Am Hof Karls des Großen. Felix Dahn
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Читать онлайн книгу Am Hof Karls des Großen - Felix Dahn страница 9
Alsbald sprangen die Doppeltüren des marmorgetäfelten Saales auf und herein schritt aus dem Innern des Palastes gerade auf mich zu Herr Karl, aber nicht allein, gefolgt von gar vielen Geistlichen und Weltgroßen des Hofes: ich erkannte den wackern Helden Gerold von Bayern, – den Bruder der Königin, – den Markgrafen Roland von Bretagne, des Königs Neffen, und den von ihm unzertrennlichen Vizecomes Oliver von Viane, den Markgrafen Erich von Friaul, den Grafen Wilhelm von Orange, Bischof Arn von Salzburg.
Dann alle die trauten Genossen unserer ›Akademia‹, wie uns Meister Alkuin neulich taufte: ihn selbst, Einhart, Angilbert, Petrus, Theodulf und die andern: der Graf von Maine lächelte mir zu und legte den Finger auf den Mund: – unnötige Sorge!
Als sich der Halbkreis hinter ihm geordnet hatte, sprach Herr Karl und sein Auge leuchtete mich an, daß in das meine die Träne der Rührung trat: ›Sohn Warnefrids, Paule, mein Liebling: all diese meine Getreuen wissen, welch großen Dank ich und mein Haus dir schulden. Nie kann ich dir vergelten. Aber alle Welt soll wissen und vor allem mein Hof und mein Reich, wie tief ich solche Dankespflicht empfinde. Dem Mönch darf ich nicht Allod, nicht Beneficium bieten, nicht Gold noch köstlich Gewaffen noch weltlich Amt in Hof oder Reich: lebst und webst du doch im Geistlichen, in der Kirche: aber in diesem deinem kirchlichen Stand stehst du mir lang schon viel zu niedrig! auf meinen Wunsch wird dich der gute Herr von Salzburg – siehst du, dort steht er! – gar geschwind mit rascher Häufung der niedern Grade zum Diakonus weihen an meiner Stiftskirche zu Aachen, und ›Paulus Diakonus‹ soll fortab dein Ehren-Name lauten, von deinem König dir verliehen. Doch mehr: gern möcht' ich dich für immer um mich haben: dein Abt Theudemar gibt dich gewiß aus seinem Kloster frei, verlangen wir das beide: und so sollst du – bei deiner Jugend noch unter meinem Archicapellanus – mein Capellanus werden und fortab dienen, leben und wohnen in der Capella meines Palatiums. Sprich, willst du das, mein Sohn?‹
Mich überwältigte fast die Rührung: ach, neben dem Dank für soviel Güte ward das Heimweh so übermächtig in mir, die Sehnsucht nach euch, ihr Hohen und Lieben, in der Heimat, die Sehnsucht nach meiner stillen Zelle am Garigliano, nach dem gütigen, weisen Abt, nach dem treuen Bruder, ja auch nach den Pinien und Cypressen des Schloßgartens von Benevent, daß meine ganze Seele erschrak bei dem Gedanken, mein Leben lang von dort, von euch verbannt zu sein: so faßte ich mir ein Herz – es war nicht leicht, so reiche Güte auszuschlagen! – und sprach: ›Nein, Herr König! Ich danke dir vom Grund der Seele: aber meine Stätte ist nicht hier, nicht in Glanz und Lärm der Welt, sie ist in meiner Heimat, in meinem Kloster, in meiner Zelle: dorthin laß mich zurückkehren: dort will ich ein großes Werk, das Werk meines Lebens schreiben: du und Fürstin Rothtrud ihr braucht mein Griechisch nicht mehr.‹
Ein leicht Gewölk flog über seine klare Stirn, doch freundlich sprach er: ›Ich hab's gefürchtet, denn ich kenne deine stille Seele. Ein großes Werk? Ich ahne: du sprachst davon. Mag's sein! Aber die Flucht von mir hinweg wird wohl nicht eilen. Den Capellanus schlugst du aus –: so erbitte dir irgend eine andere Gnade von mir: denn den Diakonat gibt dir die heilige Kirche. Wähle! Wünsche!‹
›Herr König, ich habe keinen Wunsch.‹
›Wohl, jetzt, für dich. Aber – nach deines Herzens Art! – etwa für andere.‹
Ich sann nach: da fiel mir ein, wie's mich erschüttert hatte, als ich jüngst – von ungefähr war ich dazu gekommen auf dem Marktplatz von Aachen – einen zum Tod Verurteilten – wegen infidelitas – zum Galgen schleifen sah: er sträubte sich mit allen Kräften, er wand die Glieder in seinen Ketten, die Todesangst stand auf seinem Gesicht: – es war grauenhaft! ›Wohlan, Herr König,‹ rief ich kurz entschlossen, ›so gewährt mir eine Freibitte, wie sie bei mir daheim in Langobardien zuweilen Abten oder Äbtissinnen verliehen wird.‹
›Freibitte? Für wen? Von was?‹
›Für einen Verurteilten: – vom Tode.‹
Der König stutzte einen Augenblick: er sann nach: ›Hm,‹ meinte er, ›sonderbar. Recht sonderbar! Aber nein doch: echt christlich, und echt priesterlich. Auch das ist ganz mein Paulus, drum gefällt's mir. So sei's! Aber höre,‹ lächelte er, drohend den Zeigefinger hebend, ›nur einmal! Und nur einen! Dein Erbarmen wär' im stande, einen ganzen Schlachthaufen treubrüchiger Sachsen freizubitten. Nur ein Leben! Und nun, nimm hier, vor seinem ganzen Hof, deines Königs Dank!‹
Und er schritt an mich heran und küßte mich auf beide Wangen. Mir schwindelte. Ich entzog mich dem Händedruck der andern, eilte in mein Kämmerlein, warf mich auf die Knie, dankte inbrünstig Gott und weinte, weinte, weinte. Ach, meine Seele, meine undankbare Seele, war nicht hier: – in heißer Sehnsucht war sie bei euch.«
Als der Herzog von Benevent den langen Brief – Abt Theudemar hatte ihn selbst gebracht – laut zu Ende gelesen, warf er ihn unmutig auf den runden Marmortisch des kleinen Gartentempels und winkte Arichis, ihm ins Freie zu folgen. Adalperga nahm das Schreiben sorglich auf: sie wischte die feuchten Augen und sprach zu dem Abt: »Was für ein Herz!« – »Ja, wahrlich! – Und wenn Ihr es erst kenntet wie ich.« – »Wer so gut ist, der muß doch glücklich sein, nicht, ehrwürdiger Vater?« – »Wohl, wohl, edle Frau, das sollte so sein. Allein ... Ihr seid so gut wie Paulus und doch ...«
»Ich wäre ganz glücklich, quälte mich nicht die Sorge um den Herzog. Ach, und um das Kind unter meinem Herzen, das in so schwerer Zeit in die Welt hineinwachsen soll. Aber vielleicht war es ohne Grund oder doch ist es jetzt ohne Grund: unser Paulus hat mir in diesem Brief eine Last von der Seele genommen. Habt Ihr beachtet seine wiederholte, scharfe Warnung an den Herzog? – Jetzt – nachdem er das ganze Heer des Reiches auf dem Wege nach Italien weiß, – jetzt kann doch mein Gemahl nicht an Empörung denken?«
»Wir wollen's hoffen,« erwiderte der Bischof. »Es wäre Wahnsinn. – Aber gebt mir Urlaub, hohe Frau, ich muß noch heute den Rückweg in mein Kloster antreten: es darf nicht verwaist stehen: wirre Gerüchte von Unruhen, von Ansammlung Gewaffneter – ziemlich in der Nähe – schwirren durch die Luft: da darf der Vater nicht den Söhnen fehlen. Schreibt dem lieben Diakon, schreibt ihm bald: und schreibt – selbst: Ihr wißt nicht, wie ihm das wohl tun wird.«
»Gern,« sprach die Frau, sich erhebend. »Obzwar ich nicht verstehe, was der Fromme und Viel-Gelehrte hat von dem Brief einer sorgenschweren Frau.«
Mit hastigen, ungleichen Schritten durchmaß der Herzog die schmalen Gartenwege, zuweilen blieb er stehen und riß an einem Zweig, der den Pfad verengte; ernst, schweigend schritt Arichis neben ihm her. Außer Hörweite von dem Tempel, sprach der Fürst: »Diese törichten Warnungen! Sie kommen zu spät: sie machen nur wirr, sie umwölken den Blick und können doch nichts mehr ändern.« – »Und doch hattet Ihr ihn an den Frankenhof zu gehen gedrängt, gerade weil ... –« – »Ja, weil ich hoffte aus seinen Briefen rechtzeitig zu erfahren, was dort geplant werde: ein Späher, ohne Wissen, wider Willen, sollte er mir sein! Nun schreibt er erst jetzt, nachdem hier alles bereit, ja mehr als bereit ist. Das ganze Frankenheer im Anzug: – – und ich kann nicht mehr zurück.« – »Wirklich nicht? Es wäre gut.« – »Das weiß ich allein. Meinst du, ich bin so tollkühn, jetzt – jetzt gerade! – freiwillig