Die Colonie. Gerstäcker Friedrich
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„Beinahe hätt' ich das Letzte gleich gethan," lachte Günther, „denn mein Rappe schien dasselbe Bedürfniß zu fühlen. Aber, Adieu jetzt, Kamerad. Um ein Uhr sehen wir uns beim Diner wieder."
„Hoffentlich nicht im Frack, denn darauf bin ich nicht eingerichtet," nickte ihm Könnern zu, während Günther, von seinen beiden Lastthieren gefolgt, denselben Weg, aber /25/ bedeutend langsamer, einschlug, den die junge Dame eben genommen. Die Kirche lag in dieser Richtung, und er wußte gut genug, daß Könnern Recht hatte, wenn er das Wirthshaus dicht daneben vermuthete.
Aus dem Directionshause waren indessen ein paar deutsche Arbeiter gekommen, junge Burschen in Hemdärmeln und mit ledernen Hosen und Pantoffeln, der eine eine runde blaue, der andere eine viereckig grüne Mütze auf, und beide genau so aussehend, als ob sie eben dieselben Pantoffeln nicht ausgezogen hätten, seit sie in Bremen oder Hamburg das Schiff betreten.
Diese griffen willig mit zu, das Packthier abzusatteln, und wenn sie auch stets an den verkehrten Stricken, aber deshalb nicht minder gutgemeint, zogen, gelang es doch endlich mit Könnern's Hülfe, den Packen aufzuschnüren, und die verschiedenen Gegenstände in's Haus und in die erste Etage zu schaffen. Die Pferde brachten sie dann ebenfalls auf einen kleinen Weideplatz dicht am Hause, wo sie auch einzeln gefüttert werden konnten, und seinen Diener schickte Könnern dann mit dessen eigenem Sattelzeuge in das Wirthshaus hinüber, da er den Eingeborenen nicht mit den Deutschen zusammenbringen wollte. Er wußte, daß dies selten gut that.
Hierbei gelang es ihm, einen Blick in den untern Theil des Directionshauses zu werfen, und es sah dort allerdings wild und wunderlich genug aus. Das ganze Haus war noch neu, ja, es stand sogar noch ein Theil des Gerüstes. Die Wände waren auch nur erst einfach geweißt und die Fensterrahmen noch nicht einmal gestrichen.
Gleichwohl glich der Platz da unten weit eher einem indianischen Bivouak, als der Wohnung eines Directors der Colonie, denn überall in den Zimmern lagen Matratzen, überall an den Wänden standen die riesigen Kisten und Koffer der Auswanderer, mit der groß gemalten Adresse „Nach Brasilien" noch daran, und auf dem ebenfalls preisgegebenen Kochherde war auf jeder Ecke ein Feuer angezündet, über dem theils ein Kessel brodelte, theils eine Pfanne zischte. Selbst im Hofe loderte ein stattliches Feuer, /26/ um den übrigen Kochgeschirren Raum zu geben, denn heute war ja Sonntag, und die Deutschen feierten diesen, genau wie daheim, mit Essen und Trinken.
Könnern, im Augenblick ohne weitere Beschäftigung, trat dort hinein, ohne daß die Leute jedoch besondere Notiz von ihm genommen hätten. Ein paar alte Frauen saßen auf den Kisten in der Ecke und lasen in ihren Gesangbüchern; die Mädchen und jungen Frauen waren fast alle mit einer oder der andern Arbeit für die Küche beschäftigt, und die Männer lagen zum Theil ausgestreckt auf den Matratzen oder auch auf dem nicht gerade überreinlichen Boden und rauchten ihre kurzen Pfeifen. Tabak war billig hier, und sie konnten sich dem Genusse mit unbeschränkter Leidenschaft hingeben.
„Nun, Leute, wie geht's?" redete Könnern einen der Männer an, der beide Beine von einander gestreckt hatte und, ein Bild der höchsten Zufriedenheit, flach auf dem Rücken lag. Nur den einen Arm hatte er als Kisten unter den Kopf geschoben und sah den eigenen Rauchwolken nach, die er mit Macht gegen die Decke blies; „Ihr scheint Euch hier ganz behaglich zu befinden?"
„Und warum nicht?" sagte der Mann, indem er die Pfeife in den einen Mundwinkel schob; „hier kann mer's aushalten, und die Schinderei geht doch noch zeitig genug an. Das Brumsilien ist ein ganz famoses Land - wären wir nur erst (früher) hergekommen."
„Ja, mit dene Männer hat's keine Noth," fiel hier die eine Frau ein, die mit roth erhitztem Gesichte gerade aus der Küche kam und sich mit der Schürze den Schweiß von der Stirn trocknete, „wenn die nur satt Tabak haben und auf der faulen Haut liegen können, sell freut sie und sie wollen's net besser; aber uns arme Weiberleut' derf's schinden und plagen, wie's mag."
„Und was geht Euch ab?" fragte der Mann, faul den Kopf nach ihr umdrehend.
„Was uns abgeht?" sagte die Frau, „ein eigen Haus und ein eigener Herd, weiter nichts, daß man weiß, weshalb man sich plagt und schind't, und seine Kochtöpf' nicht /27/ auf Gottes Erdboden herum zu stoßen hat. Erst aber drei Monat das leidige Schiffsleben und nun vier Monat wieder hier in einer wahren Heidenwirthschaft - sell kann Einen freuen, und bis an den Hals steht mir's."
Und damit griff die Frau ein am Boden sitzendes, schreiendes Kind an einem Arme auf, warf sich's mit einem Ruck auf die Hüfte und verschwand damit durch die offene Thür.
„Weiberleut'!" sagte der Bauer verächtlich und rauchte weiter.
Könnern behielt übrigens keine Zeit, noch weitere Forschungen anzustellen, denn der Director sah in diesem Augenblick in's Zimmer. Er hatte jedenfalls seinen Gast gesucht und rief jetzt:
„Nun, sieht es hier nicht liebenswürdig aus? Aber kommen Sie, Könnern, wir wollen vor Tisch noch einen kleinen Spaziergang machen - lassen Sie nur, Sie können sich nachher umziehen; es kommt bei uns nicht so genau darauf an, und Ihre Sachen habe ich schon in die für Sie bestimmte Stube stellen lasten."
Damit nahm er ohne Weiteres Könnern unter den Arm und verließ mit ihm das Haus. Die in der Stube umher zerstreuten Einwanderer richteten sich aber, als der Director das Zimmer betrat, etwas überrascht auf, rückten ihre Mützen und nahmen ihre Pfeifen aus dem Munde. Sowie er ihnen aber den Rücken drehte, fielen sie in ihre alte Stellung zurück und rauchten ruhig weiter.
Der junge Fremde mußte jetzt vor allen Dingen dem Director von seinem Bruder erzählen, wie es ihm gehe, was er thue und treibe, und er wurde dabei nicht satt, ihm zuzuhören. Erst als jener Alles erschöpft, was er darüber zu sagen hatte, kamen sie auf die hiesigen Verhältnisse zu sprachen, und Bernard Könnern gestand dem Director, daß er, doch einmal in der Welt umherstreifend, nur nach Brasilien gekommen sei, um die Verhältnisse des Landes, über die er die verschiedensten und widersprechendsten Gerüchte gehört, einmal selber von Augenschein kennen zu lernen und dabei für seine Mappe zu sammeln. Habe er das erreicht, /28/ dann kehre er eben wieder nach Europa zurück, denn mit allen Mängeln scheine es doch, als ob ihm das Vaterland kein anderer Ort der Welt ersetzen könne.
„Sie haben Recht," erwiderte der Director, der ihm schweigend zugehört. „Je mehr wir von fremden Ländern sehen, und wenn sie selbst ihre größte und schönste Pracht entfalten, desto mehr fühlen wir doch immer, daß sie uns die Heimath nie ersetzen können - aber um das zu fühlen, dazu gehört eine gewisse Quantität Gemüth, und es ist äußerst interessant zu beobachten, auf welche verschiedene Art und Weise sich das auch bei den verschiedenen Naturen äußert, und wie es ausbricht. Jeder Mensch bildet sich nämlich dazu eine gewisse Entschuldigung, und die am meisten poetische hat stets das Gemüth der Frauen, auch wenn sie den niedrigsten Klassen angehören. Bei diesen ist es das Grab der Eltern oder das eines Kindes, die alte Dorfkirche, oder das Haus, das ihre erste Heimath bildete, zu dem sie sich zurücksehnen; der Brunnen, an dem sie Wasser holten, die alte Linde vor der Pfarrwohnung, wo sie vielleicht zum ersten Mal mit dem jetzigen Manne getanzt, und an die sie sich um so viel lieber erinnern, weil d e r Mann gerade damals so viel anders war, als er jetzt ist - der kleine Garten, den sie bestellt, das Vieh selber, das sie großgezogen, das alles hat seinen Anhaltspunkt noch lange nicht verloren, und ob sie Vieles hier mit der Zeit besser und bequemer finden mögen, es zieht sie doch mit einem ganz eigenen Gefühl zurück zu den alten Verhältnissen. Der Mann dagegen - ich meine hier den gewöhnlichen Bauer - hat wieder einen ganz andern Ankergrund für sein Heimweh. Er denkt, wenn er sich Deutschland in's Gedächtniß zurückruft, fast immer an seine heimische Schenke, an das Bier und eine Menge anderer prosaischer Dinge, zu denen aber doch trotzdem die alte Linde und der alte