hervorgehen, sondern aus der ersten Manifestation der Abspaltung.
In diesem Kontext erscheint es auch logisch, dass es auf dem Qlippoth keine Entsprechung für Daath gibt, da auch der Schatten des Lebensbaums aus der Schöpfungskraft Daaths hervorgegangen ist – zumindest auf der Ebene Beriah, da bereits in Aziluth eine Vereinigung zum Etz Chajim stattfand, sodass Sephiroth und Qlippoth nicht mehr als Antipoden fungieren, sondern als Einheit. Anders gesagt, man kann sogar so weit gehen zu sagen, wie es manche gnostische Kabbalisten annehmen, dass Daath der Übergang zwischen beiden Bäumen ist, bzw. das Tor, durch welches der kabbalistische Wanderer die Lebensbäume in den Welten Assiah, Jetzirah und Beriah erleben kann.
In Bezug auf Aziluth wäre es jedoch faktisch falsch, da es keine zwei Bäume gibt. Sephiroth und Qlippoth sind ein und dasselbe, weil sie aus der Sphäre der ersten Manifestation heraus in die Dualität der Materie geschaffen wurden. Sephiroth ohne Qlippoth ist genauso wenig existent, wie Qlippoth ohne Sephiroth, denn nichts kann ohne einen Gegensatz, eine Spiegelung existieren, da es ohne ein Spiegelbild nicht-existent ist. Nur in der Spiegelung, nur in der Erkenntnis des Gegenpoles kann Existenz überhaupt sein, da sie sonst im lichtlosen Raum ihrer selbst unbewusst bleiben müsste. Doch letztendlich ist auch diese Aussage falsch, wenn man bedenkt, was über Daath gesagt wurde, denn eigentlich gibt es nicht nur nicht zwei Bäume, sondern es gibt überhaupt keinen Baum. Der Baum ist Illusion, so wie auch der Schatten, den er wirft, also ist es, einmal zu Daath gelangt, völlig egal, ob es nun einen, zwei oder fünf Millionen Bäume gibt, denn Bäume sind nicht existent, es gab sie nie und es wird sie niemals geben, weil es keine Existenz gibt.
Der Pfad zur Nicht-Existenz
Die in Daath erlangte Erkenntnis, dass es keine Existenz gibt, ist einer der Gründe, warum man Daath hinter vorgehaltener Hand die Qualität des „absoluten Bewusstseins“ zuspricht, die jedoch nur in der Überwindung der Illusion erlangt werden kann. Nur wenn die Täuschung der Manifestation, die Illusion der Zehn durchschaut wird, kann die Wahrheit erkannt werden. Jene Wahrheit, die besagt, dass Illusion die einzige Wahrheit ist, die der Adept jemals erfahren wird, da er nur in der Lüge der Existenz die Nicht-Existenz spüren kann. Daath enthüllt die Illusion und die Bedeutungslosigkeit der Existenz, die in den Sphären der Schöpfung nichts weiter als ein einziger großer kosmischer Scherz ist.
Die Offenbarung der Sinn- und Bedeutungslosigkeit der eigenen Existenz, bzw. die Erkenntnis niemals gewesen zu sein, kann den ungeschulten, zu stark im Ego verhafteten menschlichen Geist sicherlich mehr als nur erschüttern. Ein unvorbereiteter Blick hinter den Schleier Daaths kann in Wahnsinn umschlagen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass ein solcher unbedarfter Geist überhaupt in die Sphäre jenseits des Abgrunds vordringen kann, denn vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt und auch auf der Reise zum Thron des Schöpfers verhält