Johann Gabb. Thomas Pfanner

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Johann Gabb - Thomas Pfanner

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dem letzten Weltkrieg, auch die aktuelle Propaganda tat ihr Übriges.

      »Da wäre ich mir nicht so sicher«, meinte Johann. »Der Kommunismus wird kommen, ganz sicher. Wir werden verstaatlicht und aller Besitz ist sofort weg. Wir fangen wieder von vorne an. Neue Herren, neues Unglück.«

      Johann wurde unterbrochen, als er einen leisen, unterdrückten Aufschrei hörte. Er drehte sich wieder um und sah seine älteste Tochter Agatha mit aufgerissenen Augen und von dem Mund gepresster Hand. Er folgte ihrem Blick. Gerade marschierten Susa und Tilda vorbei, ihre beiden Freundinnen. Sie winkten zaghaft herüber. Johann sah seiner Tochter an, dass sie am liebsten hinrennen würde für eine letzte Umarmung. Er sah ebenso ihre Angst, ihre Unsicherheit. Sie konnte sich nicht entschließen. Die beiden Mädchen gingen weiter, der Augenblick verging. Seine Tochter schluchzte auf und rannte weg.

      Der Strasser brachte seine Gedanken wieder in andere Bahnen.

      »In drei Tagen müssen wir auch weg. Ob es auch so einen Auszug aus dem Dorf geben wird?«

      »Glaube ich nicht. Denen sind die Juden auf eine perverse Art wichtiger als wir. Dass wir sterben werden, ist für die Nazis normal. Aus dem Tod der Juden machen die eine Festlichkeit, da haben die richtig Spaß dran.«

      »Mache bitte keine Witze Johann«, sagte Josef Halbich. »Die Nazis hassen die Juden, die machen doch kein Fest daraus.«

      »Natürlich tun sie das. Du machst doch auch ein Fest aus dem Weihnachtsbraten, während dir die gebratene Gans ganz furchtbar egal ist und du sie doch mit einer gewissen Freude schlachtest. Den Nazis sind die Juden noch nicht mal egal, sie hassen sie. Wenn jemand einen Umzug veranstaltet, dann, weil er feiern will. Diese Soldaten feiern den Umstand, die Juden los zu werden.«

      »Klasse. Und uns ist die Welt auch bald los«, warf der Strasser gallig ein.

      »Nicht, wenn du am Leben bleibst.«

      Mit diesen Worten trennten sich die Männer. Es gab noch viel vorzubereiten. Die Frage nach dem Überleben musste er tatsächlich ausführlich bedenken.

      Buisdorf

      Mein Großvater sitzt auf seinem Stuhl schwer atmend, die Arme vor der Brust verschränkt.

      »Das war der Tag, als alle Juden aus dem Dorf weggebracht wurden. Fünfzehn Familien, seit Jahrhunderten in Mágocs ansässig und immer in Frieden lebend. Immer. Für diese Leute war es einstmals ein Segen, von den Türken befreit zu werden. Den Türken waren die Juden ebenso verhasst wie den Nazis. Im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn ließ man sie in Ruhe. Im unabhängigen Ungarn lebten sie auch nach dem Ersten Weltkrieg ganz ohne Verfolgung und ohne Sondersteuer und ohne Misstrauen zu erfahren. Sie gingen mit Ungarn, Deutschen und teilweise den Zigeunern in die gleiche Schule, sie spielten zusammen, als Erwachsene halfen sie sich gegenseitig. Herrgott, der einzige Arzt des Dorfes war Jude.«

      »Hat denn niemand versucht, die ganze Sache zu verhindern?«

      »Oh sicher«, meint er leicht zynisch. »Wie brave Bürger angesichts einer Kompanie SS die Dinge zu wenden versuchen: mit Verhandlungen. Der Bürgermeister ging zum kommandierenden Offizier und verlangte, den Arzt im Ort zu lassen, weil ansonsten niemand die medizinische Versorgung übernehmen würde. Der Drecksack hat sogar zugestimmt. Allerdings sollte die ganze Familie des Arztes trotzdem deportiert werden, nur den Arzt selber wollte man zurücklassen. Das hatte sich der Bürgermeister zwar anders vorgestellt, aber was sollte er tun? Selbst in heutigen, angeblich freien Zeiten wehren sich nur ganz wenige Menschen gegen die Obrigkeit.

      Nun, wie auch immer, der Arzt lehnte ab. Er wollte seine Familie nicht im Stich lassen. Und so zeigte er uns allen, wer hier Mut hatte und wer nicht.«

      Das muss ich erst mal sacken lassen. Er hat recht, ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, wie sich die Leute damals gefühlt haben müssen. Der Krieg vor der Tür, die Soldaten im Dorf, alles auf den Kopf gestellt, dass ganze Leben, die Dorfgemeinschaft, die Zukunft, alles infrage gestellt.

      »Was war denn mit den beiden jüdischen Mädchen? Sind sie jemals zurückgekommen?«

      Er schüttelt nur den Kopf.

      »Die Aufrechten und Unschuldigen sind alle verloren. Ein paar zweifelhafte Gestalten kamen zurück, und zwar nur die zweifelhaften Gestalten. Ausschließlich Männer kehrten zurück, keine Frauen, keine Kinder. Aber das ist gar nicht das Problem.«

      Er blickt in die Ferne, es dauert eine ganze Zeit, bis er weiterreden kann.

      »Deine Mutter hat es sich nie verziehen, in dieser Situation zu viel Angst gehabt zu haben. Nicht den Mut gehabt zu haben, zu den beiden hinzulaufen und sich zu verabschieden. Dass die beiden geglaubt haben müssen, auch von ihr verraten worden zu sein.«

      Er macht eine kleine Pause und sieht mir fest und völlig klar in die Augen.

      »Mut zu haben und etwas zu riskieren kann schlimme Folgen haben. Keinen Mut zu haben aber ebenso. Falsche Entscheidungen verfolgen dich ein Leben lang. Das Schlimme ist: Du weißt das vorher nicht. Du entscheidest in einer Sekunde und lebst ein Leben lang mit den Konsequenzen. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Tue das, was dein inneres Gefühl dir sagt. Wenn es schief geht, kannst du wenigstens sagen, das Richtige getan zu haben. Man darf nicht in Angst leben. Die Menschen werden zu Untieren, weil sie zu viel Angst haben. Freiheit kann es nur geben ohne Angst.«

      *

      Einige Tage sind vergangen. Die Situation hat sich ein wenig gebessert. Mein Opa isst und trinkt gut, seine Kräfte kehren zurück. Offensichtlich gibt es einen Zusammenhang zwischen ausreichender Flüssigkeitsaufnahme und geistiger Verfassung, denn er zeigt sich jetzt deutlich klarer. Ich glaube, die Ärzte stellen Diagnosen zu leichtfertig. Es gibt dieses tolle neue Medikament, welches bei Alzheimer helfen soll. Es ist teuer, es hilft nur bei echtem Alzheimer und nicht bei den anderen Ursachen einer Demenz, aber irgendwie scheinen die Ärzte es gerne verschreiben zu wollen.

      Vielleicht aus diesem Grund wurde bei meinem Opa die Diagnose Alzheimer gestellt. Und unverzüglich hat der Arzt das neue Medikament verschrieben. Wenn die geistige Verfassung jedoch von der Flüssigkeitsmenge abhängt, liegt der Verdacht auf andere Ursachen nahe. So habe ich das in der Altenpflege-Ausbildung gelernt, und bei meinem Dozenten handelte es sich immerhin um einen Professor der Medizin.

      Egal, den Vorteil aus der Situation ziehe ich gerne. Mein Opa erzählt viel und gerne von früher, ist aber andererseits besser im Hier und Jetzt verankert. Ich will mehr wissen und seine Erzählungen besser steuern. In der Schule, im Fernsehen, überall gibt es endlose Berichte, Studien und Expertenmeinungen. Ein kompletter Fernsehsender scheint ausschließlich davon zu leben, die Nazizeit aus allen Blickwinkeln zu beleuchten. Das meiste stammt von Leuten, die nicht dabei gewesen sind, oder sich ideologisch anderen Herren verpflichtet fühlen. Die Grundmeinung besteht im Wesentlichen darin, dass wir, die Deutschen, historisch einmalig Böses angestellt haben. Das ist Konsens. Das geborene Tätervolk wird uns beständig vor Augen gehalten, Kritik an dieser Einschätzung wird mit lebenslanger Verbannung in die Nazi-Ecke bestraft.

      Gestritten wird ausdauernd über Details. Ob jetzt alle Deutschen Schweinehunde waren oder nur der überwiegende Teil. Mein Opa ist dann wohl einer dieser Schweinehunde, egal, wie eng man den Fokus zieht. Die Waffen-SS ist für Friedensaktivisten so etwas wie der Antichrist für den Papst.

      Mein Großvater ist jedoch aktuell meine einzige echte Quelle, der Augenzeuge schlechthin. Ich möchte ihn anzapfen, mache mir Notizen von seinen Äußerungen und überlege mir bestimmte Fragen. Demente lügen nicht, und wenn sie einen Bogen um die

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