Mit Feuer und Geist. Hermann Brünjes
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Ich grinse innerlich und muss ein witziges Wortspiel loswerden, das ich irgendwann im Tagungshaus aufgeschnappt habe. »Also auch ›Lüneburger Heiden‹?«
Meine hübsche Kollegin lacht lauthals los. »Ja klar, auch Lüneburger Heiden – aber eben viel später. Damals hocktet ihr hier noch auf Bäumen und die wenigen Menschen in diesem Endlosdschungel verehrten Wotan und ich weiß nicht welche Germanengötter sonst noch.«
»Bis der Heilige Geist auch hierher kam ...«
»Genau. Bis hier die ersten Missionare auftauchten und Heidebauern, Schafhirten und Wegelagerer Christen wurden. Wusstest Du, dass in der Heide einige der ältesten Klöster Deutschlands stehen und bis heute erhalten sind?«
»Du meinst das Kloster Ebstorf mit seiner berühmten Weltkarte aus dem Mittelalter?«
»Genau, zum Beispiel. Ich glaube, es wurde schon im 12. Jahrhundert gegründet. Und damals gab es tatsächlich so etwas wie einen geistlichen, also einen durch den Heiligen Geist inszenierten Aufbruch. Man könnte also sagen, da erlebte diese Region so etwas wie Pfingsten.«
»Hört sich gut an, diese Inszenierung.«
Elske strahlt.
Ich spüre ihren Missionseifer fast körperlich. Sie wird mich gleich vermutlich erneut einem Test unterziehen, diesmal auf das Virus »christlicher Glaube«.
»Jens Jahnke! Das war keine ›Inszenierung‹ wie im Theater. Das war damals so real wie das Leben.«
Nun kommt es. Die hübsche entschiedene Christin schaut mich herausfordernd an und will es wissen.
»Und nun sag mal, wie sieht es denn inzwischen bei dir persönlich aus? Kann es sein, dass dich die Begegnung mit den Christen in Himmelstal, besonders mit deiner Freundin Maren, dem Glauben nähergebracht hat? Oder gehörst auch du immer noch zu den ›Lüneburger Heiden‹?«
Das ist direkt gefragt. Ich mag Elske ja sehr und wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, vermutlich sogar mehr als das ... aber nun wird mein Mund trocken. Ja, ich würde schon sagen, dass sich bei mir etwas Entscheidendes verändert hat. Vor zwei oder drei Jahren waren mir Religion, Kirche und so etwas völlig egal. Es hat mich einfach nicht tangiert. Der Glaube spielte absolut keine Rolle in meinem Leben, er war mir so fern wie, wie ... na ja, wie das Sammeln leerer Zigarettenschachteln oder wie die zwei Monde vom Mars.
Dann jedoch hatte sich dies geändert. Ich weiß gar nicht genau, wann und wie die Änderung begonnen hatte. Wenn es der Heilige Geist war, der sie bewirkt hat, dann ist er bei mir strategisch jedenfalls völlig anders vorgegangen als damals zu Pfingsten in Jerusalem. Da war kein Brausen, kein großes Wunder, kein spektakuläres Feuerwerk. Nein, da gab es eher alltägliche Erlebnisse und vor allem Begegnungen und Gespräche: Magda, eine junge Zweiflerin im Team vom Tagungshaus hat mich beeindruckt. Sie hat trotz vieler kritischer Fragen und Zweifel die Andachten für Gäste mitgestaltet. Ein Besuch bei meinem ehemaligen Pfadfinderführer hat mich noch lange beschäftigt. Der inzwischen über achtzig Jahre alte Mann hat felsenfest behauptet, unser Leben habe trotz des Sterbens eine Perspektive. Mein gewissermaßen Ziehsohn, der Ex-Nazi Lennart, war in der Lage, sich um 180 Grad zu drehen. Heute verprügelt er keine Ausländer mehr, sondern ist Sanitäter, rettet sie und arbeitet mit ihnen zusammen. Je länger ich überlege, desto mehr Menschen fallen mir ein, die etwas in mir haben wachsen lassen. Ja, das ist es! Wachsen. Es ist Frühling.
Elske schaut mich immer noch erwartungsvoll an, sie drängelt jedoch nicht. Es sind nur Sekunden, die meine Gedanken brauchen, um Worte zu formen. Aber der Moment zwischen Elskes Frage und meiner Antwort fühlt sich definitiv an wie ein Geist-Moment, da ich plötzlich Worte für das finde, was mit mir geschehen ist.
»Ach Elske, ich sage es mal so, vielleicht etwas kitschig: Bei mir ist es Frühling. Der Winter des Unglaubens ist vorbei. Jetzt wächst langsam etwas Neues. Die braune Erde wird grün. Ob es dann im Sommer zur Frucht eines festen Glaubens kommt – keine Ahnung!«
Sie legt ihre schlanke Hand auf meinen Oberarm und drückt leicht zu.
»Jens, schöner kann man es gar nicht sagen! Selbst nach über zwanzig Jahren Christsein ist auch mein Glaube eher ein Frühlings-, als ein Sommerglaube! Von ›fest‹ kann nicht die Rede sein.«
Der »Test« war also positiv. Mein Glaube und ihr Glaube unterscheiden sich nicht – sagt sie. Ich empfinde es anders. Sie scheint in ihrem Glauben verwurzelt zu sein wie eine deutsche Eiche im Boden, während ich noch gar nicht genau weiß, ob mein Miniglaube überhaupt richtig anwächst ...
Mein Handy vibriert und rutscht dabei langsam über die Tischplatte.
»Sorry Elske, da muss ich rangehen. Es ist eine Nummer mit meiner Vorwahl.«
Sie nickt. »Danke Jens, dass wir darüber reden konnten. Wir können das ja mal fortsetzen.«
Dann schwebt sie davon. Ob Elske so etwas wie ein blonder Engel für mich ist? Oder ein Geistwesen Gottes aus einer anderen Welt? Keine Ahnung. Am Telefon ist jedenfalls ein Mensch, Ortsbrandmeister Enno Diekmann.
»Jens, gut, dass ich dich erreiche. Bei dir Zuhause hat niemand abgenommen, da dachte ich, ich rufe mal auf deinem Handy an.«
»Ist okay. Ich vermute, du willst noch etwas zum Brand berichten?«
»Ja, auch. Viel gibt es aber nicht. Die Polizei hat einen verschmorten Benzinkanister gefunden. Also war es Brandstiftung. Aber deswegen rufe ich nicht an.«
Mein Gedächtnis notiert »Kanister« und »Brandstiftung«.
»Ich rufe wegen unserer Brandwehr an. Bist du dabei?«
Ich sage zu. Er freut sich und bittet mich, heute Nacht um zwölf am Feuerwehrhaus zu sein. »Geisterstunde« denke ich.
»Das ist dann die zweite Schicht«, meint er. »Ihr seid zu dritt. Gerd leitet eure Gruppe. Kerstin kommt noch mit. Ich habe mit Jan und Jonas die erste Schicht übernommen, da ich morgen früh raus muss. Im Moment denken wir an eine Streife von zwei Stunden. Okay?«
»Ich bin dabei, Enno. Als Journalist genieße ich die Freiheit, am Morgen auch mal länger zu schlafen!«
»Du Glücklicher!«
Stimmt, er hat recht!
*
Als ich nach Hause komme, ist Maren noch nicht zurück. Sie arbeitet im Lüneburger Krankenhaus und macht viele Überstunden. Zwar sind inzwischen weniger Corona-Patienten in Behandlung, die Schreckenszeit der zweiten Welle dieser alles dominierenden Pandemie wirkt jedoch noch deutlich nach. Inzwischen kommen jene Fälle, die wegen der Pandemie auf später verschoben wurden.
Ich schmiere mir eine Stulle, koche mir einen Tee und schaue Nachrichten. Corona, Impfstoffe, Amerika, China, Iran, Klima. Die Themen haben sich seit vielen Monaten kaum verändert.
Punkt acht Uhr klingle ich an der Haustür zum Tagungshaus. Der alte Weinstock an der roten Klinkerwand neben der Treppe treibt wieder aus. Eben noch wie tot, will auch er wie alles andere in der Natur offenbar mit aller Macht beweisen, dass sich das Leben durchsetzt. Die auf der Balustrade in Kästen gepflanzten Geranien und andere bereits blühende Blumen erscheinen dagegen ein wenig künstlich. Sie wurden im Gewächshaus vorgezüchtet. Sie sind Produkte menschlicher Ungeduld und sollen eine Jahreszeit suggerieren, die gerade erst beginnt. Wir Menschen