Fälschung. Ole R. Börgdahl
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Am nächsten Tag ging er nicht zur Taverne. Er saß am Nachmittag auf seinem Stein in der Bucht und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Er hatte festgestellt, dass es ihn inspirierte. In der Nähe des Anlegers spielten einige Kinder. Er dachte sofort an die beiden kleinen Mädchen. Er überlegte, welcher Tag war, welches Datum, aber es war nicht wichtig. Er sah mit geschlossenen Augen in die Sonne, die Wärme war herrlich. Er vergaß seine letzten Gedanken, er hatte neue Projekte. Er konnte wieder malen. Er malte den Strand mit Reitern, er malte die Menschen hier und er malte mystische Dinge voller symbolhafter Kraft. All das gab ihm neuen Schwung und dieser Schwung würde sich gegen etwas Verhasstes richten, etwas, das hier nicht hingehörte, hier in dieses Paradies, das schon keines mehr war. Er wollte sich auf die Seite der Unterdrückten, der Bevormundeten schlagen, wie er es schon des Öfteren getan hatte, immer zum Unwillen der Obrigkeit. In diesem Moment sah er aufs Meer hinaus. Er war nicht der Erste, der die Rauchsäule am Horizont entdeckt hatte. Die Post, dachte er, endlich.
2 Das Bild
Die Heizungen im Verwaltungsgebäude des Kunst- und Auktionshauses Blammer waren vollends aufgedreht. Es war immer noch sehr kalt draußen. Es hatte wenigstens nicht mehr geschneit. Der letzte Schnee war bereits Ende Februar geschmolzen. Es gab aber keine Garantie, dass sich in München jetzt langsam milderes Wetter durchsetzte. Simon Halter schaute auf den Kalender, der neben seinem Schreibtisch an der Wand hing.
»Heute ist der 16.«, sagte er zu Heinz Kühler, »dann haben wir ja noch die ganze Woche Zeit.« Er sah auf das untere Kalenderblatt und stutzte. »Was bedeutet denn diese kleine Zahl da vor dem Datum?«
Heinz Kühler trat neben seinen Chef und sah auf das Kalenderblatt. »Das ist ein Countdown. Es sind noch sechshundertsiebenundfünfzig Tage bis zum Millennium.«
»Millennium«, wiederholte Simon Halter gedehnt. »Wir haben doch erst 1998, wer denkt da schon an das Jahr 2000.« Er schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich um und schaute noch einmal zu den Unterlagen auf dem Besprechungstisch. »Wir sollten das hier auf morgen verschieben«, sagte er schließlich.
Heinz Kühler nickte und schob die Blätter wieder zusammen, die auf dem Tisch verteilt lagen. Das Telefon klingelte. Simon stand auf und ging zu seinem Schreibtisch. Am Blinken des Apparates sah er, dass der Anruf aus dem Nebenraum, von seiner Sekretärin kam. Während er den Hörer abnahm, blickte er Heinz Kühler an, der sich ebenfalls von seinem Platz erhoben hatte. Die beiden Männer waren etwa gleich groß. Simon war aber deutlich kräftiger, was auch daran lag, dass Heinz Kühler sehr schlank war, ja beinahe hager wirkte.
»Bitte!«, rief Simon ins Telefon und versuchte dabei freundlich zu klingen.
»Ihre Frau ist gleich hier«, meldete sich seine Sekretärin. »Ihre Frau sagte etwas von Autoschlüssel tauschen.«
»Ach ja, danke Frau Hoischen, ich weiß Bescheid.« Simon legte den Hörer wieder auf die Gabel.
»Meine Frau«, sagte er zu Heinz Kühler, der schon in Richtung Bürotür gegangen war. »Sie holt heute Besuch vom Flughafen ab, darum tauschen wir die Wagen, hätten wir eigentlich auch schon heute Morgen machen können, aber, vergessen.« Er zuckte mit den Schultern.
Dann klopfte es, die Tür öffnete sich und Colette Halter betrat das Büro. »Bonjour, ich störe hoffentlich nicht?« Es geht auch ganz schnell, dann bin ich wieder fort.«
»Bonjour, Madame Halter, Comment allez-vous«, begrüßte Heinz Kühler die Frau seines Chefs.
Sie lächelte ihn an. »merci très bien et vous, Monsieur Kühler.«
»Oh, danke mir geht es gut, nur zu viel Arbeit, Sie kennen ja Ihren Mann«, lachte er.
Colette lächelte zurück und wandte sich dann ab. Sie ging ihrem Mann entgegen. Sie küssten sich auf die Wangen und Simon gab seiner Frau im Tausch die Schlüssel seines Wagens.
»Merci, au revoir«, bedankte sie sich, drehte sich um und verließ auch sofort wieder den Raum.
Die beiden Männer sahen ihr noch nach, bis die Tür ganz verschlossen war. Simon ging wieder zurück an seinen Schreibtisch und setzte sich in den Bürosessel.
»Irgendetwas wollte ich noch«, überlegte er laut. »Egal, vergessen, vielleicht fällt es mir später noch ein.«
Heinz Kühler nickte kommentarlos, ging zur Tür und verließ ebenfalls den Raum. Er beeilte sich. Insgeheim hoffte er, vielleicht doch noch ein paar Worte mit Colette Halter sprechen zu können, wenn sie noch im Vorzimmer war. Er sah sich im Büro um. Frau Hoischen saß an ihrem Platz. Sie beugte sich über ein Schriftstück, sodass ihr eine graue Haarsträhne ins Gesicht fiel. Von Colette Halter war nichts mehr zu sehen. Heinz Kühler verließ das Vorzimmer und ging auf den Flur hinaus. Er sah in Richtung Treppenhaus, aber auch hier war sie nicht mehr zu sehen. Schade, dachte er. Er ging in sein eigenes Büro und trat an eines der Fenster, die zur Straße hinausgingen. Simon Halters Kombi rangierte gerade auf dem Hof und fuhr Richtung Tor. Colette Halter hatte ihr Cabriolet dafür auf dem Parkplatz der Geschäftsführung zurückgelassen.
*
Florence Uzar hatte zwei anstrengende Wochen in Paris hinter sich. Es war eine Geschäftsreise, der Besuch eines Kongresses mit angeschlossener Messe. Bevor sie Europa wieder verließ, plante sie noch zwei Tage in München, bei einer Freundin zu verbringen. Über das Wochenende blieb sie aber noch in Paris. Am Montagvormittag startete sie vom Flughafen Charles-De-Gaulle in die bayrische Hauptstadt. Das erste Mal seit zwei Wochen hatte sie wieder ihr Gepäck bewegt, das zuvor träge in ihrem Pariser Hotelzimmer verstaut war. Der Taxifahrer zum Flughafen hatte ihr die Koffer noch auf einen Trolley geladen, den sie dann selbst zur Abfertigung schob. In der Schlange vor ihr stand ein junger Mann, der fast einen ganzen Kopf kleiner war als sie. Florence war stolz auf ihre gut eins achtzig. Sie hatte nie Probleme mit ihrer Größe gehabt. Während des Studiums wurde sie wegen ihres Aussehens sogar einmal von einem Fotografen auf der Straße angesprochen. Er gab ihr seine Visitenkarte und forderte sie auf, sich bei ihm zu melden. Er sprach davon, wie fotogen sie sei, mit ihrem wundervollen rotbraunen Haaren und davon, dass sie tolle Augen hätte, tolle grüne Augen. Sie war damals mit einer Kommilitonin in Nantes unterwegs. Die Freundin bedrängte sie noch Tage später, sich bei dem Fotografen zu melden. Florence hatte damals aber kein Interesse an der Sache und bezweifelte auch, dass der Mann ein richtiger Fotograf war. Sie hatte nie bei ihm angerufen und es auch nie bereut.
Der junge Mann, der vor ihr am Flugschalter stand, drehte sich zu ihr um und lächelte sie zaghaft an. Nach einer Viertelstunde hatte sie endlich ihr Gepäck eingecheckt. Zwei Stunden später kamen ihr die beiden Koffer und die große Reisetasche dann auf dem Kofferband im Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen wieder entgegen. Ein Mitreisender half ihr, das Gepäck auf den Trolley zu wuchten. Seine Frau musste ihn aber erst dazu auffordern. Florence bedankte sich auf Deutsch. Einige wenige Worte sprach sie und ein »Dankeschön« gehörte auch dazu. Als sie den Ausgangsbereich betrat, sah sie Colette bereits winken. Florence musste nicht durch den Zoll und konnte