Mit Feuer und Geist. Hermann Brünjes
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Ich höre das Klappern von Töpfen und Wasserrauschen.
»Nur noch eben die Küche fluten!« höre ich als Antwort. »Dann kommen wir sofort.«
Tanja interpretiert meinen Gesichtsausdruck richtig.
»Tom und Caro müssen die Küche noch wischen, weil sie es vor der Andacht nicht mehr geschafft haben«, erklärt sie mir, »dazu nehmen sie zuerst einmal einen Schlauch und spritzen die Fliesen ab! Unsere Großküche ist extra so konstruiert!«
Wir gehen die Treppe hinauf, zuerst in den ersten Stock, wo das Team in Doppelzimmern wohnt, dann noch eine Treppe höher. Hier liegen die Aufenthaltsräume der Wohngemeinschaft: Ein Wohnzimmer, ein Fernsehraum, eine Teeküche und ein kleiner Andachtsraum. Kurz nach meinem Einzug in Himmelstal hatte mich die sogenannte »Hausgemeinde« schon einmal eingeladen und mir im Zusammenhang damit ihre Etage gezeigt. Sie wollten von einem Journalisten etwas zum Thema Öffentlichkeitsarbeit hören – und mich vermutlich auch kennenlernen, da sie sich erhofften, dass ich ihr Gästehaus öfter mal in die Zeitung bringe.
Damals habe ich das aktuelle Team bereits erlebt. Tanja, die mich nun auf einen abgewetzten Ledersessel im Wohnzimmer dirigiert, kommt hier aus dem Landkreis. Sie will eine Lehre als Köchin machen und sammelt nun als Praktikantin in der Küche erst einmal Erfahrungen. Caro, eine quirlige Blondine mit Pferdeschwanz, großen Ohrringen und einem kleinen, dezenten Tattoo am Hals, hat in Oldenburg Abi gemacht. Sie will Sozialarbeiterin oder Diakonin werden, hat dies jedoch noch nicht entschieden. Anders liegt es bei Anna. Wenn ich mich recht erinnere, möchte sie Medizin studieren. Anna ist auffallend groß, trägt ihre brünetten glatten Haare wie sie fallen und ist sehr still und zurückhaltend. Tom würde einen guten Dressman abgeben: Sportliche Figur, leicht gekräuselte braune Locken, Dreitagebart und strahlend blaue Augen. Vermutlich hat er hier mancher Konfirmandin den Kopf verdreht. Jonas wirkt ohne seine rotschwarze Uniformjacke der Feuerwehr in seinem grünen Sweatshirt und einer silbernen Halskette mit Anhänger etwas blass, fast ein bisschen feminin. Er ist wie die anderen knapp zwanzig, hat dunkelbraunes Haar und ebensolche Augen. Besonders seine dunklen Augen wirken anziehend und vertrauenerweckend.
»Friedrich kann leider nichts beitragen. Er hat seinen freien Tag und ist nach Hause gefahren.« Tanja schaut nach dieser Info zu Jonas, der wie ich in einem der Sessel sitzt. »Und Jonas muss nachher noch mal weg, zur Feuerwehr.« Sie grinst vielsagend. »Einsatz mit Kerstin!«
»Blödsinn! Kerstin ist diesmal nicht dabei!« Jonas wirkt genervt und die Bemerkung seiner Kollegin in meiner Gegenwart ist ihm sichtlich unangenehm. Offenbar sind die Teammitglieder eingeweiht und wissen, dass Jonas auf nächtliche Streife geht. Ich vermute, im Dorf wird sich die Brandwache ebenfalls herumsprechen und der Täter wäre bald gewarnt, sofern er überhaupt in Himmelstal wohnt.
Nach knapp zehn Minuten lümmeln sich Tom und Caro sichtlich erschöpft auf das Sofa und die Truppe ist also bis auf Friedrich vollständig. In der Mitte steht ein flacher Couchtisch, drum herum eine Ledergarnitur mit zwei Zweiersofas und zwei Sesseln.
»Theo kommt jedenfalls nicht. Er muss noch zu viel für den Kirchentag organisieren, sagt er.« Tanja meint Theo Beyer, den Leiter des Hauses. »Aber wir anderen sollten trotzdem anfangen!«
»Ein Bier, Herr Reporter?«
Tom hat schon ein Pils geöffnet und hält mir nun eine weitere Flasche hin. Da sage ich nicht Nein. Die Mädels trinken Wasser oder Apfelsaft.
»Du willst also etwas über Pfingsten schreiben und fragst uns, was dieses Fest für uns bedeutet?«
Auf das »du« hatten wir uns bereits bei unserer ersten Begegnung geeinigt. So ist es. Unser Gespräch beginnt sofort, ohne allgemeines Geplänkel. Das liebe ich an diesen jungen Leuten!
»Ehrlich gesagt, kann ich mit Pfingsten nichts anfangen!« Tom macht den Anfang. »Wir haben damals bei uns im Dorf am 1. Mai einen Maibaum aufgestellt und den zu Pfingsten zum zweiten Mal kräftig begossen!«
»So wie vor zwei Wochen, als Jonas Geburtstag hatte?«
Sie wissen, was gemeint ist und lachen. Wenn ich es richtig sehe, errötet Jonas ein bisschen. Ich vermute, es hatte ein kleines oder auch großes Besäufnis gegeben. Diese jungen Leute hier leben also keineswegs irgendwie fromm abgehoben, sondern gewissermaßen ganz normal im Vergleich zu ihren Altersgenossen.
»Nee, Tanja«, belehrt Tom seine Kollegin. »Was ihr hier ›Besäufnis‹ nennt, heißt bei uns zu Hause ›Vorglühen‹.«
Ich erinnere mich. Tom kommt aus der Rotenburger Gegend. Da kennt man sich aus, legendär.
»Also Pfingsten warst du regelmäßig duun?«
Tom nickt.
»Und du warst auch nie bei uns hier auf dem Pfingstcamp?« Caro schaut ihren Kollegen fast mitleidig an.
Tom nickt wieder. »Doch, klar. Das kennt jeder hier in der Region. Leider gibt es das ja schon seit Jahren nicht mehr.«
Ich frage nach, was mit »Pfingstcamp« gemeint ist. Die Erzählungen wechseln zwischen Bericht, Anekdote und Legende. Bereits Ende der Siebziger Jahren lief unterhalb der Sportplätze Himmeltals ein großes Zeltlager. Angefangen hatte man mit hundert, später waren es sechshundert und einmal sogar achthundert Jugendliche, die gemeinsam Pfingsten feierten. Zwei weitere Camps entstanden als Ableger in anderen Regionen Norddeutschlands und so wurden jeweils zu Pfingsten bis zu tausendfünfhundert junge Leute erreicht.
»Da ging echt die Post ab!« schwärmt nun Caro. »Natürlich gab es keinen Alkohol, aber wir waren trotzdem so was wie high. Lieder, Superbands, na und die Liebe, und heiße Gebetszeiten, tolle Predigten, Sport, Talentshows, Geländespiel, Lagerkirmes ...«
Tom unterbricht sie. »Ja, mit Geisterbahn und so was ... !«
Sie lachen beide und klären Tanja, Anna, Jonas und mich, die wir nicht dabei waren, auf.
»Genau, ich erinnere mich. Einmal haben wir im Camp das Thema ›Pfingsten‹ behandelt. Da hat dann eine Gruppe beim Lagerkirmes tatsächlich eine echte ›Geisterbahn‹ angeboten.«
Caro bringt uns mit dieser Vorstellung zum Lachen.
»Und du, Tom, warst du dann die Frau ohne Kopf?!«
»Nee, Tanja, ich habe im Camp-Café ›Geistreich‹ mitgearbeitet. Da gab es diverse Cocktails in Heiliger-Geist-Qualität.«
Mir gefällt, dass die Verantwortlichen in diesem Camp die christlichen Inhalte ganz offensichtlich nicht verbissen ernst, sondern auch mit Humor vermittelt haben.
Jonas gibt zum Besten, dass sie zu Pfingsten immer im Kinderlager auf der Insel waren. Ich stelle mir vor, dass Jonas mit seinen braunen Locken und den treuen Hundeaugen ein ausgesprochen hübsches Kind war und damals vermutlich viele Freunde hatte.
»Da gab es dann ein tolles Nacht-Geländespiel. Wir nannten es ›Geisterjagd‹. Bewaffnet mit Taschenlampen sind wir zwischen den Dünen herumgerannt und haben mit alten Bettlaken als Geister verkleidete Mitarbeiter gejagt. Das war richtig spannend, können wir hier mit den Konfis auch mal machen!«
»Na, Jonas, das war was für dich! Wenn Action, Spannung und Nervenkitzel angesagt sind, dann fehlt natürlich