Der Untertan. Heinrich Mann

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Der Untertan - Heinrich Mann

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diesen Einjährigen ansah, ein Gesicht voll stolzer Genugtuung. Diederich dahinten, klein und unversehrt, dachte: ›Siehst du wohl? Die Neuteutonia und ein Geheimer Sanitätsrat sind mehr wert als vierzig Grad Fieber ...‹ Was Diederich betraf, so waren die amtlichen Formalitäten eines Tages glücklich erfüllt, und der Unteroffizier Vanselow verkündete ihm seine Entlassung. Diederich hatte sofort die Augen voll Tränen; er drückte Vanselow warm die Hand.

      »Grade muß mir das passieren, und ich hatte doch« – er schluchzte – »so viel Freudigkeit.«

      Und dann war er »draußen«.

      Vier Wochen lang blieb er zu Hause und büffelte. Wenn er zum Essen ging, sah er sich um, ob ein Bekannter ihn bemerkte. Endlich mußte er sich den Neuteutonen wohl zeigen. Er trat herausfordernd auf.

      »Wer von euch noch nicht dabei war, hat keine Ahnung. Ich sage euch, da sieht man die Welt von einem andern Standpunkt. Ich wäre überhaupt dabeigeblieben, meine Vorgesetzten rieten es mir, ich sei hervorragend qualifiziert. Na und da –«

      Er starrte schmerzlich vor sich hin.

      »Das Unglück mit dem Gaul. Das kommt davon, wenn man ein zu guter Soldat ist. Der Hauptmann läßt einen in seinem Dogcart fahren, damit der Gaul mal bewegt wird, und da ist das Unglück passiert. Natürlich habe ich den Fuß nicht geschont und zu früh wieder Dienst gemacht. Die Sache verschlimmerte sich erheblich, der Stabsarzt gab mir anheim, für jede Eventualität meine Angehörigen zu benachrichtigen.«

      Dies sagte er knapp und männlich.

       »Da hättet ihr nun den Hauptmann sehen sollen. Täglich kam er selbst, nach den größten Märschen, mit bestaubter Uniform, wie er war. So was gibt es auch nur beim Militär. Wir sind in den bösen Tagen wahre Kameraden geworden. Hier die Zigarre ist noch von ihm. Und als er mir dann eingestehen mußte, der Stabsarzt wolle mich fortschicken, ich kann euch versichern, das war einer der Augenblicke im Leben, die man nicht vergißt. Der Hauptmann und ich, wir kriegten beide gleichzeitig feuchte Augen.«

      Alle waren erschüttert. Diederich sah tapfer um sich.

      »Na, jetzt soll man sich also wieder in das bürgerliche Leben hineinfinden. Prost.«

      Er büffelte weiter; und am Sonnabend kneipte er mit den Neuteutonen. Auch Wiebel erschien wieder. Er war Assessor, auf dem Wege zum Staatsanwalt und sprach nur noch von »subversiven Tendenzen«, »Vaterlandsfeinden« und auch vom »christlich-sozialen Gedanken«. Er erklärte den Füchsen, es sei an der Zeit, sich mit Politik zu beschäftigen. Er wisse wohl, daß es nicht für vornehm gelte, aber die Gegner zwängen einen dazu. Hochfeudale Herren, wie sein Freund, der Assessor von Barnim, seien in der Bewegung. Herr von Barnim werde demnächst den Neuteutonen die Ehre geben.

      Er kam, und er gewann alle Herzen, denn er benahm sich wie gleich zu gleich. Er hatte dunkles, glatt gescheiteltes Haar, das Wesen eines pflichteifrigen Beamten, sprach sachlich – aber am Schluß seines Vortrages bekam er Schwärmeraugen und verabschiedete sich rasch, mit warmen Händedrücken. Die Neuteutonen stimmten nach seinem Besuch alle darin überein, daß der jüdische Liberalismus die Vorfrucht der Sozialdemokratie sei und daß die christlichen Deutschen sich um den Hofprediger Stöcker zu scharen hätten. Diederich verband, wie die anderen, mit dem Wort »Vorfrucht« keinen deutlichen Sinn und verstand unter »Sozialdemokratie« nur eine allgemeine Teilerei. Das genügte ihm auch. Aber Herr von Barnim hatte jeden, der nähere Aufklärung wünschte, zu sich eingeladen, und Diederich würde es sich nicht verziehen haben, wenn er eine so schmeichelhafte Gelegenheit versäumt hätte.

       In seiner kalten, altmodischen Junggesellenwohnung hielt Herr von Barnim ihm ein Privatissimum. Sein politisches Ziel war eine ständige Volksvertretung, wie im glücklichen Mittelalter: Ritter, Geistliche, Gewerbetreibende, Handwerker. Das Handwerk mußte, der Kaiser hatte es mit Recht gefordert, wieder auf die Höhe kommen wie vor dem Dreißigjährigen Krieg. Die Innungen hatten Gottesfurcht und Sittlichkeit zu pflegen. Diederich äußerte sein wärmstes Einverständnis. Es entsprach seinen Trieben, als eingetragenes Mitglied eines Standes, einer Berufsklasse, nicht persönlich, sondern korporativ im Leben Fuß zu fassen. Er sah sich schon als Abgeordneten der Papierbranche. Die jüdischen Mitbürger freilich schloß Herr von Barnim von seiner Ordnung der Dinge aus; waren sie doch das Prinzip der Unordnung und Auflösung, des Durcheinanderwerfens, der Respektlosigkeit: das Prinzip des Bösen selbst. Sein frommes Gesicht zog sich zusammen vom Haß, und Diederich fühlte ihn mit.

      »Schließlich«, meinte er, »haben wir doch die Gewalt und können sie hinauswerfen. Das deutsche Heer –«

      »Das ist es eben«, stieß Herr von Barnim aus, der durch das Zimmer lief. »Haben wir darum den ruhmreichen Krieg geführt, daß mein väterliches Gut an einen Herrn Frankfurter verkauft wird?«

      Während Diederich noch erschüttert schwieg, klingelte es, und Herr von Barnim sagte: »Es ist mein Barbier, den will ich mir auch mal vornehmen.«

      Er bemerkte Diederichs Enttäuschung und setzte hinzu: »Natürlich rede ich mit solch einem Mann anders. Aber jeder von uns muß an seinem Teil der Sozialdemokratie Abbruch tun und die kleinen Leute in das Lager unseres christlichen Kaisers hinüberziehen. Tun auch Sie das Ihre!«

      Damit war Diederich entlassen. Er hörte den Barbier noch sagen: »Schon wieder ein alter Kunde, Herr Assessor, der zu Liebling hinübergeht, bloß weil Liebling jetzt Marmor hat.«

      Wiebel sagte, als Diederich ihm berichtete: »Das ist alles schön und gut, und ich habe eine ganz bedeutende Verehrung für die ideale Gesinnung meines Freundes von Barnim, aber auf die Dauer kommen wir damit nicht mehr weiter. Sehen Sie mal, auch Stöcker hat im Eispalast seine verdammten Erfahrungen gemacht mit der Demokratie, ob sie sich nun christlich nennt oder unchristlich. Die Dinge sind zu weit gediehen. Heute heißt es bloß noch losschlagen, solange wir die Macht haben.«

       Und Diederich stimmte erleichtert bei. Herumgehen und Christen werben, war ihm gleich ein wenig peinlich erschienen.

      »Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich, hat der Kaiser gesagt.« Wiebels Augen drohten katerhaft. »Nun, was wollen Sie mehr? Das Militär ist darüber instruiert, es könne vorkommen, daß es auf die lieben Verwandten schießen muß. Also? Ich kann Ihnen mitteilen, mein Lieber, wir stehen am Vorabend großer Ereignisse.« Da Diederich erregte Neugier zeigte: »Was ich durch meinen Vetter von Klappke –«

      Wiebel machte eine Pause. Diederich zog die Absätze zusammen.

      »– in Erfahrung gebracht habe, ist noch nicht für die Öffentlichkeit reif. Ich will nur bemerken, daß der gestrige Ausspruch Seiner Majestät, die Nörgler möchten gefälligst den deutschen Staub von ihren Pantoffeln schütteln, eine verteufelt ernst zu nehmende Warnung war.«

      »Tatsächlich? Sie glauben?« sagte Diederich. »Dann ist mein Pech wirklich skandalös, daß ich gerade jetzt aus dem Dienst Seiner Majestät scheiden mußte. Ich darf sagen, daß ich gegen den inneren Feind meine volle Pflicht getan haben würde. Auf die Armee, soviel weiß ich, kann der Kaiser sich verlassen.«

       Er war in diesen naßkalten Februartagen des Jahres 1892 viel auf der Straße, in der Erwartung großer Ereignisse. Unter den Linden hatte sich etwas verändert, man sah noch nicht, was. Berittene Schutzleute hielten an den Mündungen der Straßen und warteten auch. Die Passanten zeigten einander das Aufgebot der Macht. »Die Arbeitslosen!« Man blieb stehen, um sie ankommen zu sehen. Sie kamen vom Norden her, in kleinen Abteilungen und im langsamen Marschschritt. Unter den Linden zögerten sie, wie verwirrt, berieten sich mit den Blicken und lenkten nach dem Schloß ein. Dort standen sie, stumm, die Hände in den Taschen, ließen sich von den Rädern der Wagen mit Schlamm bespritzen und zogen die Schultern hoch unter dem Regen,

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